Um die Wertstoffe im Müll wird mit harten Bandagen gekämpft. Auch die Kommunen möchten wieder ein Stück vom Kuchen haben, den sie 1991 dem Dualen System überlassen hatten. Der Bürger sortiert fleißig und fühlt sich veräppelt.
Nirgendwo in Bayern trennen die Bürger ihren Müll so ordentlich wie in Franken: Die drei nordbayerischen Regierungsbezirke belegen seit Jahren einen Spitzenplatz in der Abfallbilanz des Freistaates. Säuberlich sortiert landen Kunststoffe, Glas und Blechdosen im Container, in der Wertstofftonne oder im Gelben Sack. Doch gerade der Erfolg ist es, der das Sammelsystem ins Wanken bringt.
Der Grüne Punkt ist zu einem roten Tuch geworden. Vor 23 Jahren wurde das markante Zeichen für das Recycling von Verpackungen mit dem "Dualen System Deutschland" geboren. Vorausgegangen war ein langer Richtungsstreit inklusive Volksbegehren um den richtigen Umgang mit dem Müll, der sich in den 90er Jahren zu immer höheren Bergen türmte. Das bessere Müllkonzept, so entschied die Regierung 1990, besteht darin, die Erzeuger der Verpackungen für deren Entsorgung in die Pflicht zu nehmen.
System reif für die Tonne? So organisierte die Verpackungsindustrie ein privatwirtschaftliches System, um nicht in jedem Laden ein ganzes Arsenal von Sammelbehältern vorhalten zu müssen. Der Verpackungsmüll wird seither entweder über die kommunalen Wertstoffhöfe (Bringsystem) oder über Wertstoffsäcke oder -tonnen (Holsystem) getrennt erfasst, finanziert über die Lizenzgebühren, die Hersteller von Verpackungen für den Grüner-Punkt-Service bezahlen müssen.
Das System hat sich auf den ersten Blick bewährt; die Recyclingquoten, die der Gesetzgeber in der Verpackungsverordnung vorgibt, werden übererfüllt. So landen etwa Glas und Weißblech nicht mehr im Müll, sondern in der Wiederverwertung.
Trotzdem ist das System nach Ansicht einer wachsenden Zahl von Kritikern reif für die Tonne. Der Verband der kommunalen Unternehmen hat ein Gutachten publik gemacht, das dem Dualen System schlechte Noten ausstellt. Verbandssprecher Carsten Wagner sieht das DSD wegen des "ruinösen Wettbewerbs" auf dem Abfallmarkt nicht nur vor dem finanziellen Kollaps, sondern die grundlegenden Ziele verfehlt: "Heute werden nicht weniger Verpackungen produziert als 1991, sondern bei weitem mehr", kritisiert Wagner. Und der Bürger blicke nicht mehr durch und trenne seinen Müll immer weniger gründlich.
Knallharter Wettbewerb Das liegt auch daran, dass die Europäische Union das Monopol des Dualen System 2001 gekippt hat. DSD hat zwar mit einem Marktanteil von nach eigenen Angaben um die 50 Prozent zwar immer noch eine beherrschende Stellung, zehn Mitbewerber streiten mit dem Platzhirschen aber um die lukrativen
Chargen aus dem Abfall. Für die regionalen Entsorgungsunternehmen, die für DSD und Co. die Sammelarbeit erledigen, ist der Preiskampf jetzt schon ruinös. "Treibstoffpreise, Mindestlohn, EEG-Umlage und der Preisdruck vom DSD. Wir haben überhaupt keine Chance mehr, die steigenden Kosten irgendwie reinzuholen", sagt ein mittelständischer Unternehmer aus Franken, der nicht namentlich zitiert werden will.
