Auch Jesus, Maria und Josef waren Flüchtlinge

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Die Bamberger Krippenfreunde zeigen bis zum 6. Januar in der Maternkapelle auch Szenen von Maria, Josef und dem Jesuskind auf der Flucht. Foto: Marion Krüger-Hundrup
Die Bamberger Krippenfreunde zeigen bis zum 6. Januar in der Maternkapelle auch Szenen von Maria, Josef und dem Jesuskind auf der Flucht.  Foto: Marion Krüger-Hundrup
Johann Hinrich Claussen entdeckt die Bibel als das Buch der Flucht schlechthin. Foto: Andreas Schoelzel
Johann Hinrich Claussen entdeckt die Bibel als das Buch der Flucht schlechthin. Foto:  Andreas Schoelzel
 
Eine weitere Szene von Maria, Josef und Jesus auf der Flucht. Foto: Marion Krüger-Hundrup
Eine weitere Szene von Maria, Josef und  Jesus auf der Flucht.  Foto: Marion Krüger-Hundrup
 

In der Bamberger Erlöserkirche gab es eine hoch aufgeladene Lesung biblischer Erzählungen. Es sind Berichte von Vertriebenen, Migranten und Wohnungslosen.

Oh nein, Johann Hinrich Claussen (54) hebt keinen moralischen oder moralisierenden Zeigefinger. Der Kulturbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland übersetzt die Bibel in zeitgemäße, freie Sprache. Liest sie neu, wie vor Weihnachten in der Bamberger Erlöserkirche. Doch stimmungsgetränkt weihnachtlich, voll Süßlichkeit und Gefühlsduselei war diese hoch aufgeladene Lesung nicht. Claussen brachte die Bibel als explosives Flüchtlingsbuch zu Gehör. Denn es sind Vertriebene, Migranten, Wohnungslose, die die Heilige Schrift bevölkern. Auch Jesus, dessen Geburt in diesen Tagen weltweit gefeiert wird, ist ein Flüchtlingskind.

In Bethlehem geboren von seiner Mutter Maria, behütet von seinem Ziehvater Josef huldigen ihm die Hirten als dem neuen König der Juden. Diesem obdachlosen Baby, das in einer Futterkrippe im Stall liegt. Auch drei Weise aus dem Morgenland fallen vor dem Kind auf die Knie. Und dann hat Josef einen Traum. Ein Engel erschien ihm und sprach: "Steh auf, nimm das Kind und seine Mutter, flieht nach Ägypten und bleibt dort, bis ich dir sage, dass ihr zurückkehren sollt! Denn König Herodes sucht das Kind, um es zu töten." Da stand Josef auf, nahm mitten in der Nacht das Kind und seine Mutter und floh mit ihnen nach Ägypten.

"Unstet und flüchtig sollst du sein"

Johann Hinrich Claussen erzählt die biblische Vertreibungsgeschichte mit diesen Worten. Dabei begann ja schon alles mit der Vertreibung von Adam und Eva aus dem Paradies. Bedenkenswert, dass der Gedenktag des ersten Menschenpaares ausgerechnet auf den Heiligen Abend, also den 24. Dezember, fällt. Es geht weiter in der Bibel mit ihrem Sohn Kain, der seinen Bruder Abel erschlug. Danach bekommt er von Gott selbst gesagt: "Unstet und flüchtig sollst du sein auf Erden."

Abraham ist schon Migrant und muss noch vor einer Hungersnot fliehen. Jakob weicht vor seinem Bruder aus. Israel wächst in der Fremde zu einem Volk heran, in Ägypten. Es flieht und streift 40 Jahre heimatlos durch die Wüste, erobert sich ein Land und wird aufs Neue vertrieben. Auch Jesus lebt ohne festen Wohnsitz in Armut und Unsicherheit. Seine griechisch-jüdischen Anhänger werden nach seinem Tod - und seiner Auferstehung - aus Jerusalem vertrieben. Paulus ist ein Verfolger und wird Christ - und damit ein Verfolgter. Die Apostel ziehen ins Exil, sind heimatlos in der Welt.

Ein frischer Blick lohnt sich

"Wer die Bibel heute mit seinen eigenen Fragen und Erfahrungen liest, schreibt sie auf seine Weise fort", sagt Claussen. "Die Flüchtlingskrise ist nicht nur ein aktuelles Problem, sondern eine epochale Herausforderung, denn sie stellt die grundsätzliche Frage nach dem Eigenen und dem Fremden", da lohne sich ein frischer Blick in das "Grundbuch europäischer Kultur".

Während in Bamberg die Wogen hoch schlagen, wenn es im Ankerzentrum für Asylbewerber beiderseitige Probleme "mit dem Fremden" gibt, schlägt der evangelische Theologe Claussen die Bibel auf und findet Prophetensprüche, Psalmen, Gleichnisse über die Gastfreundschaft. Was in deutschen Bibelübersetzungen "Gastfreundschaft" genannt wird, heißt im griechischen Original "xenophilia", also "Fremdenfreundlichkeit" oder "Fremdenliebe": "Sie ist ein Sonderfall der Nächstenliebe, die sich nicht auf den eigenen Nahbereich beschränkt, sondern sich im Prinzip auf alle Menschen richtet", so Claussen. Kaum eine andere Mahnung wird in den Briefen des frühen Christentums so häufig wiederholt und eingeschärft: "Seid gastfrei untereinander, ohne zu murren". Oder anders ausgedrückt: Seid allgemein Menschenfreundlich und überwindet die Grenze zwischen Christen und Nichtchristen.

Grundlinie christlicher Humanität

Denn: "Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr für mich getan." Das wird Jesus als erwachsener Mann einmal verkünden: politisch unpolitisch sozusagen. Als ethische Grundlinie christlicher Humanität, über deren politische Umsetzung in Bamberg gestritten werden kann. Nicht nur zu Weihnachten.

Buchtipp: Johann Hinrich Claussen las in der Erlöserkirche aus seinem neuen Werk: "Das Buch der Flucht. Die Bibel in 40 Stationen". Verlag C.H.Beck 2018, 24,95 Euro.