Die Bambergerin Alexandra Gehres unterrichtet in Kairo an einer Schule in der Nähe des Tahrirplatzes. Normalerweise. Im Moment ist in Kairo wenig normal. Das am Samstag anstehende Verfassungsreferendum spaltet das Land, und die Schule der Borromäerinnen ist geschlossen.
Nur kurz unterbrach Alexandra Gehres die "Fernsehschauerei", um ein paar Emails von Kairo nach Franken zu schicken. Während ihre Freunde unterwegs zur Demonstration auf dem Tahrirplatz waren, beschrieb sie, wie die letzten Wochen in Kairo für sie waren. "Es sind Menschen, an denen ich hänge, die da draußen auf der Straße sind und für ihre Rechte kämpfen."
Die 28-Jährige hatte keine Angst um ihre Sicherheit - nicht einmal, als sie mitdemonstrierte. Sie ging nie allein und informierte sich per Twitter über die aktuelle Lage. Das Denken der meisten Ägypter beschreibt sie als völlig anders als das der Europäer: "Sie lieben ihre Familie und ihr Land so sehr, dass sie lieber sterben als zu sehen, wie es kaputt geht. Außerdem haben sie wochenlang für Menschenrechte und Demokratie gekämpft - bei der Revolution vor zwei Jahren."
Am Samstag beginnt die Volksabstimmung über Ägyptens umstrittene neue Verfassung mit islamistischen Elementen. Am Freitag gab es wieder Massenkundgebungen - Befürworter und Gegner mobilisierten Tausende Anhänger. Alexandra Gehres will "Solidarität zeigen mit all denen, die für Freiheit kämpfen und an den Zielen der Revolution festhalten." Die junge Lehrerin aus Franken lebt seit Ende August in Ägypten. Direkt nach ihrem Referendariat in Bayreuth und einem halben Jahr Unterricht am ETA-Hoffmann Gymnasium in Bamberg ging Gehres nach Kairo. Sie unterrichtet an der Deutschen Schule der Borromäerinnen Gymnasiastinnen zwischen sechs und 18 Jahren. "Die meisten Schülerinnen sind gegen Mursi und seine Politik. Einige haben engagierte Eltern und sind daher politisch aktiv."
Im Moment sei an einen normalen Unterricht nicht zu denken. Die Schule liegt in unmittelbarer Nähe des Tahrirplatzes und wurde aus Sicherheitsgründen bereits im November geschlossen. "Wir sind in einen anderen Stadtteil in provisorische Räume umgesiedelt worden." Aber es stehe immer erst am Vorabend fest, ob und wie der Stundenplan eingehalten wird. Außerdem beschäftigen die aktuellen Entwicklungen alle, denn kaum einer hatte damit gerechnet, dass Mohammed Mursi, der frei gewählt Präsident und Hoffnungsträger, so hart durchgreifen würde.
Die Oppositionellen fürchten, dass die neue Verfassung Ägypten zu einem Land der Islamisten machen könnte. Gehres sagt, ihre Schülerinnen seien von den Erfahrungen der Revolution geprägt und abgehärtet. "Jedoch fürchten sie sich teilweise vor dem Schulweg oder haben Angst um ihre Eltern." Ein paar Zeilen, die einige ihrer Schülerinnen in den letzten Tagen auf Facebook veröffentlich hatten, zeigen aus Gehres Sicht gut, wie die Mädchen empfinden. Sie haben folgendes geschrieben: "Ich besuche eine christliche Schule, die Hälfte der Schüler sind Christen, die andere Hälfte Muslime. Wir haben in der Klasse an der Wand ein Kreuz und die Basmala (einen Vers, der 113 der 114 Suren des Koran eröffnet und etwa bedeutet "Im Namen Allahs").
Im Ramadan hatten wir eine Fanoos-Laterne und im Dezember einen Christbaum. Wir sprechen jeden Morgen ein Gebet zum gleichen GOTT. Ich hoffe, wenn ich das eines Tages meinen Kindern erzähle, wird sie das nicht erstaunen." Aus diesen Zeilen spricht die angst vor einem Gottesstaat. Davon hört auch Erhard Wiesneth derzeit viel. Er leitet eine andere deutsche Schule in Kairo, die "Beverly Hills", ist allerdings gerade bis zum 11. Januar auf Heimatbesuch in Memmelsdorf nahe Bamberg. Selten sei er so pessimistisch gewesen wie im Moment. "Die Leute, mit denen ich zu tun habe, sind stark verunsichert. Auch die jungen Moslems, die ich kenne, fürchten, dass Mursi stark die islamistische Schiene fahren wird."
Die Islamisten erklärten, es sei "nationale Pflicht" der Bürger, für diesen Verfassungsentwurf zu stimmen, der Ägypten Stabilität und Demokratie bringen werde. Die Opposition forderte ihre Anhänger auf, mit "Nein" zu stimmen. "Die aktuellen Entwicklungen sind eine Pattsituation", meint Alexandra Gehres.
"Hier glaubt keiner, dass sich mit einer neuen verfassungsgebenden Versammlung großartig etwas ändern wird." Mursi werde an seinen Plänen festhalten und fühle sich durch die Präsenz der Muslimbrüder auf den Straßen Kairos bestärkt. Gehres glaubt, dass die Auseinandersetzung noch lange nicht ausgestanden ist. "Viele meiner ägyptischen Freunde sagen, dass ihnen das Referendum egal ist und sie solange auf den Straßen bleiben, bis Mursi geht." Also weiterhin Demonstrationen, Auseinandersetzungen zwischen Islamisten und Säkularen. Weiterhin starren alle gebannt auf die Fernsehbildschirme - und mit der Wirtschaft des Landes geht es nicht voran.
Lesen Sie dazu auch unser Interview mit dem Erlanger Politologen Christian Wolff.