Franken im Würgegriff der Stromkonzerne?

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Symbolbild.
Symbolbild.

Der Widerstand gegen die Nord-Süd-Leitungen formiert sich in Ober-, Unter- und Mittelfranken. Keine Region in Deutschland wäre so stark vom Trassenbau betroffen. Und: Die Franken könnten Versuchskaninchen für eine neue Übertragungstechnik sein. Die Politik rudert erst einmal zurück.

Scheitert die Energiewende in der bisher geplanten Form auch am Widerstand der Bürger in Franken? Das ist seit gestern keine rhetorische Frage mehr. Obwohl der Bau der neuen Stromautobahnen von Norden nach Süden lange als "alternativlos" galt, bricht jetzt in allen Regionen, die von den Trassen berührt werden, ein Sturm der Entrüstung los. Die Politik rudert zurück: In Berlin wie in München heißt es, der Bedarf für neue Leitungen komme auf den Prüfstand.

Beim Blick auf die Landkarte ist es nicht zu übersehen: Durch Ober-, Unter- und Mittelfranken führen die zwei größten der vier neuen Mega-Leitungen, die bis gestern als unverzichtbarer Bestandteil der Energiewende galten. Würden sie gebaut, trüge Franken eine Hauptlast der neuen Energiepolitik. Grafenrheinfeld weg, dafür neue Hochspannungstrassen mit bis zu 100 Meter hohen Masten.
Mit allen Risiken und Nebenwirkungen neuen Übertragungstechnik mit Gleichstrom (HGÜ).


Prügel für Amprion

Die Netzbetreiber Amprion und 50 Hertz, die als erste die Katze aus dem Sack gelassen haben, beziehen Prügel für den von der Bundesregierung abgesegneten Plan, eine Gleichstromtrasse von Bad Lauchstädt in Sachsen-Anhalt bis Meitingen bei Augsburg zu bauen. 450 Kilometer lang ist diese Leitung, eine der vier "Hauptschlagadern der Energiewende" in Deutschland: Gleichstrompassage Südost. Die Leitung folgt grob der A9, muss aber wohl einige Haken schlagen, unter anderem durch das Fichtelgebirge.

Das Gegenstück im Westen, zu dem Details heute in Belin vorgestellt werden sollen, heißt "Sued.Link" und verbindet über 800 Kilometer Wilster bei Hamburg und Großgartach in Baden-Württemberg mit einem Knotenpunkt in Grafenrheinfeld bei Schweinfurt, wo bis Ende 2015 das Kernkraftwerk im Nervenzentrum der bayerischen Stromversorgung sitzt.


Wie die Lücken schließen?

Ohne das Atomei droht in Bayern eine Versorgungslücke. Die sollen die neuen Leitungen vor allem mit Windstrom (aber auch mit Braunkohlestrom, wie Kritiker unken) füllen. 2013 hat der Bundesrat die gesetzlichen Grundlagen für den Leitungsbau festgezurrt. Bayern war nicht dagegen, im Gegenteil: Die CSU drückte aufs Tempo. So rühmte der CSU-Bundestagsabgeordnete Georg Nüßlein schon im November 2012 den Netzentwicklungsplan als "Meilenstein der Energiewende", weil er die Grundlagen schaffe, schwierige Infrastrukturprojekte zu beschleunigen. Das klingt heute aus Bayern anders...

"Wenn ich eine Linie von Bad Lauchstädt nach Meitingen ziehe und eine von Hamburg nach Grafenrheinfeld, sehe ich, welche Regionen tangiert sein werden." Ein Sprecher der Bundesnetzagentur in Bonn, bei der das Leitungsbau-Verfahren angesiedelt ist, äußert Unverständnis, warum der Gegenwind erst jetzt, so heftig und ausgerechnet aus Bayern weht, das am meisten vom Leitungsbau profitiere.


Gewaltige Bauwerke

Allerdings: Bis vor kurzem waren die Stromautobahnen eine Theorie, die im Tarnanzug der Verwaltungssprache und des Techniker-Deutsch daherkam. "Bundesbedarfsplanungen" und "vorläufige Trassenkorridore" sind etwas anderes als ein konkreter Plan für eine Leitung mit bis zu 100 Meter hohen Masten, die an direkt an Pegnitz (Oberfranken) vorbeiführt oder den Landkreis Bad Kissingen (Unterfranken) in zwei Hälften schneidet.

/>Auch in Meitingen saß man die Energiewende bisher mit schwäbischer Ruhe aus. Jetzt sieht man nicht nur die Leitung, sondern auch die Konverterstation an Endpunkt: eine Fläche mehrerer Fußballfelder mit bis zu 20 Meter hohen Gebäuden. Hier wird der Gleich- wieder in Wechselstrom verwandelt. Die Bürger toben.


Die Haare stehen zu Berge

Und zwar auch wegen möglicher Gesundheitsschäden durch die Gleichspannungstechnik: Noch nie wurde in Deutschland so viel Strom durch Leitungen geschickt. In Waltrop in Nordrhein-Westfalen berichten Bürger, dass ihnen in der Nähe einer HGÜ-Versuchsanlage buchstäblich die Haare zu Berge stehen.

Selbst Studien des Bundesumweltministeriums kommen zu dem Schluss, dass man die Grenzwerte, die für herkömmliche Wechselstromleitungen gelten, nicht ohne weiteres auf die Gleichstromtechnik übertragen könne. Dort fließt sehr viel mehr Strom, die elektromagnetischen Felder sind stärker. Die neuen Stromtrassen durch Franken, wenn sie denn gebaut werden, wären also auch so etwas wie ein gigantisches Freilandexperiment.