Für Mieter und Vermieter ist das Zahlenwerk gleichermaßen interessant, das diese Woche im Stadtrat diskutiert wird. Erstmals wurde ein qualifizierter Mietspiegel für Bamberg erstellt. Unser Bild zeigt das Wohngebiet unweit der Konzerthalle. Foto: Ronald Rinklef
Nach langer Vorgeschichte erhält Bamberg erstmals einen qualifizierten Mietspiegel. Das Zahlenwerk könnte den heiß gelaufenen Wohnungsmarkt entspannen, hoffen Politiker. Experten aus der Branche sind da eher skeptisch.
Stefan (44) erhielt den Brief kurz vor Weihnachten: Mieterhöhung um 20 Prozent für seine Vier-Zimmer-Wohnung im Berggebiet. "160 Euro mehr im Monat! Erst einmal war ich geschockt", berichtet der Vater von zwei Kindern.
Vier Monate danach hat sich die Aufregung wieder etwas gelegt. Stefan hat guten Grund zur Annahme, mit Hilfe seines Rechtsbeistands das Erhöhungsbegehren des Vermieters abschmettern zu können. Die Ebbe in der Haushaltskasse - vorerst scheint sie abgewendet.
Die Familie aus dem Berggebiet ist jedoch kein Einzelfall. "Mancher Vermieter hat die letzten Monate genutzt, um "schnell noch einen Rundumschlag zu veranstalten und die Preise bis an die Schmerzgrenze zu erhöhen", sagt Rechtsanwalt Thomas Kliemann.
Der Vorsitzende des Bamberger Mietervereins vertritt die Interessen von 2800 Mitgliedern und kennt die Härten des zumindest teilweise aus den Fugen geratenen Bamberger Wohnungsmarkes wie kaum ein zweiter. Bamberg leidet unter einer steigenden Zahl von schwarzen Schafen, die sich das Missverhältnis aus Angebot und Nachfrage mit kräftigen Zuschlägen zunutze machen. Deshalb ist er froh über das, was der Stadtrat demnächst absegnen soll: den ersten qualifizierte Mietspiegel Bambergs. Seit Jahren gefordert Das Zahlenwerk mit 15 Mittelwerten und ebenso viel Preisspannen war von der Bamberger Wohnungswirtschaft seit vielen Jahren mit Nachdruck gefordert worden. Um Rechtssicherheit bei Streitigkeiten zu schaffen, um Preistreibern das Handwerk zu legen oder im Umkehrfall um begründete Preiserhöhungen der Hauseigentümer durchzusetzen.
Jetzt ist er also da: Der qualifizierte Mietspiegel, der die über viele Jahre bloß fortgeschriebene gewöhnliche Preistabelle von 2002 ersetzen soll. Erarbeitet wurde er vom Hamburger Gewos-Institut für Stadt-, Regional- und Wohnforschung. Anders als sein Vorgänger ist er nach Angaben der Stadt auf streng wissenschaftlicher Grundlage entstanden, das heißt die Zahlen beruhen auf einer repräsentativen Zufallsstichprobe, die bei 806 Bamberger Haushalten durchgeführt wurde. Bescheidene Mittelwerte Zum Erstaunen vieler, die das Zahlenwerk bisher begutachten konnten, ist der befürchtete Preissprung nicht eingetreten. Die in den letzten Monaten beklagten Kostensteigerungen sind der gerichtsrelevanten Tabelle nämlich nicht zu entnehmen. Sprach etwa der Autor des Stadtentwicklungsplans Wohnen Klaus-Peter Möller Ende 2013 noch von sagenhaften 8,72 Euro Durchschnittsmiete in Bamberg, liest sich das nun deutlich bescheidener: Die Mittelwerte für die Quadratmetermieten der meisten Wohnungen bewegen sich je nach Wohnfläche und Baualtersklasse zwischen 5,57 und 8,21 Euro; die Preisspannen liegen abhängig von der Ausstattung zwischen 4,51 und 10,13 Euro.
Mieten um sechs Euro? Wer auf den einschlägigen Angebotsseiten im Internet oder der Zeitung nachsieht, stößt auf ganz andere Werte, die nicht selten weit über zehn Euro den Quadratmeter geklettert sind. Ein Widerspruch? Einerseits wundert Thomas Kliemann das vergleichsweise günstige Preisgefüge des neuen Mietspiegels nicht, denn in die Berechnung findet ja vor allem die hohe Zahl von über 28000 Bestandsmieten in Bamberg Eingang. Andererseits freut es den Mieterschützer natürlich, dass sich die Ausgangslage seiner Klientel im Fall von Rechtsstreitigkeiten zumindest nicht dramatisch verschlechtert hat. Gut für den sozialen Frieden Der neue Mietspiegel - er könnte auf den sozialen Frieden in Bamberg positive Wirkung haben, weil er dazu beiträgt, dass die Mieten erschwinglich bleiben und der soziale Wettbewerb nicht noch weiter fortschreitet. Das glaubt Helmut Müller von der Bamberger CSU. Er hatte die Einführung eines qualifizierten Mietspiegels auch deshalb gefordert, weil er gleichzeitig Vorsitzender des Haus- und Grundbesitzervereins ist. Müller stellt gar nicht in Abrede, dass einige der Bamberger Hausbesitzer von den Zahlen deshalb enttäuscht sein könnten, weil sie so niedrig sind. Doch was wäre die Alternative gewesen? Schon über zehn Jahre musste die Bamberger Wohnungswirtschaft ohne verlässliche Datengrundlage auskommen. Heinz Kuntke zweifelt Positiv fällt die Bilanz der Grünen aus, nicht nur weil die Stadt nun die Wohnungskosten für den Unterhalt anheben müsse. Die Befürchtung eines Preisschocks hätten sich nicht bestätigt, sagt Peter Gack. Gleichwohl warnt er, jetzt die Hände in den Schoß zu legen: "Ein neuer Mietspiegel ersetzt nicht die Neuschaffung von Wohnungen."
