Obwohl die Bevölkerung schrumpft, wird in Bayern immer mehr Natur verbaut: 6000 Hektar verschwinden jedes Jahr. Wegen dieser Entwicklung schlagen der Bauernverband und der Bund Naturschutz Alarm. Die Regierung belässt es bei guten Absichten. Im Artikel finden Sie auch einen Kommentar zum Thema.
Neben der Schuldenuhr tickt in der Bundesrepublik eine weitere Zeitbombe: Der Landverbrauch schreitet rasant voran, der kleiner werdenden Bevölkerung zum Trotz. Bundesweit verschwinden in jeder Sekunde durchschnittlich acht Quadratmeter Boden unter Beton oder Asphalt. Den größten Flächenverbrauch hat Bayern. Hier werden jedes Jahr umgerechnet 9000 Fußballplätze versiegelt, 25 jeden Tag.
"Wenn der Flächenverbrauch im derzeitigen Umfang kontinuierlich weitergeht, würde es in 1116 Jahren außer Wasserflächen nur noch Siedlungs- und Verkehrsflächen geben, keine Landwirtschaft, keinen Wald", schreibt der Raumplaner Frank Schröter aus Braunschweig, der auf seiner
Homepage die "Flächenverbrauchsuhr" ticken lässt.
Seltene Einigkeit Schröter
steht nicht allein. Aktuell mahnen in seltener Einigkeit der Bayerische Bauernverband (BBV) und der Bund Naturschutz (BN) in Würzburg einen Kurswechsel an: Angesichts der Pläne für ein neues großes Baugebiet am Stadtrand schlagen die Landwirte Alarm, weil sie wertvollen Ackerboden für immer unter Asphalt und Beton verschwinden sehen. "Im Umland von Würzburg verlieren wir Böden mit den höchsten Ertragszahlen, die für die Nahrungsmittelproduktion unersetzlich sind", sagt Elmar Konrad, der Geschäftsführer des BBV in Würzburg.
Wachsendes Problem Der BN argumentiert aus einem anderen Blickwinkel ganz ähnlich. Den Naturschützer geht es dabei nicht nur um den Verlust von Lebensraum für Pflanzen und Tiere.
"Der ungebremste Flächenverbrauch ist eines der größten Umweltprobleme unserer Zeit", sagt der BN-Vorsitzende Hubert Weiger.
Der darf sich sogar, ebenfalls ein seltener Fall, mit der bayerischen Staatsregierung auf einer Linie sehen. Die Staatskanzlei beklagt seit Jahren den ungebremsten Flächenverbrauch, mit dem Bayern im Bundesvergleich an der Spitze liegt. Mit einem eigenen
Internetportalermuntert der Freistaat seine Kommunen, neue Wege bei der Erschließung zu gehen.
Söders Absichtserklärung Finanzminister Markus Söder (CSU) hatte 2011 das Flächensparen zum Staatsziel gemacht: "Jeder Hektar Fläche ist ein Stück lebenswerte Heimat", sagte Söder vor drei Jahren bei der Ankündigung eines Maßnahmenpaketes
gegen den Flächenhunger der Kommunen. Die Resonanz war, gelinde gesagt, bescheiden: 2011 bezifferte sich der Flächenverbrauch in Bayern auf 16 Hektar pro Tag, aktuell sind es 18 Hektar.
Nach den Zahlen aus dem Umweltministerium wurden 2012 in Bayern mehr als 6000 Hektar Natur von Neubaugebieten und Straßen verschluckt. Spitzenreiter ist Oberbayern mit 1747 Hektar, Mittel- und Unterfranken liegen mit mit 620 Hektar im hinteren Drittel, Oberfranken hält mit 457 Hektar die "rote Laterne", was in diesem Fall ein Top-Platz ist: Die Bundesregierung hat sich in ihrer Nachhaltigkeitsstrategie das Ziel gesetzt, den Flächenverbrauch bis 2020 auf 30 Hektar täglich zu halbieren und bis 2050 sogar auf Null zurückzufahren.
Kommentar von Günter Flegel: Gefährliche Altlasten müssen nicht immer giftig sein Spricht man von Altlasten, denkt man an Gift im
Boden, an vergessene Mülldeponien oder aufgegebene Industriestandorte.
Doch Altlasten können auch grünen und blühen. Sie werden nach allen Regeln der Kunst am Reißbrett geplant. Mit der Ausweisung neuer Wohn- und Gewerbegebiete schaffen die Kommunen in Bayern tatsächlich Altlasten. Schon jetzt bringt die Unterhaltung von Straßen, Wasserleitungen und Kanälen viele Gemeinden an den Rand ihrer finanziellen Möglichkeiten. Das Problem wird immer größer, wenn die Bevölkerung kleiner und älter wird, die Infrastruktur aber sogar noch wächst und dabei selber in die Jahre kommt.
In manchem Rathaus hat aus schierer Not ein Umdenken eingesetzt: Gemeinden arbeiten zusammen, versuchen die Siedlungsentwicklung zu bündeln und zu steuern und den Schwerpunkt auf die Wiederbelebung der Ortskerne zu legen.
Die "Hofheimer Allianz" im Landkreis Haßberge ist ein solches Beispiel.
Doch solche Ansätze sind nicht die Regel. Ein paar Kilometer südlich von Hofheim setzt Haßfurt auf Wachstum: Neue Gewerbe- und Siedlungsgebiete, dazu ein aggressiver Preiskampf sollen junge Bürger in die Kreisstadt locken. Ein Beispiel von vielen in Franken. So etwas ist nicht nur für das Umland ruinös, sondern auch für Städte und Gemeinden, die den demografischen Wandel nicht wahrhaben wollen.
In Franken wird kaum eine Region vom Bevölkerungsrückgang verschont bleiben. Leerstände gibt es dann nicht nur in den Altorten, sondern auch in den Siedlungen. So entstehen teure Altlasten: Land ist ein Rohstoff. Unbezahlbar!
Auch Oberfranken ist kein Musterbeispiel, auch hier wütet der Flächenfraß. Allein im Herbst des vergangenen Jahres konnte man innerhalb einer einzigen Woche von Planungen in Buttenheim, Bamberg (Muna/Schaeffler), Scheßlitz und Thurnau lesen, die insgesamt zu etwa 100 ha (10 km²) an neuversiegelten Flächen führen werden. Die bayerische Landesregierung, die sonst keine Möglichkeit auslässt, uns zu reglementieren, greift hier nicht ein, sondern belässt es bei wirkungslosen Appellen.
Vernunft ist nicht zu erwarten: Schon vor dem Abzug der Amis aus Bamberg stehen die Flächengeier in Gestalt der Stadt Bamberg, der Gemeinden Gundelsheim, Memmelsdorf, Litzendorf und Strullendorf bereit, um den Hauptsmoorwald unter sich aufzuteilen - Bannwald hin oder her! So gefährdet war diese wertvolle grüne Lunge vor den Toren der Stadt in den letzten 1000 Jahren kein einziges Mal!
Da kein Umdenken stattfindet, müssen Gesetze her, die den Flächenfraß abwürgen - unsere Kinder und Enkel werden uns dankbar sein, wenn wir ihnen nicht noch mehr Infrastrukturwüsten hinterlassen, die sie wegen der kleineren Zahl an Bewohnern nicht benötigen und auch nicht bewältigen können.