Drohen in Bamberg noch andere Fälle wie in der St.-Getreu-Straße?

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Anlieger sehen sich ohne Vorwarnung mit Erschließungskosten in Millionenhöhe konfrontiert: die obere St.-Getreu-Straße. Foto: Ronald Rinklef
Anlieger sehen sich ohne Vorwarnung mit Erschließungskosten in Millionenhöhe konfrontiert: die obere St.-Getreu-Straße.  Foto: Ronald Rinklef

Nach der Ausbauentscheidung für die St-Getreu-Straße steht die Stadt in der Kritik. Der "Verband für gerechte Kommunalabgaben" spricht von Abzocke.

Die Anlieger im Paradiesweg sind noch einmal davon gekommen. Auch diese und eine Handvoll anderer jahrelang benutzter Straßen in Bamberg gelten nach der Neufassung des Kommunalabgabengesetzes von 2016 als nicht fertig erschlossene Altanlagen. Doch mit millionenteueren Ausbaukosten müssen sie nicht rechnen.

Welche einschneidenden Folgen eine solche abschließende Baumaßnahme haben kann, das wissen auch die Anlieger der oberen St.-Getreu-Straße erst seit wenigen Tagen. Auf sie kommen nach dem überraschenden Ausbaubeschluss im Bausenat vergangene Woche Kosten pro Grundstück von bis zu 150 000 Euro zu. Für einen Straßenausbau, einen Regenwasserkanal, Gehwege und andere Verbesserungen.

Und die Uhr tickt: Die Stadt kann nach der Neufassung des Gesetzes über Kommunalabgaben die Kosten für den Ausbau, insgesamt 1,75 Millionen Euro, nur dann mit den Anwohnern abrechnen, wenn der Ausbau bis zum Stichtag 31. März 2021 fertiggestellt und abgerechnet wird.

Glück für die Anwohner im Paradiesweg: Eine solche Fertigstellung wäre dort anders als in der St-Getreu-Straße wegen dem dafür noch nötigen Eigentumserwerb nicht mehr möglich gewesen. Außerdem hat der Paradiesweg als Sackgasse eine geringere Bedeutung für die Stadt als die St.-Getreu-Straße, durch die Busse fahren, aber auch die Versorgungsfahrzeuge der Nervenklinik.

Das Beispiel zeigt, welche Maßstäbe die Stadtverwaltung an ihre Ausbauentscheidung angelegt hat. Baureferent Thomas Beese konnte in der aktuellen Stunde der Stadtratssitzung mit diesem Hinweis die Stadträte beruhigen. Neben der St.-Getreu-Straße drohen offenbar keine weiteren Konfliktfälle in Bamberg.

Wie sehr die so genannte Ersterschließung von Altstraßen die betroffenen Menschen und andere Grundeigentümer aufwühlt, zeigt sich mittlerweile in mehreren Städten und Gemeinden Bayerns. So gehen in Landshut, Kaufbeuren und Ergolding Hausbesitzer auf die Barrikaden, weil ihnen gleichsam über Nacht Kosten in fünf-, teils auch sechsstelliger Eurohöhe aufgebürdet wurden.

Auch auf Landesebene sorgt das Thema für Wellen: Nach der bayerischen Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU) ergreift in einem Interview des BR der bayerische Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (FW) Partei für die betroffenen Bürger und fordert die Kämmerer der bayerischen Städte auf, "das Spiel nicht weiter zu betreiben".

Wörtlich spricht Aiwanger in seinem Appell von einer Drohkulisse, die seit vielen Jahren das Klima im Lande vergifte: Kommunalpolitiker gäben vor, sich gesetzeswidrig zuverhalten, würden sie die Kosten für Straßenbausbau nicht eintreiben. Doch dem sei nicht so. "Kein Bürgermeister, keine Gemeinderat wurde hier in Haftung genommen".

Dies sieht auch Rainer Kallwait, Vorsitzender des Verbands für gerechte Kommunalabgaben, so. "Das Bamberger Rathaus zockt ohne Not Anwohner ab", erklärte Kallwait nach den Bekanntwerden des Falls St.-Getreu-Straße. Kallwait betonte, dass es nur in Neubaugebieten eine unbedingte Verpflichtung von Kommunen zur Erhebung von 90 Prozent der entstandenen Kosten von Anliegern gebe. Dieser Zwang liege bei Altanlagen wie etwa der St.-Getreu-Straße ausdrücklich nicht vor.

Deshalb habe das Innenministerium in mehreren Rundschreiben darauf hingewiesen, dass Gemeinden nicht verpflichtet seien, zwingend eine Abrechnung nach Erschließungsbeitragsrecht vorzunehmen. Damit sei sonnenklar, dass der Bamberger Stadtrat den Anliegern "ohne Not so tief in die Tasche greift, dass viele von ihnen förmlich in den Ruin gedrängt werden" .

Werden die Bürger in Bamberg abgezockt? Baureferent Thomas Beese wies diese Formulierung im Stadtrat mit Entschiedenheit zurück. Auf diese Idee zu kommen, sei absurd, sagte Beese und gab den schwarzen Peter an den Landtag weiter, dem es ja offenstehe, Nachbesserungen in seinem Gesetz vorzunehmen.

Aus Sicht der Stadt ist es die vom Parlament gesetzte Verjährungsfrist zum 31. März 2021 für Altanlagen, die die Kommunen zum Handeln zwingt. Beese und die Stadtverwaltung sehen sich in der Rolle derer, die den Steuerzahler schützen und für Gleichbehandlung sorgen. Denn könnte die St.-Getreu-Straße nicht unter den Anlegern abgerechnet werden, würden 1,75 Millionen Euro fehlen. "Die müssten dann auf alle Bürger Bambergs umgelegt werden."