Altersvorsorge: "ein Lotteriespiel"

4 Min
Reicht das Geld im Alter? Foto: Imago
Reicht das Geld im Alter? Foto: Imago
Andreas Oehler. Foto: privat
Andreas Oehler. Foto: privat
 

Verbraucher verlieren jedes Jahr 50 Milliarden Euro, weil sie schlecht oder falsch beraten werden, sagt der Bamberger Finanzwissenschaftler Andreas Oehler.

Vor gut zehn Jahren wurde die Rentenversicherung reformiert. Arbeitgeber sollten nicht durch ständig steigende Lohnnebenkosten belastet werden. Das Rentenniveau wurde reduziert, dafür bekommen Arbeitnehmer staatliche Zuschüsse, wenn sie privat fürs Alter vorsorgen. Andreas Oehler sieht allerdings nicht, dass diese Maßnahmen künftigen Rentnern viel nützen. Der Bamberger Finanzwissenschaftler schätzt, dass die Verbraucher insgesamt mindestens 50 Milliarden Euro verlieren, indem sie fürs Alter vorsorgen. Jedes Jahr. Wohlgemerkt: Es geht nicht um entgangene Gewinne oder Renditen, die bei einer anderen Geldanlage besser gewesen wären. Sondern um Geld, das die Menschen einbezahlt haben, aber nie zurück bekommen werden. "Und die 50 Milliarden Verlust sind vorsichtig geschätzt", sagt Oehler.

Der Professor leitet die Forschungsstelle "Verbraucherfinanzen & Verbraucherbildung" an der Universität Bamberg.
Zum Jahreswechsel hat er ein Gutachten über die private Altersvorsorge veröffentlicht, das die Bundestagsfraktion der Grünen beauftragt hatte. Der Großteil der Verluste entsteht demnach nicht, weil die Verbraucher zu große Risiken eingehen - im Gegenteil. Die meisten Deutschen legen ihr Geld langfristig in Kapitallebens- und Rentenversicherungen an. "Wer so etwas abschließt, will kein Risiko eingehen", sagt Oehler. Und dann erklärt er, dass gerade diese scheinbar sicheren Geldanlagen ein großes Risiko bergen: Sie sind auf 20 oder gar 30 Jahre angelegt - kaum jemand kann so weit vorausplanen, meist wird das Geld doch vorher gebraucht: Mehr als die Hälfte der Verträge über 20 Jahre wird vorzeitig gekündigt, bei Verträgen über 30 Jahre sind es sogar mehr als drei Viertel. Hinzu komme, dass solche Verträge oft mit hohen Kosten für Vertrieb, Provision und Verwaltung verbunden sind, so dass die Verzinsung des Kapitals erst einmal gering ausfällt. Und bis der verlockende Zinseszinseffekt das Geld vermehren könnte, haben viele ihren Vertrag schon gekündigt. "Dadurch verliert ein Durchschnittskunde 5275 Euro."

Vertreter der Versicherer weisen diese Zahlen zurück. Jörg von Fürstenwerth, Vorsitzender der Hauptgeschäftsführung des Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) kritisiert, die Studie sei nicht repräsentativ. "Ich finde es faszinierend, dass mir das vorgeworfen wird", kommentiert Oehler. "Denn ich habe die aktuelle Schätzung ja extra nicht mit Daten beispielsweise einer Verbraucherzentrale gemacht, sondern mit denen, die von der Branche selbst veröffentlicht wurden. Und die sind recht eindeutig." Anders als die meisten Verbraucher planen die Finanzdienstleister von vorneherein damit, dass ein großer Teil der langfristigen Verträge vorzeitig gekündigt wird. Den Rückkaufswert bei vorzeitiger Kündigung setzte Oehler anbieterfreundlich mit durchschnittlich 50 Prozent an, oft sind es eher weniger.


Kündigen oder weiterzahlen?

Die Stiftung Warentest, deren Verwaltungsratsvorsitzender Oehler außerdem ist, hat schon oft erklärt, dass Kapitallebensversicherungen und private Rentenversicherungen für die meisten Kunden kein sinnvolles Produkt seien. Oehler warnt davor, so einen Vertrag abzuschließen - aber was tun, wenn man schon einen hat? Der Finanzwissenschaftler empfiehlt, zu prüfen, wie sich der Schaden minimieren lässt. Da die meisten Verbraucher das selbst schwer einschätzen können, rät er, sich Hilfe beispielsweise bei einer Verbraucherzentrale zu suchen. "Ein Experte sollte abschätzen, ob es teurer kommt, den Vertrag zu kündigen oder ihn zu behalten."

Oehler rät von "Kombiprodukten" ab. Das Leben und die Absicherung der Familie könne gut durch eine Risikolebensversicherung abgesichert werden. "Aber man muss dabei nicht gleichzeitig bei einer Versicherung einen Sparvertrag abschließen. Dafür gibt es andere Produkte, die kostengünstiger sind und höhere Renditen haben." Den Verlust, der Versicherten durch Kapitallebens- und Rentenversicherungen entsteht, beziffert der Professor auf etwa 16 Milliarden Euro jährlich.

