Ein Vierteljahrhundert ist es her, dass die Mauer fiel. Trabi-Lawinen rollten damals auch nach Bamberg. Überrannt wurde die Innenstadt, in der manche Geschäftsleute dem Andrang kaum gewachsen waren. Gerade Südfrüchte waren heiß begehrt - und Bananen wurden Mangelware.
"Es herrschte eine schwer zu beschreibende Stimmung", berichtete der FT nach dem ersten Massenansturm: "Euphorie bei vielen DDR-Bürgern, Staunen bei den Einheimischen." So wollten zahllose Bamberger am ersten Wochenende nach der Grenzöffnung sehen, wie die "anderen Deutschen" durch die Fußgängerzone schlenderten und ihre neu gewonnene Freiheit genossen. Ja, was sie sich wohl mit ihren ersten Westmark leisteten - in der Regel Südfrüchte, wie wir heute wissen. Tausende, deren genaue Zahl keiner mehr zu ermitteln suchte, erreichten am 11. und 12. November 1989 Bamberg, nachdem sie in Kolonnen von Trabbis, Ladas und Wartburgs vom roten Osten in den goldenen Westen getuckert waren.
In eine Art Ausnahmezustand versetzten die Besucher die Domstadt vor einem Vierteljahrhundert, wobei die meisten hier "eher zufällig" ankamen.
Eine Dunstglocke Nein, nicht die Sehenswürdigkeiten Bambergs lockten viele an jenem ersten Wochenende nach dem Mauerfall an die Regnitz, wie der FT berichtete: Sondern die Hoffnung, auf weniger DDR-Bürger als in grenznahen Städten zu treffen. Völlig überfüllt waren grenznahe Orte wie Coburg und Hof ja gleich nachdem sich die Schlagbäume geöffnet hatten. Trubel herrschte dann aber auch in Bambergs Zentrum, wie ihn keiner erwartet hätte. "Und über allen Zufahrtsstraßen lag diese Dunstglocke aus Trabi-Abgasen, wie ich sie nie vergessen werde", erinnert sich eine Hauptwachstraßen-Anwohnerin.
Gleich am 11. und 12.
November wurde an knapp 4000 Besucher Begrüßungsgeld ausgezahlt: 100 DM - erhältlich beim Landratsamt und der Stadt Bamberg. Sowohl am Maxplatz als auch in der Ludwigstraße drängten sich ab dem frühen Samstagmorgen Interessenten aus dem Osten und standen geduldig Schlange.
Eintopf und Butterbrote
Noch größer war dem FT zufolge der Ansturm am Sonntagmorgen. "Mitten in der Nacht waren Hunderte von Menschen aus der DDR angekommen. Manche, die Bekannte oder Verwandte in Bamberg haben, klingelten sie aus dem Schlaf. Andere verbrachten die Stunden bis zum Morgen in ihren Autos oder warteten geduldig vor dem Rathaus, wo ein Schild darauf verwies, dass es ab 10 Uhr Begrüßungsgeld gibt", so Redakteurin Jutta Behr-Groh.
Glücklicherweise ließ man die verfrorenen Besucher gleich morgens ins Gebäude - und verköstigte sie ebenso wie im Landratsamt mit Hilfe des BRK. Gegen 13 Uhr waren bereits mehr als 130 Liter Eintopf ausgegeben und ein Berg Butterbrote bis auf wenige Reste aufgefuttert. Nachschub musste geordert werden. "In den Rathausgängen saßen an eigens aufgestellten Tischen und Bänken vor allem junge Familien mit Kindern, die sich aufwärmten."
Schlange stehen mussten die Menschen an diesem Wochenende auch in den Läden. So öffneten zu wenige Bamberger Geschäftsleute, obwohl der Einzelhandelsverband dazu eigens aufgerufen hatte. Und alle, die sich bereit erklärten, wurden gnadenlos überrannt - nicht anders als diverse Marktkaufleute. "Kaum ein Besucher von ,drüben', der nicht mit Mandarinen, Bananen und vor allem Weintrauben nach Hause gefahren ist", schrieb Jutta Behr-Groh im FT.