Das Geschäft mit dem Müll haben inzwischen viele Hersteller von Verpackungen selbst entdeckt, die Gesetzeslücken nutzen und am DSD vorbei eigene Sammelsysteme aufbauen. Das Problem: Für diese Verpackungen wird keine Gebühr an das DSD entrichtet, ein großen Teil von ihnen landet aber trotzdem in den Sammelbehältern des Dualen Systems, weil die Bürger zuhause nicht auch noch nach einzelnen Läden sortieren.
Denn damit würde wahr, was konservative Politiker bei der Diskussion um das "bessere Müllkonzept" von Grünen und Umweltverbänden Ende der 80er Jahre als Horrorszenario in den Raum gestellt hatten: Am Ende hätte jeder Bürger zehn Mülltonnen zu Hause stehen.
Zehn sind es nicht, aber fünf in der Regel mindestens: Restmüll- und Biotonne, Altpapiertonne, ein Behälter für das Altglas sowie Gelbe Tonne/Gelber Sack. Dazu kommen in den Kommunen, die Wertstoffe per Bringsystem erfassen, diverse Behälter für Verpackungen aus Kunststoff, Aluminiunverbundmaterial (Tetrapak), Blech ...
Das Sammelsystem hat sich nach Ansicht des Verbands kommunaler Unternehmen überholt und überfordert den Bürger: "Er versteht nicht, warum Plastik aus Verpackungen ins Sammelsystem wandert, der gleiche Kunststoff aber in die Restmülltonne muss, wenn er keine Verpackung war." Und der Bürger zweifelt, ob es überhaupt Sinn macht, den Jogurtbecher auszuwaschen und zum Wertstoffhof zu tragen. Solche Kraut- und Rüben-Verpackungen müssen so aufwendig sortiert werden, dass der ökonomische und ökologische Nutzen des Recyclings unter Fachleuten umstritten ist.
Nur 30 Prozent Recycling Tatsächlich werden von den Kunststoffabfällen aus dem Haushalt nur 30 Prozent tatsächlich recycelt, der Rest landet in den Öfen von Müllverbrennungsanlagen, Zement- oder Stahlwerken. Dort wird er natürlich nicht verbrannt, sondern "thermisch verwertet". Auf dem Müllmarkt tobt nicht nur ein Preis- und Verteilungskampf. Hier wird auch hart um die richtige Formulierung gerungen ...
Wie funktioniert der Grüne Punkt? Das Duale System Deutschland, kurz DSD, mit Sitz in Köln, 275 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von 822 Millionen Euro (Zahlen von 2008) betreibt seit 1991 ein System zur Sammlung und Verwertung von Verpackungsabfällen.
Der Marktanteil beträgt Anfang 2013 über 50 Prozent. Die anderen, kaum bekannten Anbieter heißen Interseroh, VfW, Landbell, Bellandvision, Eko-Punkt (Remondis), Redual, Zentek, Recycling Kontor Dual und Veolia Umweltservice Dual.
Als Erkennungszeichen der beim DSD lizenzierten Produkte dient der Grüne Punkt. Die Unternehmen, die ihre Produkte mit der Marke "Der Grüne Punkt" versehen möchten, müssen dafür Lizenzgebühren an das DSD abführen. So finanziert sich das System. In den Kommunen, in denen Bürger die Verpackungsabfälle vorsortieren und zum Wertstoffhof bringen, erhält der Betreiber der Wertstoffhöfe eine Erstattung vom DSD. Die wird in der Regel über ermäßigte Müllgebühren an die Bürger weitergegeben (die ja beim Kauf der Produkte auch die DSD-Lizenz für die Verpackung bezahlen müssen).
Die Sammlung, der Transport und die Sortierung der Verpackungsabfälle wird nicht durch das DSD selbst durchgeführt. Vielmehr beauftragt das DSD für diese Aufgabe andere Entsorgungsunternehmen. Hierzu ist die Bundesrepublik in sogenannte DSD-Vertragsgebiete aufgeteilt, üblicherweise analog zu den Grenzen der Landkreise und Städte, für die die Entsorgungsunternehmen jeweils ein Angebot abgeben können.