Noch höher, nämlich 30 Milliarden Euro, sei der Schaden bei Produkten des "grauen Kapitalmarktes" - bei der Altersvorsorge betrifft das vor allem geschlossene Fonds, "Schrottimmobilien" oder unternehmerische Beteiligungen. Offene Immobilienfonds sind ebenfalls betroffen, auch wenn sie offiziell nicht zum Graumarkt zählen. "Das Risiko ist vielen Anlegern nicht bewusst", sagt Oehler. Wer fürs Alter eine Immobiliefinanziert hat, soll auf zwei Dinge besonders achten. Erstens: Wenn Geld aktuell übrig bleibt, eher nicht neu anlegen, sondern lieber eine Sondertilgung leisten, um die Schulden zu verringern! Zweitens: Läuft die Zinsbindung mehr als zehn Jahre, gibt es nach dem Bürgerlichem Gesetzbuch (BGB) ein Kündigungsrecht. "Heute liegt der effektive Zinssatz nur bei etwa zwei Prozent - da lohnt sich eine Umschuldung."


Vergleichen ist fast unmöglich

Das Hauptproblem sieht Oehler darin, dass die meisten Menschen kaum eine Chance haben, die verschiedenen Finanzdienstleistungen zu vergleichen. "Der Verbraucher hat ein gutes Gespür dafür, was teuer ist und was preiswert, wenn er zum Beispiel ein Auto oder eine Waschmaschine kauft. Euro und Cent sind ein Referenzsystem, das leicht verständlich ist." Bei Finanzprodukten sei dieses Referenzsystem ausgeschaltet - auch durch die staatliche Regulierung, weil nicht systematisch darauf geachtet wird, dass alle Produkte in Euro gekennzeichnet sind. "Dem Verbraucher ist nicht klar, welches Produkt zu teuer ist."

Oehler fordert deshalb mehr Transparenz: Klar, verständlich und vergleichbar wäre es, wenn bei jedem Produkt stehen würde, wie viele Euro der Verbraucher gewinnt oder verliert, wenn es normal, gut oder schlecht läuft. "Man kann Vergleiche so darstellen, dass sie die meisten Menschen mit einer normalen Schulbildung verstehen können. Aber die Lobby der Finanzdienstleister sorgt dafür, dass Prozentsätze, Renditen und Gesamtkostenquoten angegeben werden."


Politik lässt Verbraucher allein

Die Bundesregierung habe den Schutz der Anleger zwar in vielen Bereichen verbessert, aber es gebe kein Gesamtkonzept. "Immer wenn ein Problem hochkocht, wird es ad hoc repariert. Aber es fehlen sinnvolle, aufeinander abgestimmte Maßnahmen und die bisherige Regulierung ist kaum verbrauchertauglich." Außerdem werden nach der Erfahrung des Bambergers nicht mal die vorhandenen Regeln richtig kontrolliert - und dementsprechend auch oft nicht eingehalten. "Bei vielen Riester-Produkten sind nicht mal die vorgeschriebenen Informationen vorhanden." Das erklärt aus Oehlers Sicht auch den schlechten Ruf der Riester-Produkte - und die Unlust vieler Deutscher, privat fürs Alter vorzusorgen. "Es ist sinnvoll, zu riestern - schon allein wegen der staatlichen Förderung. Aber es gleicht einer Lotterie: Das richtige Produkt zu finden ist eher Glückssache." Er zählt die vier Riestermöglichkeiten auf: Wohnriester, Sparplan, Versicherungsriester und fondsgebundener Riester. "Nehmen Sie diese Produkte aus einem Finanzkonzern, legen Sie sie nebeneinander - selbst der Verkäufer der Bank wird die Produkte nicht vergleichen können, weil die Angaben zu unterschiedlich sind. Man könnte zwar oft vieles ausrechnen - aber das kann vom Verbraucher nicht erwartet werden."

Der Finanzwissenschaftler lehnt die private Altersvorsorge nicht grundsätzlich ab. Aber wenn sie das sinkende Niveau der gesetzlichen Rentenversicherung ausgleichen soll, muss sie so funktionieren, dass die Verbraucher kein Geld verlieren. Denn wer kümmert sich im Zweifel um die Rentner, die zu wenig oder falsch vorgesorgt haben? Der Staat? Also der Steuerzahler? "Die Verbraucherpolitik muss hier klar nachbessern und den Verbrauchern eine Chance geben, geeignete Produkte zu erkennen. Dann kann man selbst etwas tun", sagt Oehler: Mit einem recht "bunten", gut gemischten Portfolio: sichere, renditearme Produkte und einige risikoreichere beigemischt. "Billig ist zum Beispiel ein weltweit streuender Indexfonds." Die Entwicklung solch etwas risikoreicherer Papiere hängt von der wirtschaftlichen Entwicklung ab. "Das ist wichtig. Denn eine Entkopplung vom
Wirtschaftswachstum schmälert die Altersvorsorge genauso wie Inflation."