Kehren die Briten Europa den Rücken zu? Mancher Bamberger Unternehmer wäre davon besonders betroffen: von der großen Weltfirma bis zum kleinen Cateringservice.
23 Kilo plus Handgepäck: Wenn Sabine Christofzik im Vereinigten Königreich Original-Zutaten für die vielen britischen Köstlichkeiten in ihrem Cateringservice sammelt, setzen ihr bisher nur die Flugbestimmungen Grenzen - und die Straßenverkehrsordnung. "Ich und Linksverkehr? Oh weh!", erklärt die Gundelsheimerin lachend, warum eine Kanal-Überfahrt im großen Transporter für sie nicht in Frage kommt.
Neben ihr im Küchenregal steht die Piccalilli-Sauce neben Senf und Früchte-Chutney, hochwertige Sirup- und Essig-Flaschen reihen sich neben Haggis-Dosen und typischen Pfefferminz-Pasten ein. "Ein großes Lager hilft mir auch deshalb wenig, weil die Nahrungsmittel nicht ewig haltbar sind", sagt die 52-Jährige. Frisch sollten die englischen und schottischen Zutaten sein, aus denen die leidenschaftliche Köchin in Oberhaid britisch-fränkische Kreationen auf die Teller zaubert. "Ich will dazu beitragen, den schlechten Ruf der britischen Küche geradezurücken", sagt die ehemalige FT-Redakteurin, die 2018 von der Tastatur an den Herd wechselte.
Versalzen nun ausgerechnet die Briten der Botschafterin ihrer Cuisine die Suppe? "Mit dem Brexit werden Beschränkungen kommen", prognostiziert die Unternehmerin. Preise würden wohl steigen, auch bei ihrem Versandhändler in Westfalen.
Die wachsende Unzufriedenheit, die immer weiter aufklaffende Schere zwischen arm und reich, die Spannungen in Nordirland: All das bereitet der Insel-Kennerin, die sich bei ihrer allerersten Auslandsreise nach London in dieses stolze Großbritannien "schockverliebt" hat , Sorgen.
Für existenzgefährdend hält die Unternehmerin den Brexit aber nicht. Ihre Speisekarte sei rund um "Shepherds Pie" und "Scotch Egg" mit heimischen Spezialitäten breit genug aufgestellt. ",Todd in the Hole' geht mit fränkischen Bratwürsten genauso", sagt Christofzik.
Kein Gericht, sondern ein Wahrzeichen ist die Essiggurke - - "The Gherkin", wie die Londoner ihren weltberühmten Wolkenkratzer im Finanzbezirk nennen. Dessen Elektroverkabelung stammt von einer Bamberger Firma: Wieland Electric. Der "Weltmarktführer für steckbare Elektroinstallationen für Gebäudetechnik" hat seit 1989 eine Tochtergesellschaft in Guildford in der Nähe der Hauptstadt. Für das Vereinigte Königreich wurden Wieland-Systeme den britischen Standards angepasst. Das machte die Firma mit aktuell 30 Mitarbeitern zu einer der erfolgreichsten Wieland-Töchter.
"Wieland bereitet sich systematisch und schon seit längerer Zeit auf diesen Fall vor. Um die pünktliche Belieferung unserer Kunden in UK auch im Falle eines Austritts von Großbritannien aus der EU verlässlich sicherzustellen, haben wir mit einer frühzeitigen Anpassung von Logistik, Lagerhaltung und Prozessen reagiert", erklärt Geschäftsführer Ulrich Schaarschmidt. Auf den Großbaustellen gibt es fixe Lieferzeiten, die eingehalten werden müssen - mit Zollschranken eine zusätzliche Herausforderung für die Mitarbeiter in Guildford.Auch 142 Kilometer weiter nördlich dürften sich die Mitarbeiter Gedanken machen. Hier hat ein anderes Bamberger Unternehmen ebenfalls seit rund 30 Jahren eigene Fertigungsstätten: Brose. Nissan, Jaguar/Land Rover und Toyota beliefert der Automobilzulieferer von England aus mit Fensterhebern, anderen Türkomponenten und mit Sitzen. Zollschranken und Grenzkontrollen wirken in der Wirtschaft wie natürliche Feinde einer Just-in-Time-Produktion. Das weiß man auch bei Brose, wo die Produktion nah am Kunden zur Erfolgsstrategie gehört. "Wir verfolgen die Entwicklung genau und werden unsere Strategie immer auch an den Plänen unserer Kunden und deren Standortentscheidungen ausrichten", sagte Unternehmenssprecher Jan Säger bereits 2017, als die Brexitverhandlungen noch am Anfang standen.