Wie sich Bert Brecht selbst ausgetrickst hat

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Die Kreidekreis-Probe zur Feststellung der rechtmäßigen Mutter am Ende der mit vielen Bravos gefeierten Aufführung mit Peter Bause als Richter Azdak (hinten) und den beiden "Müttern" Natella Abaschwili (Hellena Büttner, links) und Grusche Vachnadze (Shantia Ullmann). Foto: Gerhild Ahnert
Die Kreidekreis-Probe zur Feststellung der rechtmäßigen Mutter am Ende der mit vielen Bravos gefeierten Aufführung mit Peter Bause als Richter Azdak (hinten) und den beiden "Müttern" Natella Abaschwili (Hellena Büttner, links) und Grusche Vachnadze (Shantia Ullmann). Foto: Gerhild Ahnert

Peter Bause inszenierte den "Kaukasischen Kreidekreis" erfolgreich gegen die Intentionen des Autors.

Am Schluss kriegen sich die beiden Richtigen; ein Kind kommt zu einem Elternpaar, von dem wir Zuschauer glauben, dass es bei ihm glücklich sein wird; die herzlose, egozentrische leibliche Mutter, die den Erben nur wegen seiner künftigen Besitztümer für sich haben wollte, geht leer aus. Ein märchenhaftes Happy End für ein Stück über den knappen Triumph der Menschlichkeit in den Wirren, der brandgefährlichen Willkür in Zeiten des Krieges.
Der das Happy End hervorbringt, ist ein gänzlich unmärchenhafter fress- und saufsüchtiger Fast-Asozialer namens Azdak, dem eloquente Schläue, Glück und Irrtum zu seinem Posten als oberster Richter verholfen haben. Bertolt Brechts "Der kaukasische Kreidekreis", mit dem eine Truppe des Euro-Studio Landgraf beim Theaterring gastierte, bewies einmal mehr die Wucht seiner Bühnenwirksamkeit.

Und das, obwohl der beim Theaterring seit nun schon Jahrzehnten gefeierte Brecht-Darsteller Peter Bause in seiner Inszenierung sich jeglicher Annäherung an die so oft beschworenen veränderten Sehgewohnheiten des 21. Jahrhunderts verweigerte und seinen Brecht möglichst genau so auf die Bühne stellte, wie das der Verfechter des Epischen Theaters haben wollte. Denn der wollte ja gerade alles tun, damit sich nicht Einfühlung und Rührung am Ende einstellten, wollte Distanz schaffen durch den Sänger, den Bause im ersten Teil spielte, durch die Unterbrechungen der Handlung durch Songs der Grusche oder dem Lied vom Azdak, durch die Einleitungen zu den einzelnen Szenen, die Spannung auf den Ausgang nicht zulassen sollten.

Und wieder einmal zeigte sich, dass Brecht sich mit diesem Stück selbst austrickste, dass unsere durchaus sich im Hintergrund einstellenden Überlegungen zu brutaler Willkürherrschaft, zum Elend des Krieges, zu Geldgier und religiös motivierter Rücksichtslosigkeit, zur Gefährlichkeit regimeabhängiger Rechtsprechung immer in jenem Hintergrund präsent bleiben angesichts der spannenden Geschichte einer kleinen Magd, die durch ihr Mitleid unter Einsatz ihres Lebens ein kleines, hilfloses Kind rettet.

Sinnvolle Kürzungen

Bause hat eine Brechtaufführung erarbeitet, die man trotz erheblicher und durchgehend wohltuender Kürzungen in dieser Authentizität heutzutage so noch nicht mal mehr beim Gralshüter des Brechtschen Werkes, beim Berliner Ensemble, zu sehen bekommt. Paul Dessaus der Distanzschaffung verpflichtete Musik war in dem für Soloakkordeon arrangierten Fassung in der Interpretation Tatjana Bulavas sehr gut aufgehoben. Horst Vogelgesangs Bühne erinnerte an die wuchtige, aber karge Zweckästhetik der Inszenierungen von Brecht selbst und war - wichtig bei der Unzahl von Szenenwechseln - blitzschnell auf offener Bühne verwandelbar. Wie bei Brecht vorgesehen, trugen alle Nebendarsteller Masken, was ihre Funktionalität, ihre Austauschbarkeit betonte, die Übernahme vieler Rollen in diesem rollenreichen Stück erleichterte, aber sie auch zur demonstrativen Repräsentation von Typen und so mitunter zum Deklamieren und allzu deutlichem Gestikulieren zwang.

Fokussierung auf Protagonisten

Durch die weitgehende Anonymität der Nebendarsteller wurde die Aufmerksamkeit der Zuschauer aber auch noch stärker auf die Protagonisten mit bloßem Gesicht konzentriert. Und so feierte das Publikum am Ende zwar auch die ihre so vielseitige Spielkunst präsentierenden Neben-Rollenträger wie etwa Hellena Büttner, Hermann Höcker und all die anderen Mitglieder des 14-köpfigen Ensembles, aber die großen Ovationen bekamen natürlich die als Menschen kenntlichen Sympathieträger. Martin Krah als Grusches Verlobter Simon Chachava, der diesen mit anrührend komischer Gehemmtheit, aber innerlicher Festigkeit eines ehrlich Liebenden spielte, und Shantia Ullmann, die eine äußerst liebenswerte, unendlich blauäugige, aber auch energisch zupackende Magd und Retterin gab, wurden mit viel Beifall und Bravos bedacht.

Am meisten gefeiert wurde jedoch Peter Bause, durch dessen Bühnenpräsenz und komödiantische Spiellust der gesamte zweite, der Azdak-Teil, große Brisanz und Wucht bekam. Er hatte es mit seiner klugen und genauen Regie geschafft, dass auch die Zuschauer, die mit einigen Bedenken ob der zu erwartenden Lehrhaftigkeit des Stücks gekommen waren, am Ende begeistert waren von dem, was Brecht gegen seinen Willen, aber wohl nicht entgegen seinem ausgefuchsten Wissen um die Möglichkeiten des Theaters mit diesem Stück möglich machte: einen spannenden und auch vergnüglichen (Ja, ja, Herr Brecht!) Theaterabend.