In Bamberg wird die "Woche der Brüderlichkeit" von Juden, Christen und Muslimen getragen.
Ein Freitagabend am Schillerplatz 14. Nach und nach treffen Männer und Frauen in diesem Gemeinderaum der evangelischen Pfarrei St. Stephan ein. Diskret hat Rabbinerin Antje Yael Deusel das Kreuz, das Symbol des Christentums, vom Haken genommen und respektvoll außer Sichtweite gelegt. Denn die fast 25-köpfige Schar im Alter von elf bis 92 Jahren besteht aus Juden und hat sich zum "Kabbalat Schabbat" eingefunden, zum Empfang des siebten Wochentags, an dem alle Arbeit ruhen soll.
Spirituelle Heimat
Diese Betergemeinschaft namens "Mischkan Ha-Tfila" um Rabbinerin Deusel wirkt gelöst, als ihr Mitglied Susanne Talabardon die beiden Schabbatkerzen entzündet und dabei ein Gebet spricht. Voller Inbrunst singen alle auf Hebräisch Psalmlieder für den Schabbat, beten abwechselnd gemeinsam laut oder jeder still für sich. Die Rabbinerin leitet an, erhebt ihre Stimme zum "Schm'ah Israel", dem jüdischen Glaubensbekenntnis. Die ganze Gemeinschaft fällt kraftvoll ein.
"Ich habe hier meine spirituelle Heimat gefunden und kann mit dieser Gemeinschaft in Frieden ohne Streit beten", freut sich Susanne Talabardon über diesen Ort am Schillerplatz. Die Professorin für Judaistik an der Bamberger Universität spricht damit aus, was ihre Mitbeter dorthin treibt. "Es geht uns darum, Glauben zu leben und zu teilen", greift Rabbinerin Deusel den Ball auf, und zwar als "Ergänzung der Einheitsgemeinde und nicht als Opposition oder Abspaltung". Schließlich sei die Betergemeinschaft "Mischkan Ha-Tfila" keine "militante Truppe" oder erhebe Absolutheitsansprüche: "Wir sind nicht gegen etwas, sondern für das Beten", betont die Rabbinerin.
Für sie ist es völlig legitim, dass es unterschiedliche Betergruppen gibt. Ihre Gruppe bete nach einem liberalen aschkenasischen Ritus wie vor dem Krieg. Liberal bedeute jedenfalls nicht ein "Judentum light", sondern lediglich eine andere, keinesfalls beliebige Art der Auslegung von Geboten.
Die Rabbinerin, die auch stellvertretende Vorsitzende der Allgemeinen Rabbinerkonferenz in Deutschland ist, hat ihren "Minjan", also die Betergemeinschaft, offiziell beim Landesverband der IKGs in Bayern angemeldet - "zwecks Anerkennung und Unterstützung", wie Deusel sagt. Ihre Gruppe leiste nämlich weiterhin die Bekenntnissteuer an die IKG: "Wir sind ihre zahlenden Mitglieder", erklärt Rabbinerin Deusel.
Gemeinsames Programm
Nicht nur aus diesem pekuniären Grund ist es für sie und ihre Betergemeinschaft eine Selbstverständlichkeit, zur zentralen Feier der "Woche der Brüderlichkeit 2016" in die Synagoge "Or Chajim" zu gehen. Denn "die traditionsreiche Kultusgemeinde liegt mir am Herzen", betont Deusel.
Die Organisatoren der Bamberger "Woche der Brüderlichkeit" nehmen ebenfalls den Begriff "Brüderlichkeit" ernst und schließen die IKG und den Minjan Mischkan ha-Tfila gemeinsam in das Programm ein. Der Arbeitskreis mit Vertretern der katholischen und evangelischen Kirche, der jüdischen Glaubensgemeinschaft und des türkisch-islamischen Kulturvereins hält es obendrein in der angespannten gesellschaftlichen Situation "für nötiger denn je, immer wieder zum Dialog, besonders zum Dialog der Religionen einzuladen", erklärt Pastoralreferentin Barbara Göb.
Als Beauftragte für den interreligiösen Dialog im katholischen Dekanat Bamberg organisiert Barbara Göb federführend die "Woche der Brüderlichkeit". Diese steht bundesweit unter dem Motto "Um Gottes Willen - Religion in säkularer Gesellschaft".
Offenes Singen in St. Josef
Neben der multireligiösen Feier mit jüdischen, christlichen und islamischen Elementen am Montag, 7. März, um 18 Uhr in der Synagoge (Willy-Lessing-Straße 7a) und dem anschließenden Stehempfang der IKG besteht nun auch die Möglichkeit eines Besuches der Betergemeinschaft um die Rabbinerin. Am Freitag, 11. März, können Interessierte um 18.30 Uhr den "Kabbalat Schabbat" (Schabbateingang) am Schillerplatz 14 mitfeiern.
Einen musikalischen Leckerbissen verspricht das Offene Singen mit Liedern aus drei Religionen am Sonntag, 13. März, um 17 Uhr in der Kirche St. Josef im Hain (Balthasar-Neumann-Str. 14). In der Zusammenarbeit mit der Städtischen Musikschule und der Kreismusikschule "wollen wir vor allem für Kinder und Jugendliche den kreativen Zugang zu anderen Religionen finden", erklärt Organisatorin Göb, schließlich "überwindet Musik Grenzen!" Dabei werden nicht nur etwa 50 Musikschüler mitwirken: "Jeder, der Lust hat, zu singen oder ein Instrument zu spielen, kann mitmachen!"
Zurück in die Betergemeinschaft an jenem Freitagabend. Gewohnt humorig kommentiert Rabbinerin Deusel die fröhlichen Tischgespräche nach dem Kabbalat Schabbat. Zum sogenannten Kiddusch haben nicht nur die Frauen koschere Speisen mitgebracht, sondern auch der 24-jährige Student Nick Chanan Zemmel. Er hat nach einem Rezept aus einem jüdischen Kochbuch eine Maronentorte mit Marzipan fabriziert, die Begeisterungsrufe weckt. "Ich freue mich jede Woche auf diesen lebendigen Gottesdienst", strahlt Nick, "freitags gehe ich nicht aus, da bin ich hier!" fügt der junge Mann hinzu.
Nach dem Kiddusch in familiärer Atmosphäre spülen fleißige Hände das Geschirr, rücken Tische und Stühle wieder in Position. Bevor die Rabbinerin hinter dem letzten Besucher das Licht löscht und die Türen abschließt, hängt sie das Kruzifix wieder behutsam an seinen Platz. "Schalom!" lächelt Antje Yael Deusel.
Die Veranstaaltungen:
Montag, 7. März Zum Auftakt findet um 18 Uhr in der Synagoge, Willy-Lessing-Straße 7a, der zentrale Festakt, eine multireligiöse Feier mit jüdischen, christlichen und islamischen Elementen statt. Anschließend folgt der Empfang durch die Israelische Kultusgemeinde.
Freitag, 11. März Interessierte dürfen um 18.30 Uhr den "Kabbalat Schabbat", also den Schabbateingang, bei der Betergemeinschaft "Mischkan Ha-Tfila"am Schillerplatz 14, mitfeiern.
Sonntag, 13. März Unter dem Thema "Offenes Singen" wird ab 17 Uhr in der Kirche St. Josef im Hain die Möglichkeit zum gemeinsamen Musizieren und Singen mit Liedern aus drei Religionen geboten. Anmeldung ist nicht nötig.