Chefarzt-Prozess: Hinweise auf sedierte Frauen

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Der Prozess gegen den ehemaligen Leiter der Gefäßchirurgie dauert bereits über ein Jahr. Archivfoto: Anna Lienhardt
Der Prozess gegen den ehemaligen Leiter der Gefäßchirurgie dauert bereits über ein Jahr.  Archivfoto: Anna Lienhardt

Ein Facharzt für Anästhesiologie hat Bilder und Videos untersucht, die der Angeklagte, Heinz W., von Patientinnen gemacht hatte.

Es war eine Überraschung: In einem Prozess, der vom Misstrauen der Verteidigung gegen etliche Gutachter geprägt ist, kam plötzlich einer, der reden durfte. Zumindest eine Weile, und zumindest durfte er aus seiner Tabelle vorlesen.

Als der Universitätsprofessor Dr. Dr. h.c. Norbert Roewer aus Würzburg die Fotos und Videosequenzen bewertete, mussten die Zuschauer den Sitzungssaal im Bamberger Landgericht verlassen. Damit nicht die Intimsphäre von Heinz W.s mutmaßlichen Opfern verletzt werden könnte, schloss das Gericht die Öffentlichkeit aus.
Was diese jedoch noch mitbekam: Der Sachverständige kann es zwar "nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" sagen. Er hält es in der überwiegenden Zahl der Fälle allerdings für naheliegend bis sehr naheliegend, dass "die betreffende Nebenklägerin zum Zeitpunkt der Fertigung der Aufnahme unter dem Einfluss eines Sedativums stand".

So würden bei der Hauptzeugin des Verfahrens etwa der Schwindel beim Umdrehen und eine muskulären Schwäche, zu sehen im Video, darauf hindeuten. Zum Foto einer anderen jungen Frau erklärte er, dass die "extreme Winkelstellung eines Handgelenks" im normalen Schlafzustand nicht vorkomme. Auch in weiteren Fällen kam er aufgrund von Mimik, Gestik, Gesprächsführung, Reaktionsgeschwindigkeit und anderen Faktoren zu dem Schluss, dass es teilweise starke Hinweise auf die Wirkung eines Sedativums gebe.

Auf die Frage von Rechtsanwalt Jürgen Scholl nach einer Häufung sagte der Fachmann: "Indirekt ja. Ich habe kein Bild gesehen, wo ich den Eindruck hatte, dass die Patientinnen nicht sediert waren." Chefarzt-Verteidiger Klaus-Bernsmann hakte nach: Die Formulierung "naheliegend" bedeute nicht, dass nicht auch andere Zustände denkbar seien. Darauf der Gutachter: "Wenn da jemand entblößt liegt, kann ich mir nicht vorstellen, dass er schläft."


Art des Stoffes nicht zu klären

Gleichwohl: Einige Bilder konnte der Sachverständige nicht beurteilen, weil sie nicht verwertbar seien. Und: "Allein aus der Inaugenscheinnahme lässt sich nicht auf die Wirkung speziell von Midazolam oder Tranxilium rückschließen", sagte Roewer am Dienstag vor der Zweiten Strafkammer des Bamberger Landgerichts.
Dort läuft seit über einem Jahr der Prozess gegen den ehemaligen Chefarzt Heinz W. (50). Die Staatsanwaltschaft wirft ihm unter anderem vor, dass er Patientinnen und Klinik-Mitarbeiterinnen mit dem Beruhigunsmittel Midazolam betäubt haben soll - um Aufnahmen aus ihrem Intimbereich anzufertigen und "sexuelle Handlungen (...) vornehmen zu können", wie es in der Anklageschrift heißt.

Genau den Vorwurf des Missbrauchs bestreitet der Angeklagte von Anfang an. "Was immer er getan hat, Vergewaltigungen waren es nicht", sagte Verteidiger Klaus Bernsmann auf FT-Nachfrage. In Bezug auf eine mögliche Sedierung der jungen Frauen deutete Bernsmann an, "dass Herr W. in seinem Forschungseifer möglicherweise etwas über das Ziel hinaus geschossen ist."

Erstaunlich war, dass sowohl Heinz W. selbst als auch sein Verteidiger zu Beginn der Verhandlung den Gutachter als "sachkundig" bezeichneten. Er könne mit "klinischem Blick" gut einordnen, was "in Maßen auch anders sein könnte", merkte Bernsmann an.

Etlichen anderen Sachverständigen hatte die Verteidigung im Prozessverlauf Befangenheit unterstellt oder ihnen die fachliche Kompetenz abgesprochen. Letzteres auch am Dienstag wieder: Bernsmann forderte, den Rechtsmediziner Prof. Dr. Dieter Patzelt durch einen klinischen Pharmakologen vom Universitätsklinikum Erlangen zu ersetzen, weil Patzelt nicht über ausreichendes Wissen verfüge. Die Entscheidung des Gerichts steht noch aus.


Nichtöffentliche Sitzung

Doch was geschah während der nichtöffentlichen Phase, die insgesamt rund fünf Stunden dauerte? Bernd Weigel, stellvertretender Leiter der Pressestelle des Oberlandesgerichts Bamberg, teilte auf Anfrage mit: Der Gutachter habe seinen Gesamteindruck bestätigt, den er in der öffentlichen Sitzung kundgetan hatte.
Anhand der Bilder und Videos habe er detailliert dargelegt, warum er eine Sedierung für sehr naheliegend, naheliegend oder nicht beurteilbar halte. Trotzdem seien noch immer Fragen der Prozessbeteiligten offen.
Weigel merkte an: "Es handelt sich um eine Einschätzung des Gutachters. Ganz am Ende steht immer noch die Wertung durch das Gericht."

Der Prozess geht am Mittwoch (27.4.16) um 9 Uhr weiter. Es ist Verhandlungstag Nummer 52.