Hermine Schnabel aus der Lichteneiche machte in einem Leserbrief ihrem Ärger über den Sozialstaat Luft. Was dann passiert, rührt die 71-Jährige zu Tränen.
Auf den Urlaub auf Gran Canaria hatten sich Hermine Schnabel und ihr Mann Peter schon lange gefreut. Denn Reisen war schon immer ihre große Leidenschaft. Doch dass diese Reise anlässlich ihrer Goldenen Hochzeit die letzte gemeinsame sein sollte, damit hätte niemand gerechnet: Auf dem Heimflug, Anfang November letzten Jahres, starb Peter Schnabel im Flugzeug - mit gerade einmal 74 Jahren.
"Ich habe noch an die Toilettentür geklopft. Da sagte er mir, dass es ihm gut gehe", erinnert sich Hermine Schnabel noch ganz genau. Über Frankreich verschlechtert sich sein Zustand plötzlich. Er wird bewusstlos. Zwei Passagiere - beide waren Ärzte - kümmerten sich um Peter Schnabel und versuchten, ihn mit Herzmassage und Mund-zu-Mund-Beatmung ins Leben zurückzuholen. "Ich habe gar nicht viel mitbekommen. Ich habe nur funktioniert", sagt die 71-Jährige heute.
Es war die Liebe ihres Lebens
Das Flugzug ist in Toulouse notgelandet, damit der 74-Jährige ins Krankenhaus gebracht werden konnte. Kurze Zeit später ist er gestorben. Für Hermine Schnabel die schlimmste Zeit ihres Lebens.
Ein Jahr später fällt es der 71-Jährigen noch immer schwer, über ihren verstorbenen Mann zu sprechen. "Ich vermisse ihn einfach sehr", sagt sie unter Tränen. Mit 20 lernte sie den Matrosen in der Tanzbar "Zum Elefantenhaus" in der Generalsgasse kennen. Nur ein paar Monate später heirateten sie und waren ab da unzertrennlich. Sogar mit aufs Binnenschiff begleitete Hermine Schnabel ihren Mann. Sieben Jahre lang bereisten sie so Holland, Belgien, Frankreich und die Schweiz. 1968 kam dann ihr erster Sohn zur Welt, der direkt mit aufs Schiff kam. Erst zu seiner Einschulung 1973 wurde die kleine Familie wieder in Bamberg sesshaft und freute sich über ihren zweiten Sohn.
Vor sechs Jahren zog das Ehepaar dann in eine Wohnung in der Lichteneiche, wo die 71-Jährige nun alleine wohnt. Doch die Frage ist, wie lange sie sich das noch leisten kann? Denn ihr Mietzuschuss, den sie ein Jahr lang nach dem Tod ihres Mannes bekommen hat, wird nun nicht mehr weiter gezahlt. Dabei handelt es sich um knapp 50 Euro im Monat - zehn Prozent der Miete. Die Begründung: Die 63 Quadratmeter große Wohnung sei für sie alleine zu groß. "Ich würde ja umziehen. Aber ich finde nichts Kleineres, das günstiger ist", beklagt die Rentnerin.
Wut auf den Sozialstaat
Als sie dann einen Artikel im Fränkischen Tag über die Sozialleistungen las, die monatlich an die in der Aufnahmeeinrichtung Oberfranken untergebrachten Flüchtlinge gezahlt werden, platzte ihr beinahe der Kragen. Das machte sie auch in einem Leserbrief deutlich. "Heute werden Ansprüche gestellt und gegen den Staat geklagt, weil sie keine 100 Euro Taschengeld bekommen. Es wird gesagt, sie würden es für Zigaretten und Sonstiges benötigen. Viele Rentner, die ihr ganzes Leben gearbeitet haben, haben nicht mal das zum Lebensunterhalt. Wo bleibt da der Sozialstaat?", schreibt sie darin. Abzüglich aller laufenden Kosten, wie Miete, Strom oder Telefon, bleiben der 71-Jährigen derzeit circa 200 Euro im Monat übrig.
Ein FT-Leser wurde auf den Leserbrief von Hermine Schnabel aufmerksam. Und dann kam etwas, womit niemand gerechnet hätte. Ein paar Tage nach Veröffentlichung kam bei Chefredakteur Frank Förtsch ein weißer Umschlag an - mit der Aufschrift "An den Chefredakteur persönlich - nicht von Poststelle zu öffnen!". Zuerst schwante Frank Förtsch Böses: Ärger? Beschimpfungen? Doch der Inhalt verblüffte ihn: 100 Euro und ein handgeschriebener Brief.
