Bei Anruf Rettung: Bayerische Leitstellen managen die Notfälle

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An den Einsatzleitplätzen der Integrierten Leitstelle Bamberg-Forchheim herrscht rund um die Uhr Hochbetrieb. Matthias Hoch
An den Einsatzleitplätzen der Integrierten Leitstelle Bamberg-Forchheim herrscht rund um die Uhr Hochbetrieb.  Matthias Hoch
Matthias Böhmer leitet die Integrierte Leitstelle Bamberg-Fochheim. Matthias Hoch
Matthias Böhmer leitet die Integrierte Leitstelle  Bamberg-Fochheim.  Matthias Hoch
 

Wer in Bayern die Nummer 112 wählt, landet bei einer von 26 Integrierten Leitstellen. Alleine die Bamberger Retter beantworten pro Tag mehr als 330 Anrufe. Nicht immer handelt es sich um Notfälle.

Manchmal schlucken sogar erfahrene Kollegen. Dezember 2018: Ein aufgeregter Mann wählt den Notruf. Er meldet, dass es seiner schwangeren Frau plötzlich schlecht gehe. Eine Sturzgeburt droht. Richtig dramatisch wird es, als die Nabelschnur reißt. Der Mitarbeiter in der Rettungsleitstelle bleibt gelassen und zeigt lebensrettendes Improvisationstalent: Per Telefon leitet er den Vater an, die Nabelschnur abzubinden - mit einem Schnürsenkel. Wenig später trifft der Rettungsdienst ein; Vater, Mutter und Kind werden versorgt. Sie alle haben den Vorfall wohlauf überstanden. Ausruhen kann sich der Mann in der Leitstelle nicht lange. Schon wieder leuchtet der rote Knopf.

Mehr als 330 Anrufe pro Tag gehen allein in der Integrierten Leitstelle (ILS) Bamberg-Forchheim ein. "Nicht jeder davon ist ein Notfall und führt zu einem Rettungseinsatz", erklärt ILS-Leiter Matthias Böhmer. Wer in Forchheim sowie Stadt und Landkreis Bamberg die 112 wählt, kommt bei der Leitstelle in Bamberg raus. Die Kollegen an den Einsatzleitplätzen, die einer Kommandozentrale sehr ähneln, müssen grundsätzlich alle Telefonate annehmen. 124 000 sind es in Böhmers Zuständigkeitsbereich pro Jahr. Mehr als 60 000 Einsätze von Rettungsdienst und Feuerwehr ergeben sich daraus.

Bisweilen müssen die Disponenten die Anrufer zum Ärztlichen Bereitschaftsdienst weiterleiten, denn nicht immer handelt es sich um echte Notfälle. Manchmal gehen zu einem Ereignis mehrere Anrufe ein, etwa bei einem Flächenbrand oder schweren Verkehrsunfall. Knapp 40 Mal am Tag wird die Notrufnummer fehlerhaft gewählt. "In der Regel gehen Smartphones in der Hosentasche los oder Kleinkinder drücken ungefragt auf den Handys ihrer Eltern herum", so Böhmer.

Nur selten handelten die Leute böswillig, meint er. "Aber auch das kommt vor. Solche Fälle landen dann bei der Staatsanwaltschaft." Auch auf den ersten Blick kuriose Beispiele stoßen den Mitarbeiter*innen der Leitstelle sauer auf. Etwa wenn Menschen per Notruf erfahren wollen, wo die nächste Tankstelle ist, oder sie ein Taxi bestellen. "Es wollte sogar schon einmal jemand seine Glühbirne ausgewechselt haben", erzählt Böhmer.

"Aber solche Anrufe bilden zum Glück die Ausnahme", meint Christine Feldbauer. Sie ist die Geschäftsführerin des Zweckverbandes für Rettungsdienst und Feuerwehralarmierung (ZRF) Bamberg-Forchheim. 26 solche Zweckverbände gibt es in Bayern. Die betreiben die Integrierten Leitstellen, kümmern sich um Ausschreibungen oder Verträge und überwachen die Leistungsstandards. Zuständig ist die hiesige ILS für beinahe 340 000 Menschen (zuzüglich den Touristen) auf einer Fläche von etwa 1900 Quadratkilometern. Zur Verfügung stehen Rettungsdienste, Feuerwehren, Technisches Hilfswerk, Bergwacht und Wasserrettung.

