Aus Lebensgefahr rettete Günter Geier Kinder während des Bosnienkriegs. 110 Hilfstransporte organisierte der heute 75-Jährige ab 1991. Und ein halb verhungerter Junge fand mit seiner Hilfe in Bamberg ein neues Zuhause. Wir sprachen auch mit ihm als Flüchtlingskind der 90er.
Es sind Bilder des Grauens, die Günter Geier bis heute nicht aus dem Kopf gehen: der Anblick brennender Häuser, verstümmelter Leichen, halb verhungerter Kinder. Mehr als einmal musste der Wahlfranke bei Hilfsmissionen während der Jugoslawien-Kriege ums eigene Leben fürchten. Aber der Schutzengel des Puppendoktors war auf Trab, so dass der mittlerweile 75-Jährige sein vielfältiges karitatives Engagement bis vor kurzem fortführen konnte. Was ihm im Dezember erst wieder eine Einladung zur Spendengala des ZDF einbrachte: "Ein Herz für Kinder", wo der Seußlinger sogar die Schwester des amerikanischen Präsidenten kennenlernte: "Für mich natürlich eine besondere Ehre. Übrigens sprach Auma Obama überraschend gut Deutsch."
Puppendoktor im Krankenstand
Gerade kochen die Emotionen angesichts der Flüchtlingsströme hoch, die Deutschland erreichen.
Was viele Menschen mit Sorge in die Zukunft blicken lässt. "Ich bedauere dabei vor allem, selbst nicht mehr aktiv werden zu können", sagt Geier, der nach einem schweren Herzinfarkt kürzer treten musste und auch als Puppendoktor nicht mehr außer Haus "praktiziert". Zahllose Erinnerungen - Fotos, Zeitungsartikel und Dankesschreiben - aber blieben Geier, der oft an seine Einsätze in den 90er Jahren zurückdenkt. Da verhalf der Wahlfranke auch zwei bosnischen Familien, die dem Krieg entflohen, in Deutschland zu einem Neuanfang. "Und für mich ist's bis heute das größte Glück, zu sehen, wie sie ihre Chancen nutzten."
110 Hilfstransporte nach Bosnien und Kroatien organisierte Günter Geier ab 1991. Der Puppendoktor sammelte Spenden, um Kriegswaisen, Heim- und Schulkinder mit Lebensmitteln zu versorgen. Erst war's nur ein Laster voller Hilfsgüter, den Geier ins ehemalige Jugoslawien fuhr.
Später ging er mit diversen Mitstreitern und drei Sattelschleppern auf Tour, um noch mehr Notleidende zu erreichen.
Fünf Weltumrundungen
Wie viele Kilometer er in all den Jahren zurücklegte, weiß Dr. med. Pupp kaum mehr zu sagen. Summiert man all seine Reisen, so entspräche das letztendlich aber wohl fünf Weltumrundungen. Eine dieser Reisen führte den Wahlfranken zum damals fünfjährigen Aki, der mit seiner Familie heute in Bamberg lebt, als Fahrzeuglackierer arbeitet und mit seiner Freundin mittlerweile eine eigene Familie plant. "Als ich Aki aber erstmals in einem kroatischen Flüchtlingsheim traf, war er halb verhungert, nichts als Haut und Knochen." Zwölf Kilo wog der Sechsjährige, den der Puppendoktor samt seiner Mutter und Schwester nach Deutschland holte: "In der Schellerer-Klinik wurde Aki kostenlos behandelt, was andere Ärzte zuvor abgelehnt
hatten." Tatsächlich erholte sich der Knirps, der in den kommenden Jahren "zum waschechten Franken" wurde. So verliebte sich Akis Mutter in der Zwiebeltreter-Stadt bald nach ihrer Ankunft in einen Gärtner und heiratete ihn, weshalb die Flüchtlinge nach Ende des Balkankonfliktes nicht in die alte Heimat zurückkehrten. "Akis Schwester lebt mit ihrem Mann und zwei Kindern mittlerweile in Texas", so Geier.