Ja, auch Weintrauben waren im Osten rar, wie ein Mann berichtete, der am Sonntagmorgen gegen 4 Uhr Richtung Bamberg aufgebrochen war. Ein einziges Mal hätte es das Obst in seinem Heimatort im Jahr zuvor zu kaufen gegeben. Wobei es nach dem Mauerfall in Bamberg übrigens auch einen Run auf Radiorekorder, Fernseher, Autoradios, Heimwerkerbedarf, Spielwaren und Parfüm gab.
Fantastische Preise
Bananen waren in der Domstadt in kürzester Zeit Mangelware. Obwohl mancher Händler die Preise angesichts der staunenden Ostdeutschen in fantastische Höhen schraubte. "Ich bekam mit, wie an einem Stand ein Pfund Bananen für DDR-Bürger plötzlich 5 Mark kostete", erinnert sich ein Bamberger. "Und die Menschen standen weiter geduldig Schlange - wie sie es ja gewohnt waren."
Der Strom vom Osten in den Westen riss nach dem ersten Wochenende nicht ab.
Täglich beantragten weiterhin zwischen 600 bis 800 Menschen im städtischen Sozialamt dem FT zufolge Begrüßungsgeld. So trafen Stadtverwaltung und Polizei Vorkehrungen, um einem noch größeren Ansturm am 18. und 19. November gewachsen zu sein. "Notfalls wird die ganze Innenstadt gesperrt", hieß es in den Bamberger Nachrichten. Auf Park-and-Ride-Plätze lotste man alle ankommenden Trabis, Ladas und Wartburgs. Wärmestuben wurden im Heinrichssaal (Kleberstraße) und im Jugendheim St. Otto ( Siechenstraße) eingerichtet.
Übernachten bei Bamberger Familien Übernachten konnten die Menschen zuvor schon in der Jugendherberge "Wolfsschlucht" und im Jugendzentrum. Nun erklärten sich darüber hinaus 156 Bamberger Familien bereit, Besucher einzuquartieren.
Kleine Mahlzeiten und Getränke gab's in der Volksküche der Unteren Königstraße, wo rund 1 000 Essen allein bis Sonntagmittag kostenlos ausgegeben wurden. Stark frequentiert waren dementsprechend auch die öffentlichen Toiletten. Was einem Bamberger gewaltig stank, der sich beim FT beschwerte: "Des hob ich nuch nie erlebt: A Schlanga vorm Scheißhäusla auf der Promenadn."
Nein, die City wurde am zweiten Wochenende nach dem Mauerfall nicht gesperrt, obwohl erneut
über 11 000 Besucher in einem weiteren Massenansturm nach Bamberg kamen. Oberbürgermeister Paul Röhner hatte am Samstag gleich gegen 6.30 Uhr das Rathaus geöffnet.
Als Stadtoberhaupt empfing er vor der Grenzöffnung ja bereits Tausende von Flüchtlingen auf dem Bahnhof, die Anfang Oktober von Prag aus über Hof kommend in Bamberg eintrafen, um hier zur Weiterfahrt in die Aufnahmelager umzusteigen.
Kontroverse Diskussion
Indes ebbte die Euphorie vieler Franken ab, die die anderen Deutschen zunächst vielleicht noch willkommen hießen.Bände sprachen Leserbriefe, in denen das Begrüßungsgeld angeprangert wurde: Den "kleinen Bürger erstaunt es im höchsten Maß, dass unser gutes Geld in diesen Tagen sichtlich mit vollen Händen hinausgeworfen wird", mokierte sich etwa eine über 80-jährige Bambergerin. "In Bonn hält man die Taschen offen - nämlich unsere", schrieb ein anderer Leser. Ein Denken, das wieder anderen wie nicht zuletzt Klaus Muthmann aufstieß, der die mangelnde Solidarität mit den Worten beklagte. "Die Mauer von gestern war aus Stein, die Mauer von morgen scheint unser Egoismus zu sein."