Aber: Die ILS rückt nicht zur Rettung aus. Sie koordiniert Rettungsorganisationen wie zum Beispiel das Bayerische Rote Kreuz (BRK), die Malteser und den Arbeiter-Samariter-Bund. In der ILS arbeiten sogenannte Disponenten. Diese müssen eine umfangreiche Ausbildung vorweisen. Neben den Ausbildungen zum Brandinspektor und Rettungsassistenten müssen sie sogenannte Disponentenlehrgänge an der Staatlichen Feuerwehrschule Geretsried absolvieren.

Die harte Ausbildung macht Sinn. "Unsere Leute behalten selbst in hektischen Situationen einen kühlen Kopf", sagt Matthias Böhmer. Das müssen sie auch, schließlich haben sie es mit aufgeregten Menschen in Ausnahmesituationen zu tun. "Gefragt sind Einfühlungsvermögen, klare Anweisungen und ein gutes Gespür. Jeder entwickelt im Laufe der Zeit seine eigenen Routinen, um selbst nicht in Aufregung zu verfallen."

Die Zeit läuft: In spätestens zwölf Minuten sollte ein Rettungswagen jeden Ort erreichen können. Um reibungslose Abläufe zu haben, muss die Technik funktionieren. Die Einsatzleitsoftware, die sich vor jedem Disponenten auf mehrere PC-Bildschirme verteilt, ist das A und O. Sie muss fehlerfrei laufen. Mithilfe des Programmes können Daten schnell aufgenommen, dank GPS-Unterstützung Notfallorte rasch gefunden und Retter in der Nähe benachrichtigt werden.

Auch das Thema Cybersicherheit schreiben die Retter groß: Die Integrierten Leitstellen in Bayern sind untereinander über ein exklusives Datennetz (virtual private network, VPN) verbunden. Sollte eine Leitstelle ausfallen, so kann eine andere ihre Aufgaben vollständig übernehmen.

Bei aller Routine geraten selbst erfahrene Profis mitunter in außergewöhnliche Situationen. Schwer zu schaffen machen den Rettern vor Ort etwa schwindender Respekt vonseiten der Bürger, teils dreiste Behinderungen ihrer Arbeit und gar körperliche Angriffe während der Rettungseinsätze. Auch in den Leitstellen gibt es Tage, die sich von den gewöhnlichen abheben. Während etwa das Sturmtief "Fabienne" im vergangenen Herbst über Franken wütete, schrillte der Notruf bis zu 460 Mal in der Stunde. "Solche Großgefahrenlagen gehen an die Substanz", sagt Böhmer. Personell wie mental. Sind alle Notruf-Leitungen belegt, kann es schon vorkommen, dass Anrufer in der Warteschleife landen. "Aber das ist die Ausnahme", fügt er hinzu.

"Leider bekommen wir nicht oft Rückmeldungen, was aus den Notfällen geworden ist", sagt Christine Feldbauer. Schöne Erfolgsgeschichten motiviere die Leitstellen-Disponenten trotz langer Arbeitstage stets aufs Neue. Wie etwa die Geschichte eines dreijährigen Mädchens, deren Großvater vor einigen Jahren kollabierte. Das Mädchen wählte den Notruf und reanimierte ihn nach den Anweisungen des Leitstellenmitarbeiters. Ihr Opa überlebte.

Kommentar vom Autor: "Etwas mehr Respekt, bitte!"

Manche Menschen sind Tag und Nacht unterwegs, wenn es anderswo brennt. Im wahrsten Sinne rückt dann die Feuerwehr aus. Im übertragenen Sinne Rettungswagen und Polizei. Immer mehr Retter erzählen von Situationen, in denen sie von Schaulustigen dreist behindert, von Umstehenden fies beleidigt und manchmal sogar tätlich angegriffen werden. Das ist derart unvorstellbar, dass einem fast die Worte fehlen.

Denn: Wer in eine Notsituation gerät - und das kann allen passieren - hofft auf schnelle Hilfe. Sind die Retter eingetroffen, vertraut der Verunglückte darauf, bestmöglich behandelt zu werden. Eine große Verantwortung selbst für erfahren Notärzte. Noch mehr für ehrenamtliche Löschgruppen der Freiwilligen Feuerwehr.

Wer zu faul oder feige ist, selbst als Ersthelfer einzugreifen oder den Rettungskräften ihre Arbeit zu erleichtern, möge bitte wenigstens gebührenden Abstand halten. Wer das nicht kapiert, sollte nötigenfalls mit empfindlichen Strafen daran erinnert werden, dass solches Fehlverhalten mehr ist als grober Unsinn. Es kann Menschenleben kosten.