Andererseits: Es gibt auch Zweifler. Heinz Kuntke (SPD) etwa war bislang nicht gut auf den Mietspiegel zu sprechen: Als Richter, der lange Zeit auch im Mietrecht Entscheidungen fällte, weiß er nur zu gut, dass ein qualifizierter Mietspiegel allein deshalb dazu beitragen könnte, Mietpreiserhöhungen zu beschleunigen, weil der Nachweis von ortsüblichen Vergleichsmieten dadurch viel einfacher wird. Doch an den Werten des neuen Mietspiegels will auch die SPD nicht kritteln. Wird der Mietwohnungsbau ausgebremst? Der Spitzenreiter am Montag auf einer Internetseite: Ein möbliertes Studentenappartement in der Bamberger Egelseestraße wird für 13,21 (!) Euro pro Quadratmeter feilgeboten. Außerdem im Angebot: Weit über ein Dutzend Wohnungen mit Quadratmeterpreisen um oder über zehn Euro. Unbezahlbar? Das Gegenteil ist der Fall. Glaubt man Hans-Jürgen Strey von der Joseph Stifung, dann werden solche Mieten tatsächlich gezahlt. Und womöglich bald noch höhere, sollte der Trend in die Stadt zu ziehen, ungebrochen anhalten. Der Mietspiegel scheint für den Branchenkenner dagegen fast so etwas wie Nostalgie: "Das eine ist der Mietspiegel, das andere die Realität", sagt er. Im Neubau gebe es kaum mehr Mieten unter neun Euro.
Auch bei Heiner Kemmer von der Bamberger Stadtbau GmbH löst der neue Mietspiegel zwiespältige Gefühle aus. Einerseits sei für es gut für das soziale Klima in der Stadt, dass der gefürchtete Preissprung ausgeblieben sei. Andererseits müsse man sich darüber im Klaren sein, dass der ein oder andere Geldgeber schon überlegen werde, ob es sich angesichts der gestiegenen Baukosten überhaupt noch rentiert, Geld in Wohnungen zu stecken. Kemmer: Der Mietwohnungsbau wird durch den Mietspiegel nicht angekurbelt."
Ausstattung Auch im Mietspiegel gibt es beträchtliche Preisspannen. Um diese Unterschiede nachvollziehbar zu machen, hat sich ein Arbeitskreis der Stadt auf zusätzlich 24 Ausstattungsmerkmale geeinigt, die einer Wohnung entweder Plus-oder Minuspunkte bescheren können.
Zwei Pluspunkte Grundriss verbessert oder Schallschutz eingebaut? Elektroinstallation erneuert oder Wärmedämmung verbessert? Wenn mindestens zwei dieser Maßnahmen durchgeführt wurden,gibt es dafür zwei Punkte. Außerdem für zwei Punkte gut: Aufzug in Gebäuden mit fünf und weniger Stockwerken.
Ein Pluspunkt Einbauküche, Schallschutzfenster, getrenntes Bad und WC oder ein zweites WC erbringen ebenso einen Pluspunkt wie Rollläden, Trockenraum oder Gartenbenutzung. Auch Freizeiteinrichtungen wie zum Beispiel allgemein zugängliche Bäder oder Sportanlagen, die innerhalb von fünf Minuten erreichbar sind, verbessern das Konto um einen Zähler. Das selbe gilt für Arzt, Apotheke, Schule, Kindergarten, Nahversorgungseinrichtungen, die innerhalb von fünf Minuten erreichbar sind. Auch sonstige positive Merkmale können zur Abrundung ein bis drei Punkte bringen.
Minus drei und zwei Punkte Einzelöfen oder Etagenheizung mit Brennstoffnachfüllung von Hand lassen das Punktekonto um drei Punkte schrumpfen. Keine zentrale Warmwasserversorgung kostet ebenso zwei Punkte wie fehlende Loggia, Balkon oder Terrasse.
Minus einen Punkt Gebäude mit mehr als sieben Stockwerken führen zum Abzug von einem Punkt. Ebenso das Fehlen einer Gegensprechanlage oder eines Kellers oder Bodenraumes. Sollte der nächste Park (mindestens so groß wie ein Fußballfeld) mehr als einen Kilometer entfernt sein, schmälert das die Attraktivität der Wohnung (minus ein Punkt): Dasselbe gilt für Beeinträchtigungen durch Rauch, Staub, Geruch, Schmutz, Erschütterungen sowie durch Straßen-, Bahn- und Industrielärm. Auch der schlechte Zustand der Fenster, fehlendes Licht oder wenig Lichteinfall kostet einen Punkt. Zudem können zur Abrundung weitere Punktabzüge geltend gemacht werden.
Einordnung Erhält eine Wohnung minus drei oder weniger Punkte, wird sie in die untere Hälfte der Differenz zwischen Spannenunterwert und Mittelwert des gültigen Mietspiegels eingeordnet. Erhält sie minus zwei bis minus einen Punkt, wird sie in die obere Hälfte der Differenz zwischen Spannenunterwert und Mittelwert ein geordnet.
Verbesserung Erhält sie null bis zwei Punkte, wird sie in die untere Hälfte der Differenz zwischen Mittelwert und Spannenoberwert eingeordnet. Erhält sie drei oder mehr Punkte wird sie in die obere Hälfte der Differenz zwischen Mittelwert und Spannenoberwert eingeordnet.