Bamberg: Erzbischof Schick nach Missbrauchsfällen unter Druck - warum schwieg er 16 Jahre lang?
Autor: Daniel Krüger, Ralf Welz
Bamberg, Mittwoch, 28. Sept. 2022
Immer mehr Betroffene melden ebenfalls sexuellen Missbrauch durch den langjährigen Wallenfelser Pfarrer Dieter S. Erzbischof Ludwig Schick spricht von einem "Versagen der Bistumsleitung" - doch auch sein eigenes Verhalten wirft Fragen auf.
- Erzbischof Ludwig Schick nach Missbrauchsskandal unter Druck
- "Versagen der Bistumsleitung": Schwerwiegende Fehler eingeräumt
- Erzbistum schweigt 16 Jahre lang - Opfer erhielten "Anerkennungszahlungen"
- Keine Strafanzeigen unter Schicks Leitung - Pfarrer lebte unbehelligt in Franken
Nach dem Bekanntwerden von langjährigen Missbrauchsfällen durch den Wallenfelser Pfarrer Dieter S. verspricht das Erzbistum Bamberg in mehreren Mitteilungen Aufarbeitung und Transparenz. Man wolle den "Opfern und Betroffenen" gerecht werden, die "Sachlage gänzlich erforschen und öffentlich machen" und räumt "schwere Versäumnisse der Bistumsleitung" ein. Doch neue Informationen werfen auch Fragen zu dem Umgang von Erzbischof Ludwig Schick und seinen Mitarbeitenden mit den Taten des Priesters auf.
Erzbistum Bamberg werden mehrfach Missbrauchsfälle gemeldet - doch niemand informiert die Polizei
1963 meldeten sich laut Erzbistum zwei junge Männer bei Weihbischof Johannes Lenhardt. Kaplan Dieter S., damals in Nürnberg tätig, habe "sexuelle Annäherungsversuche" bei den Minderjährigen unternommen. Eine Strafanzeige gegen S. stellte das Erzbistum nicht. "In den Akten finden sich keine Hinweise darauf, dass Strafanzeige erstattet wurde. Es gibt jedoch Aussagen von Betroffenen, die nicht wollten, dass die Vorwürfe an die Öffentlichkeit gelangten. "Warum das Bistum Staatsanwaltschaft oder Polizei nicht eingeschaltet hat, ist für uns nicht nachvollziehbar", erklärt das Erzbistum gegenüber inFranken.de. Man könne dies auch nicht rekonstruieren, weil Lehnhardt und der damalige Weihbischof nicht mehr am Leben sind.
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Stattdessen verbannte man den Priester in ein Kloster, um "zur Besinnung" zu kommen. Dieter S. schrieb dort "zwei Entschuldigungsbriefe" für seine Taten an das Erzbistum, durfte nach rund einem Jahr als Seelsorger nach Bolivien reisen - und wurde 1969 vom Erzbistum wieder in fränkischen Kirchen eingesetzt. Bei seinem ersten Aufenthalt in dem lateinamerikanischen Land handelte es sich ausdrücklich nicht um eine "Strafversetzung", sondern um einen "Wunsch", wie das Erzbistum gegenüber inFranken.de bestätigt.
In Wallenfels, wo er als Pfarrer 25 Jahre lang die Gemeinde leiten sollte, ahnte man von der Vorgeschichte freilich nichts. Eltern vertrauten dem Mann, der laut Schilderungen als "charismatisch" und "prägend" für die Jugend galt, über mehr als zwei Jahrzehnte ihre Kinder an. In dieser Zeit verging sich der Geistliche erneut an Gemeindemitgliedern, laut Erzbistum vorwiegend an "Jungen im Ministrantenalter". 1999 wurde dem Erzbistum erneut ein Missbrauchsfall gemeldet. Zu dieser Zeit war Dieter S. wieder in Bolivien. "Das zweite Mal verließ er 1996 das Erzbistum ohne Absprache und tauchte in Bolivien unter, nach einem Streit mit dem Pfarrgemeinderat", erklärt das Erzbistum inFranken.de.
Weitere Missbrauchsmeldung bleibt ohne Konsequenzen - Pfarrer Dieter S. zurück in Franken
Auch diese Meldung sexuellen Missbrauchs blieb ohne Konsequenzen - auch hier informierte niemand die Behörden. "Die Überprüfung des Vorwurfs war schwierig, weil er nicht von einem Opfer kam und sich Pfarrer S. in Bolivien aufhielt", heißt es zur Begründung. 2002 wurde dann der Fuldaer Theologe Ludwig Schick zum neuen Bamberger Erzbischof ernannt. Doch auch unter der Leitung von Schick wurde der neue Missbrauchsvorwurf gegen Dieter S. vonseiten des Erzbistums offenbar nicht weiter verfolgt - die Polizei nicht involviert. Der inzwischen 70-jährige Priester wurde 2003 von Schick "regulär in den Ruhestand" versetzt, heißt es.
Er kehrte aus Bolivien nach Wallenfels zurück. Am Ort seiner Missbrauchstaten lebte der Ehrenbürger der Stadt, Dieter S., bis zu seinem Tod 2005 ganz unbehelligt. 17 Jahre später ist in Wallenfels nichts mehr, wie es einmal war. Der Grund: Eine Mitteilung des Erzbistums Bamberg vom Mittwoch, 21. September 2022, in der es heißt, dass man - "nach ernst zu nehmenden Hinweisen auf Fälle von sexuellem Missbrauch" durch Dieter S. - Betroffene dazu aufrufe, sich zu melden. Dass diese Hinweise allerdings nur für die Öffentlichkeit neu sind, wird in den darauffolgenden Zeilen klar.