Hermine Schnabel kann es kaum fassen
Der anonyme Verfasser bezieht sich auf den Leserbrief von Hermine Schnabel, den er "sehr ehrlich, berührend und zuletzt auch mutig" fand. Er zahle von seinem Gehalt zwar viele Steuern und Sozialabgaben, aber dies zeige ihm mal wieder, dass es nicht an den richtigen Stellen ankommt.
Als Frank Förtsch die Zeilen aus dem Brief vorliest, kann Hermine Schnabel ihre Tränen nicht mehr zurückhalten und fängt an zu zittern: "Das ist ein Schock für mich, ein positiver natürlich."
Hermine Schnabel kann es nicht fassen, dass ihr ein Unbekannter einfach 100 Euro zukommen lässt. "Das ist ein Geschenk, da komme ich gar nicht drüber weg." Für die 71-Jährige sind die 100 Euro viel Geld - besonders jetzt zu Weihnachten. "Weihnachtsgeschenke für meine zwei Kinder und acht Enkelkinder konnte ich mir nicht mehr leisten. Jetzt kann ich meinen Enkelkindern wenigstens eine Kleinigkeit zu Weihnachten schenken", sagt die 71-Jährige mit einem Lächeln im Gesicht. Den Brief von dem anonymen Spender will sie sich einrahmen und in die Wohnung hängen.
Kommentar: Gänsehaut pur!
Als ich von dieser Geschichte erfahren habe, habe ich sofort Gänsehaut bekommen. Ein Leser, der einer unbekannten, völlig fremden Frau, die öffentlich ihre Notlage schildert, 100 Euro zukommen lässt - weil er ihren Leserbrief ehrlich, berührend und mutig fand. Was für eine tolle Geste, in einer Welt, in der Nächstenliebe und Mitmenschlichkeit kaum mehr Platz haben. Daran sollten wir uns alle ein Beispiel nehmen - nicht nur jetzt zu Weihnachten.
Dies ist zur Weihnachtszeit einerseits eine rührende Geschichte, aber andererseits ist es ein schönes Beispiel für Aggressionsverschiebung.
Mal nüchtern analysiert: Die Dame erfährt als Leistungsempfängerin eine wenig sensible und vielleicht falsche Entscheidung durch eine Behörde auf Basis geltendem Rechts. Sie richtet dann ihre Wut aber gegen andere Leistungsempfänger, die ebenfalls nach geltendem Recht behandelt werden, meint diese seien weniger würdig als sie. Konstruiert gar einen Kausalzusammenhang zwischen ihrer amtlicherseits zugespitzten Lage und den Zuwendungen, die Asylbewerber erhalten. Der ist natürlich nicht vorhanden, weil identische Fälle aus den Zeiten weit vor der sogenannten "Flüchtlingskrise" belegt sind. Damals trugen dann angeblich z.B. die Ossis, die Banken, die Webblase die Schuld.
Ein möglicher eigener, lebensgeschichtlicher Beitrag zur aktuellen Situation wird, da aversiv, vollkommen ausgeblendet.
Mitfühlen verstärkt sich bei uns, je mehr wir über die betreffenden Menschen wissen. Dazu trägt die obige Berichterstattung bei. Das Mitfühlen lässt uns die natürlich völlig haltlosen Einlassungen der Dame zum Thema AEO usw. weniger kritisch bewerten, vielleicht sogar eine Zustimmungstendenz erzeugen. Und das ist falsch!
Es geht mir hier nicht um Schelte der betroffenen Dame, ihr Situation empfinde ich ebenfalls als bedauerlich und halte die Amtsentscheidung für schwachsinnig. Nein, hier wird gleich jemand anderes abgestraft. Es geht mir um die eigenartige Berichterstattung des FT, die mir auf den ersten Blick undifferenziert und flach erscheint. Falls jedoch jemand beteiligt war, der weiter denkt, dann ist es brutal und zynisch.
Die Inszenierung der Übergabe von 100€ hat RTL2-Format. Ein stolzer Chefredakteur und eine zu Tränen gerührte Frau. 100€! Im Ernst? Leute, ihr schlachtet mit Klischees und Larmoyanz die Story aus, publiziert ein Bild der Dame und gebt ihr 100€ aus einer anonymen Spende? Legt noch 1000€ drauf und schweigt drüber!
Es ist nicht bekannt, ob diese Frau bis zu ihrer Rente in einer Beschäftigung gewesen ist. Ich kann ihren Einwand jedoch sehr gut nachvollziehen, denn es ist Tatsache, dass die Renten in den letzten Jahren extrem gekürzt und seit einiger Zeit auch versteuert werden. Auf der anderen Seite sind plötzlich zig-Milliarden Euro locker gemacht worden für Kriegsflüchtlinge und sonstige Menschen, die gerne ein paar Geschenke des deutschen Steuerzahlers "abgreifen", bevor es wieder zurück in die alte Heimat geht.