Todesangst
Was wäre aus den Bosniern geworden, hätte der Puppendoktor nicht Schicksal gespielt? Was aus all den anderen Menschen, denen der heute 75-Jährige beistand? Wie beispielsweise auch dem fünfjährigen Jasmin, der von seiner Mutter während des Bürgerkriegs getrennt wurde: Fadila Klicic besuchte gerade deutsche Freunde, als ihr Alptraum begann. "In den Nachrichten sah die Bosnierin, wie feindliche Truppen in Richtung ihres Heimatortes vorrücken", erinnert sich Geier.
Ihn kontaktierte die verzweifelte Frau, nachdem sie vom humanitären Engagement des Franken erfuhr. "Ich hatte damals schon 28 Fahrten ins Kriegsgebiet unternommen. Jasmin nach Deutschland zu bringen aber war abenteuerlicher als alles zuvor, was ich erlebt hatte." Unter schwerem Beschuss lag der kleine Ort in der Nähe von Bihać damals. Nach einer Non-Stopp-Fahrt "hielten Soldaten mit Maschinenpistolen meinen Wagen an, ich hatte Todesangst." Als humanitären Helfer begleiteten sie den Puppendoktor aber in den verwüsteten Ort: brennende Häuser, erschossene Tschetniks am Straßenrand, Tiere, die panisch umherliefen, wieder und wieder Schüsse. Tatsächlich aber fand Geier Jasmin und brachte ihn zu seiner Mutter nach Behringersdorf, wo beide Zuflucht fanden.
Viele Helfer aus Franken
Ja, an all das denkt Geier zurück, wenn er das Engagement anderer angesichts des derzeitigen Flüchtlingselends sieht. "Denn es bedeutete mir und meiner Frau alles, helfen zu können - mit der Unterstützung zahlloser Mitstreiter, die ich in der Region fand." Was dem Wahlfranken etliche Dankesschreiben einbrachte, darunter eine "Ehrenurkunde" des kroatischen Sozialministers fürs humanitäre Engagement des Seußlingers, der im Lauf seines Lebens auch rund 150 000 Euro spendete, für krebskranke Kinder, die "Aktion Sorgenkind" oder eben "Ein Herz für Kinder".
Still ist es inzwischen um Geier geworden, der sich umso mehr über die Einladung zur Spendengala im ZDF freute und über die gerade erhaltene Nachricht seiner "Nominierung zum Ehrenbürger der kroatischen Stadt Malinska". Einen Nachfolger hat der Puppendoktor bislang übrigens
noch nicht gefunden. "Dabei habe ich lange nach geeigneten Kandidaten gesucht, es inzwischen aber aufgegeben."
"Meine Heimat? Bamberg - ist doch klar"
"So gut wie nichts" weiß Aki Aganovic mehr aus seinen ersten Lebensjahren. Er erinnert sich nicht an die Zeit in einem kroatischen Flüchtlingsheim, in dem er während der Jugoslawienkriege hungerte - ebenso wie seine Mutter und Schwester. Vieles weiß der heute 25-Jährige nurmehr aus Erzählungen. So verbindet er mit dem Begriff Heimat auch in erster Linie Franken, Bamberg. "Ist doch klar, hier habe ich schließlich meine Freunde, bin zur Schule gegangen und machte meine Lehre", sagt der Fahrzeuglackierer in gepflegtem Fränkisch. Nur der Name, die zweite Muttersprache und die Vorliebe Akis für gewisse bosnische Gerichte lassen noch auf ein Leben vor dem Leben in Franken schließen.
"Ja, wenn ich meine Mutter besuche, dann wird oft traditionell gekocht."
Als Bamberger erlebt Aki Aganovic somit die Flüchtlingskrise. "Das alles aber lässt mich natürlich nicht kalt, sondern macht mich traurig." Zumal in seinem Betrieb mittlerweile ejn Äthiopier arbeitet, der ihm von seinem Schicksal erzählte.
Kontakte nach Bosnien unterhält Aki Aganovic weiterhin. "Dort leben ja noch mein Vater, meine kleine Schwester und Cousinen, die ich im Urlaub besuchen kann." Weshalb der 25-Jährige seine Kinder auch mal zweisprachig aufwachsen lassen möchte - in Franken, seiner Heimat.