Angeklagter in Chefarzt-Prozess: "Ich bin weder Sex-Arzt noch Dr. Pervers"

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Schnell füllten sich gestern die Zuschauerreihen im großen Sitzungssaal. Er war voller als zum Auftakt der Hauptverhandlung. Foto: Matthias Hoch
Schnell füllten sich gestern die Zuschauerreihen im großen Sitzungssaal. Er war voller als zum Auftakt der Hauptverhandlung.  Foto: Matthias Hoch

Heinz W. holte weit aus, als er sich am Dienstag erstmals zu den Vorwürfen der Staatsanwaltschaft äußerte. Für den nächsten Verhandlungstag kündigte er eine vertiefende Power-Point-Präsentation an.

Spätestens am Dienstag, dem zweiten Verhandlungstag im Prozess gegen den ehemaligen Chefarzt der Gefäßmedizin am Bamberger Klinikum, wurde klar: Es wird keinen schnellen Prozess geben und es wird ein langer und schwerer Weg bis zur Urteilsfindung sein.

Im Zuschauerraum, der - anders als am ersten Verhandlungstag vor genau einer Woche - bis auf den letzten Platz besetzt war, nahm man das Gesehene und Gehörte mit gemischten Gefühlen auf. Manche Besucher blieben nach dem zwei Stunden dauernden medizinischen Vortrag ratlos zurück.

Medizinischer Fachvortrag

Heinz W. hatte auf 48 DIN-A4- Seiten nicht nur alle Behandlungsmethoden und Therapiemöglichkeiten von Beckenvenenthrombosen dargelegt, sondern auch die Struktur der Abteilung Gefäßmedizin im Klinikum am Bruderwald der Sozialstiftung Bamberg in allen Details erörtert. Das Publikum erfuhr - mit einem Gestus, als wäre W. immer noch Chefarzt - unter anderem: "ein Leiter, vier Oberärzte, sechs Assistenzärzte", ein Chefarzt, der 365 Tage im Jahr ständig erreichbar ist, 11 000 stationäre Patienten, 50 000 ambulante, seit 2007 erstes zertifiziertes Gefäßzentrum in Nordbayern, Wundsprechstunde, Versorgung durch ein angegliedertes Orthopädiegeschäft, Visite von 7.30 bis 7.45 Uhr, Öffnungszeiten des Medizinischen Versorgungszentrums von 8 bis 16 Uhr, täglich um 8 Uhr eine Operation und dergleichen. Gipfel seiner Detailversessenheit war die Nennung der Herstellermarken der in der Klinik benutzten Röntgen- und Ultraschallgeräte.

Die Patientinnen und Mitarbeiterinnen, die nach den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Opfer sexuellen Missbrauchs durch W. geworden sein sollen, kamen nur am Rande vor: als "Patientengut" mit einem Body-Mass-Index (BMI) von unter 20 (sehr groß und sehr schlank), von dem der damalige Chefarzt geglaubt habe, diese Menschen hätten ein erhöhtes Risiko für einen so genannten Venensporn. In diesem Zusammenhang fiel die Bemerkung von W., dass man solche Menschen - 1,90 Meter groß, 50 Kilogramm schwer - in Franken ja nur selten finde. Hierzulande sei es eher umgekehrt: 1,50 Meter groß und 90 Kilo schwer. Aus dem Zuschauerraum kam empörtes Murmeln.

Für den kommenden Verhandlungstag am 28. April kündigte W. eine Power-Point-Präsentation zur weiteren "Vertiefung" seines Vortrags an. Fragen an den Angeklagten wurden von der Kammer in diesem Stadium nicht erlaubt, obwohl Oberstaatsanwalt Bernhard Lieb schon "eine Menge" davon gehabt hätte. Die Kammer will sie erst zulassen, wenn W. seine Einlassungen abgeschlossen hat.

Wie soll das weitergehen?

Nicht zuletzt deswegen empfand eine Zuschauerin die Hauptverhandlung als "Witz" und "Farce". Eine Fortsetzung des medizinischen Vortrags werde sie sich in zwei Wochen nicht anhören: "Ich komme nicht mehr, mir reicht's." Ein anderer Besucher empfand den Angeklagten als "Selbstdarsteller". Es könne doch nicht sein, dass dieser vor Gericht einen derart breiten Raum für Ausführungen bekomme, die mit der Anklage nichts zu tun hätten. "Wenn wir hier alle Einzelheiten bis hin zu den verschiedenen Kathederdurchmessern erfahren sollen, befürchte ich, dass da noch ein schwerer Prozess bis zur Wahrheitsfindung vor uns steht. Wie soll das weitergehen?"

Wieder einer meinte: "Ich schaue mir das weiter an, denn das ist juristisch spannend." Eine andere Zuschauerin schüttelte stumm den Kopf und schwieg, ihre Nachbarin fand: "Der redet doch um den heißen Brei." Dass W. nur von seiner beruflichen Karriere und über sein Fachgebiet gesprochen hat, die ihm zur Last gelegten Taten aber nur am Rande streifte, um sie vehement abzustreiten ("Ich bin weder Sex-Arzt noch Dr. Pervers.") und überhaupt nicht einging auf den Fall 13 der Anklage, demzufolge er ein Familienmitglied an dessen 18. Geburtstag in einem Hotel sexuell missbraucht haben soll, fanden die meisten enttäuschend.

Die Atmosphäre zwischen den Prozessbeteiligten war von Anfang an gespannt. Schon zum Auftakt hatte der Verteidiger, Rechtsanwalt Klaus Bernsmann, den Vorsitzenden Richter Manfred Schmidt für eine Bemerkung am ersten Verhandlungstag beanstandet. Schmidt hatte dem Angeklagten nach seiner weitschweifenden Einlassung zur Person den Rat gegeben, künftig nach dem Motto "weniger ist mehr" zu handeln.
Dies wertet die Verteidigung als "verhandlungsleitende Maßnahme" und beantragte dazu eine Entscheidung der Kammer. Die Verteidigungsstrategie sei zu respektieren, so der Anwalt. Die Kammer werde gezwungen sein, "die medizinischen Tatsachen eingehend zu würdigen, weil sie in diesem Verfahren auf ein "wenig bekanntes Feld der Medizin geführt" werde. Deshalb sei auch ein höherer als der ursprünglich geplante Zeitaufwand in Kauf zu nehmen. Dem Vorwurf, die Worte des Richters würden "schmerzen und belasten", entgegnete Richter Schmidt mit der Bemerkung, das sei "rein fürsorglich gemeint" gewesen. Am Ende der Hauptverhandlung waren die Verteidiger und die Vertreter der 13 Nebenklägerinnen wieder von Kameras, Mikrofonen und Journalisten mit Block und gezücktem Kugelschreiber umringt. Die Verhandlung fand auch gestern wieder überregionales Interesse.