Die Vermarktung der sortierten Wertstoffe erledigt für DSD die Deutsche Gesellschaft für Kreislaufwirtschaft und Rohstoffe (DKR), die in den 1990er Jahren von DSD und der Kunststoffindustrie zur Verwertung der Kunststoffverpackungen gegründet wurde und eine 100prozentige Tochter des DSD ist. Sammelsysteme mit der Marke "Der Grüne Punkt" gibt es in 26 europäischen Ländern.
Die Franken sind Sortier-Weltmeister! Abfall war einmal. Das Sammelsurium schlummert heute noch als Altlast am Rand vieler Dörfer und Städte, wo sich der Müll bis in die 70er Jahre auf Deponien häufte. Müllverbrennung und Grüner Punkt haben aus dem Abfall Wert-, Rest- und Brennstoffe gemacht.
Nach der Abfallbilanz der bayerischen Staatsregierung "produziert" jeder Bürger im Freistaat jedes Jahr 520 Kilogramm Abfall - 6,5 Millionen Tonnen insgesamt. Davon sind 300 Kilogramm Wertstoffe, vor allem Verpackungen, die gesondert erfasst werden, und 144 Kilogramm echter (Rest-)Müll, der in den Verbrennungsanlagen landet: In Franken stehen solche in Nürnberg, Bamberg, Coburg, Schweinfurt und Würzburg mit Kapazitäten zwischen 118.000 und 228.000 Tonnen im Jahr.
Bei der Wertstoffsammlung sind die Franken Spitze: Während jeder Bürger im Freistaat jährlich im Durchschnitt 19,8 Kilogramm an Leichtverpackungen sammelt, sind es in Oberfranken 23,7, in Mittelfranken 22,9 und in Unterfranken sogar 27,9 Kilogramm.
Überdurchschnittlich eifrig sammeln die Unterfranken auch Glas (25,7 Kilogramm pro Bürger und Jahr), Papier (85,7) und Holz (27,3 Kilogramm).
Kommentar von Günter Flegel: "Wo bleibt die Müll-Wende?" Bei der Energiewende hat sich die Einsicht durchgesetzt, auch wenn sie bislang nur halbherzig umgesetzt wird: Die beste Energie ist die, die erst gar nicht verbraucht und folglich auch nicht erzeugt und im Land verteilt werden muss.
Beim Abfall liegt die gleiche Logik auf der Hand, doch in der Realität passiert genau das Gegenteil: Der Kunde kann heute kaum noch etwas kaufen, das nicht mindestens einmal eingepackt ist. Daran sind nicht nur die stets bösen Discounter mit ihrem Preiskampf schuld. Auch die Vorschriften zur Hygiene und zur Kennzeichnung von Lebensmitteln zwingen die Hersteller dazu, noch mehr und aufwendiger zu verpacken.
Sicher will keiner zurück zur Mülldeponie am Stadtrand. Das scheinbar perfekte System des Verpackungsrecyclings beruhigt aber das Gewissen von Verkäufern und Käufern, denn der Müllberg, der täglich entsteht, bleibt unsichtbar. Längst treibt in den Weltmeeren ein Ozean aus Plastikmüll, wie eben die erfolglose Suche nach dem verschollenen Flugzeug im Indischen Ozean wieder vor Augen geführt hat: Was auch immer die Suchflugzeuge entdeckten, es war in der Regel nichts anderes als Müll.
Nicht nur mit der Energie gehen die reichen Länder immer noch viel zu verschwenderisch um. Allen besseren Erkenntnissen zum Trotz werden täglich Unmengen von Abgasen und Abfall produziert, als wäre die Erde unendlich groß und ihr Reichtum alleine einigen wenigen Privilegierten vorbehalten. Während der Rest der Welt mit den Abfällen und den Umweltschäden leben muss.
Die Welt ist klein, und wir müssen sie schützen. Und dazu gehört auch eine Müll-Wende.