Erlanger von NSA ausgespäht: So schnell wird man Extremist

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Sebastian Hahn wurde von der NSA ausgespäht. Foto: NDR (Screenshot)
Sebastian Hahn wurde von der NSA ausgespäht.  Foto: NDR (Screenshot)

Sebastian Hahn ist über Nacht prominent geworden: Der Student aus Erlangen wird einem Atemzug mit Angela Merkel genannt, denn auch ihn hat die NSA ausgespäht. Die Überwachung trifft aber wohl jeden.

Gut, er hat einen Bart, aber das war nicht das entscheidende Verdachtsmoment, denn die Kanzlerin hat ja auch keinen: Seit Donnerstag hat die NSA-Spitzelaffäre neben dem von Angela Merkel auch einen fränkischen Namen. Der Informatikstudent Sebastian Hahn steht auf der Liste der Personen, die der amerikanische Geheimdienst als potenzielle "Extremisten" ausgespäht hat.

Hahn, 27, studiert an der Universität in Erlangen Informatik, sitzt in der Studentenvertretung und will auch sonst Gutes tun. Deshalb stellt er sein Wissen seit 2008 dem "Tor"-Projekt zur Verfügung. Hier tüfteln weltweit IT-Experten an Wegen, den Datenverkehr zu schützen.



Hahn bezeichnet dies gegenüber infranken.de als sein "Hobby", doch der Schutz der Privatsphäre gegen Späh-Angriffe ist für ihn Berufung, und der jetzt bekannt gewordene Zugriff der NSA auf seinen privaten Server zeigt ihm, dass er richtig liegt: "Ich fühle mich bestätigt auf meinem Weg. Nur durch aktives Handeln lässt sich unsere Demokratie verteidigen. Demokratie braucht Privatsphäre und Sicherheit in der Kommunikation."
Um diese zu gewährleisten, schickt "Tor" die Daten über mehrere Knotenpunkte im Internet: so schnell, dass es der Nutzer kaum merkt, aber so verzwickt, dass Späher sich schwer tun, die Spur aufzunehmen. Jeder, der bei Tor mitwirkt, kann einen eigenen Server betreiben.

Aufbauhilfe durch die USA
Der von Sebastian Hahn steht in Nürnberg und ist nicht zufällig ins Visier des amerikanischen Geheimdienstes (und wohl nicht nur in dessen Fokus) geraten. Die US-Regierung hat den Aufbau von "Tor" lange auch mit Geld unterstützt und kennt die Stärken und Schwächen des Systems. Für die NSA ist offenbar schon der Versuch verdächtig, Daten zu verschlüsseln: Wer das tut, hat etwas zu verbergen...

Genau das will Hahn aber nicht. Ihm geht es nicht darum, Dinge zu verbergen, sondern er will, dass das Private privat bleibt: Was beim Telefon oder im Briefverkehr selbstverständlich ist (sein sollte), müsse ebenso im elektronischen Datenverkehr gelten. Weil er selbst offen mit seinem "Tor"-Engagement umgeht, steht die IP-Adresse (Fingerabdruck) seines Rechners auf den NSA-Listen. Diese Listen, die dem NDR zugespielt wurden, machten den Erlanger Studenten zum zweiten namentlich bekannten NSA-"Opfer" nach Merkel.

Fragen und Antworten
"Diese Daten sind nicht kryptisch, sondern normale IP-Adressen - daran kann man einen Server im Internet einfach identifizieren. Ich verstecke mein Engagement für Tor nicht, und daher ist es nicht schwer, von der IP-Adresse auf mich zu schließen", beschreibt er den Vorgang.

"Jeder Deutsche ist täglich von Überwachungsmaßnahmen betroffen, ohne dass es bekannt wird", sagt Hahn. "Die riesige Dimension der Überwachung und die fehlenden Schutzmaßnahmen insbesondere für technisch unbedarfte Menschen sind doch der eigentliche Skandal." Fragen zu seiner persönlichen "NSA-Affäre" beantwortet Hahn hier.



Das Tor-Projekt

Netzwerk "Tor" ist ein Netzwerk zur Anonymisierung von Verbindungsdaten im Internet. "Tor" schützt seine Nutzer vor der Analyse des Datenverkehrs. Es basiert auf der Idee des Onion-Routings.

Zwiebel-Prinzip "TOR" (in Großschreibung) war ursprünglich ein Kunstwort für The Onion Routing (Onion ist das englische Wort für Zwiebel). Das verdeutlicht das Prinzip, nach dem "Tor" Datenverbindungen verschlüsselt: wie Zwiebelschalen.

System Der Nutzer stellt mit dem ersten "Tor"-Server eine verschlüsselte Verbindung her. Wenn diese aufgebaut ist, wird sie um zwei weitere Server verlängert. Die Verbindungen werden nach einigen Minuten gewechselt.



Kommentar von Günter Flegel: Die Freiheit muss verteidigt werden
Der mündige Bürger ist der staatlichen Autorität an sich erst mal verdächtig. Das gilt, allen anders klingenden Bekundungen zum Trotz, auch in freiheitlichen Demokratien.

Die sind einst vor allem auch entstanden, weil immer mehr Bürger lesen und schreiben, also mitreden konnten, weil das gedruckte Wort der Meinungsfreiheit Nachdruck verliehen hat. Diese Freiheit ist ein hohes Gut, und der Bürger muss sie immerfort verteidigen - im Internetzeitalter mehr denn je.

Informationen sind eine Waffe, und deshalb findet zwischen Datenschützern und Spähern ein permanentes Wettrüsten statt. In China steht das Internet unter rigider Kontrolle staatlicher Zensurbehörden, in den nordafrikanischen Staaten und in der Türkei wären Bürgerbewegungen ohne soziale Netzwerke zum Scheitern verurteilt. Einen Preis für die vergleichsweise größere Freiheit zahlt freilich auch der Nutzer moderner Medien in den demokratischen Staaten: Je mehr Informationen über zentrale Server transportiert werden, umso größer ist die Versuchung für staatliche Stellen, dort nach dem Rechten zu sehen.

Zumal dann, wenn es sich wie bei den Geheimdiensten um einen Staat im Staate handelt, der sich der öffentlichen Kontrolle weitgehend entzieht. Ein Bundesnachrichtendienst tut das natürlich ausschließlich, um mündigen Bürger gegen Terroristen zu schützen und Kinderpornos aufzuspüren. Wer's glaubt ...