Seit 15 Jahren kümmern sich im Markt Burkardroth Ehrenamtliche um die kleinen und großen Nöte ihrer Mitmenschen.
Was ist das, Zeit haben? Für Kinder eine Unendlichkeit, besonders, wenn sie warten müssen. Für Erwachsene hingegen ist "Zeit haben" oft etwas sehr Kostbares. Die wollen oder müssen sie dann wohlüberlegt verbringen. Mit Freunden etwa, einem guten Buch oder um etwas Wichtiges auf der Arbeit, im Haushalt oder mit den Kindern zu erledigen. Bei Elisabeth Wehner hingegen steht "Zeit haben" für etwas ganz Anderes. Sie verschenkt diese, regelmäßig. Wobei nicht festgelegt ist, wieviel davon. Manchmal dauert ihr Geschenk eine gute Stunde, häufig auch länger. Außergewöhnlich, mag so mancher dabei denken. Ist es auch.
Einfach da sein
Ihre Zeit verschenkt die 55-Jährige an eine Fremde, an Ursula (Name von der Redaktion geändert), und das seit fünf Jahren schon. Die ältere Dame ist an Demenz erkrankt, lebt aber weitestgehend zu Hause in ihrer gewohnten Umgebung. Sie ist zwar schon eine Weile pflegebedürftig, jedoch kümmern sich ausreichend Helfer um sie - der Pflegedienst, Familienmitglieder und Elisabeth Wehner. "Ich komme einmal in der Woche vorbei und bleibe einfach bei ihr", erzählt sie. Heute beispielsweise habe sie ihr die Haare frisiert. Bei schönem Wetter unternimmt sie mit der Pflegebedürftigen Spaziergänge im Rollstuhl in die nähere Umgebung. "Das gefällt ihr sehr."
Manchmal bleibt sie mit Ursula auch einfach nur auf der Terrasse sitzen und beobachtet, was um sie herum passiert, ob Autos vorbeifahren oder Nachbarn vorbeilaufen. Gespräche können die beiden Frauen nicht mehr miteinander führen, dafür ist die Demenz schon zu weit fortgeschritten. Dennoch redet Elisabeth Wehner mit ihr, erzählt von ihrem Alltag als Friseurin in einem Seniorenheim in Bad Kissingen oder von ihren drei Enkeln. Manchmal kommentiert Ursula das Erzählte mit einem Wort oder lächelt verständnisvoll. "Dann weiß ich, dass sie mich versteht und sich freut", so Elisabeth Wehner. Aber es gibt auch Tage, da sitzt sie auch nur einfach still da und hält Ursulas Hand.
Hilfe und Unterstützung
So wie Elisabeth Wehner sind im Markt Burkardroth etwa 25 Männer und Frauen ehrenamtlich unterwegs, um Kranken, Behinderten, Alleinerziehenden, Senioren oder Menschen in Notsituationen zu helfen und sie zu unterstützen. "Manche gehen mit älteren Leuten Einkaufen, fahren sie zu Ärzten oder Behörden. Andere wiederum helfen mal als Babysitter aus oder unterstützen Schulkinder bei den Hausaufgaben", schildert Elfriede Purretat, die Ansprechpartnerin der Gruppe "Zeit füreinander" ist. Oftmals reiche es eben schon aus, wie Elisabeth Wehner, einfach nur da zu sein, zuzuhören, Gespräche zu führen oder Spaziergänge zu unternehmen.
Seit 2001 gibt es diese ehrenamtlichen Dienste schon im Markt Burkardroth. Initiiert hat das Hilfsprojekt Diakon Michael Schlereth. "Ausschlaggebend für mich war, dass wir den Nöten der Menschen begegnen, Lösungen finden und eine Anlaufstelle schaffen", sagt er. Seit der ersten Stunde wird das Projekt vom Fachdienst Gemeindecaritas begleitet, der dem Kreiscaritasverband Bad Kissingen angehört.
"Momentan gibt es im Landkreis nur zwei solche Projekte, in Burkardroth und in Bad Kissingen, wo etwa 70 Ehrenamtliche tätig sind", sagt Helga Vierheilig, Ansprechpartnerin der Gemeindecaritas. In Hammelburg sei eine Helfergruppe im Aufbau, was jedoch momentan etwas stockt. Sie würde sich noch weitere Projekte dieser Art wünschen. "Wichtig ist, es muss ein Geben und Nehmen bleiben", sagt sie. Schließlich würden von dem Hilfsdienst auch die Helfer profitieren. Sie bekommen Anerkennung und Wertschätzung entgegengebracht und auch das Gefühl, gebraucht zu werden.
Eine große Hilfe für Angehörige
Ursulas Mann Herbert (Name geändert) kann das nur bestätigen. Er ist regelrecht erleichtert, dass Elisabeth Wehner einmal in der Woche vorbeischaut und sich Zeit für seine Frau nimmt. "Es ist toll, dass es sie gibt, dass Leute wie sie solche Dienste übernehmen, ohne eine Gegenleistung einzufordern", sagt er. Denn nicht nur Ursula profitiere von den Besuchen, auch Herbert gewinnt. Beispielsweise Zeit, die er wiederum für andere Dinge nutzen kann.
Zeit für andere Dinge
"Manchmal muss ich einfach raus, was Anderes sehen", sagt er und streicht seiner Frau liebevoll über die Hand. Dabei ist das Rauskommen gar nicht so einfach. Zwar ließe sich die Pflege recht unkompliziert organisieren. "Jedoch kommt dann die Sorge hinzu, geht's ihr gut, kann sie schlafen", erzählt er. Inzwischen habe er diese nicht mehr. Dank seiner Unterstützer wie Elisabeth Wehner.