Auf der anderen Seite bringt man es fertig, diese Frau aus ihrer angestammten Wohnung zu schmeißen, weil die angeblich viel zu groß für sie sei. Egal, ob sie eine Ersatzbleibe findet, die dann mit 9 Euro pro qm berechnet wird und im Endeffekt noch teurer kommt. Das passt nicht zusammen, wie hier mit Menschen umgegangen wird, die Deutschland in den 50er Jahren wieder aufgebaut und auch Kinder in die Welt gesetzt haben.
Einen gewissen Unterschied sollte es da schon geben. Und wer nicht möchte, dass die Flüchtlinge in der AEO leben müssen, der stelle doch ein Zimmer in seiner Privatwohnung zur Verfügung nebst Familienanschluss. Das wäre mal ein Zeichen der Nächstenliebe. Wir Deutschen haben die Kriege, vor denen diese Leute geflüchtet sind, schließlich nicht angezettelt. Dann müsste man vielleicht mal bei den Amis anklopfen, die überall ihre Pfoten im Spiel haben, wo´s kracht. Aber die machen ja eher gegenläufige Gesetze.
So, sollten da jetzt Fehler der Rechtschreibung enthalten sein, sorry dafür. Habe nicht Probe gelesen.
Allen Forenteilnehmern ein frohes Fest und der guten Frau viel Glück; zur Not den deutschen Pass wegschmeißen - könnte vielleicht hilfreich sein.
Im Großen und Ganzen ist es schon richtig, was du schreibst. Jedoch wird (wieder einmal) unterschwellig gegen Asylsuchende, respektive Flüchtlinge, Stimmung gemacht. Von wegen deutschen Pass wegschmeißen... - Oder was sonst soll einem das sagen?
Mietzuschüsse zu streichen, obwohl offenbar keine günstigeren Wohnungen am Markt sind, ist natürlich sehr unseriös vom Amt, da müsst man mehr Fingerspitzengefühl zeigen und den Einzelfall prüfen. Aber das die Dame, die tatsächlich von wenig leben muss, vor allem neidisch auf die Flüchtlinge in der AEO zu sein scheint, ist für mich auch nicht feinfühliger oder gar empathischer. Möchte Sie gerne mit 1500 anderen zusammen in einer Großeinrichtung wohnen? Und 100 Euro? Sie hat doch immerhin noch 200 Euro (was natürlich viel zu wenig ist, aber mit Neid auf Menschen, darunter auch viele Kinder, die Krieg und Flucht hinter sich haben, ist es auch nicht getan). Schade, dass der FT dies nicht kommentiert und wieder mal auf diesen Neidzug aufspringt. Und zum Thema: Rentner, die ein Leben lang gearbeitet haben: Die Männer, die heute Rentner sind, und tatsächlich ein Leben lang gearbeitet haben, kriegen heute noch im Schnitt eine sehr auskömmliche Rente, oft plus großzügiger Betriebsrente, die gerne unter den Teppich gekehrt wird. In zwanzig Jahren sieht das sicher nicht mehr ganz so rosig aus, da müsste was getan werden. Aber man muss ehrlicherweise sagen, dass die heutigen Rentnerinnen meist nicht bzw. nur, bis Kinder kamen (das scheint mir hier auch so zu sein), oder nur auf Minijobbasis gearbeitet haben, weil sich so mit dem Ehegattensplitting gut leben ließ und man beim Minijob eben nicht in die Sozialsysteme einzahlt - dann kann man aber auch nicht erwarten, dass man viel rausbekommt (Witwenrente gibt es ja immerhin zum Glück), so funktioniert es nun mal. Ich kenne Frauen, die haben sich in den 80er Jahren die angesammelte Rente komplett auszahlen lassen, um sich Pelzmäntel o.Ä. zu kaufen, auch die jammern heute, dass sie keine Rente kriegen ...
In unserem "Sozialstaat" läuft so einiges schief.
Wäre es nicht sinnvoller wenn die Wohnungsgröße auf eine Mindestgröße festgelegt werden würde und eine maximale Miete zu festgelegt werden würde? Es macht keinen Sinn umzuziehen um eine kleinere Wohnung zu haben, aber die Miete bleibt in etwa gleich hoch, oder steigt sogar.
Ich finde es beschämend wie mit Menschen in unserem Land umgegangen wird die ihr Leben lang brav Steuern zahlen.