Wenn sich Singstimme und Klavier viel zu erzählen haben

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Der Tenor Daniel Behle und sein Begleiter Sveinung Bjelland. Foto: Ahnert
Der Tenor Daniel Behle und sein Begleiter Sveinung Bjelland. Foto: Ahnert

Eine ganze Gesangswoche steht am Anfang des 31. Kissinger Sommers.

Eine ganze Gesangswoche steht am Anfang des 31. Kissinger Sommers. Daniel Behle, sehr erfolgreicher deutscher Opern- und Liedsänger, der sich einst als Fast-noch-Student beim Kissinger vorstellte, eröffnete sie mit einem Liedernachmittag, mit den absoluten Highlights der großen romantischen Liedkomponisten, Schumanns "Dichterliebe" und Schuberts "Schwanengesang". Sein Partner am Klavier war der norwegische Pianist Sveinung Bjelland.
Sie erarbeiten regelmäßig und gemeinsam ihre Interpretationen, sodass selbst eine so oft gehörte Komposition wie die "Dichterliebe" völlig frisch, persönlich, authentisch herüberkommt. Und bewegend: Denn für sie sind die Lieder nicht möglichst präzise Tongefüge, sondern Geschichten, die sich durch das Zusammenwirken von Musik und Text umso eindringlicher erzählen lassen.
Behle braucht keine Einsingphase, schon in den ersten drei Liedern der "Dichterliebe" bestachen die Tonsicherheit, der sprachlich kultivierte Vortrag und die in allen Lagen perfekt sitzende, runde, wohltönende Stimme, die sowohl im sehr romantisch getragen interpretierten "Im wunderschönen Monat Mai" als auch beim animierten, hektischen "Die Rose, die Lilie, die Taube, die Sonne" oder dem in Baritonlage beginnenden "Im Rhein, im schönen Strome" makellos geführt wurde. Seine Technik muss der Sänger nicht ausstellen, er benutzt sie, um in scheinbarer Einfachheit zu erzählen, Höhepunkte dramatisch auszugestalten wie ein guter Märchenerzähler. sängerische Souveränität, um auch kleine Nuancen der Texte auszuloten, Heines Ironie genauso überzeugend darzustellen in den desillusionierenden Umbrüchen, etwa vom flüsternd-erregten Gesprächston in "Und wüßten's die Blumen, die kleinen" in die Bitterkeit des Trennungschmerzes. Oder von der Erinnerung an die Leichtigkeit der Beziehung in "Allnächtlich im Traume" zu dem wirklich als Überraschung gestalteten Erwachen aus dem Traum.


Begleitung auf Augenhöhe

Natürlich geht das alles nur so eindringlich mit einem kongenialen Partner am Klavier: Sveinung Bjelland. Seine weichen wie unerbittlich und trostlosen Akkorde am Anfang von "Ich hab im Traum geweinet" oder der scheinbar unbeschwerte Tanzrhythmus als emotionale Kontrafaktur zur Verbitterung des lyrischen Ichs in "Das ist ein Flöten und Geigen", das war alles genau durchdacht und in absolutem Einverständnis mit dem Sänger musiziert. In solcher Herausarbeitung eines Seelentagebuchs von Heines unglücklich Liebenden wurden die beiden letzten Lieder fest an diese gebunden, wurde klar, was der von den beiden Musikern als Höhepunkt herausgearbeitete "Widerschein" in "Aus alten Märchen winkt es" meint und inwiefern der "große Sarg" in "Die alten bösen Lieder" die Befreiung ist aus dem Verlorenen, "eitel Schaum".
Der große dramatische Spannungsbogen endete so in einer Apotheose des romantischen Schmerzes, den die beiden Musiker zur Überraschung des Publikums nicht im Applaus untergehen lassen wollten. Stattdessen fügte Bjelland Johannes Brahms' Drei Intermezzi für Klavier op. 117 nahtlos an und es war erstaunlich, wieviel Korres-pondenz plötzlich erkennbar war zwischen den Liedern und der doch eigentlich absoluten Musik von Brahms, die die Stimmungen weitermalte. Bjelland schaffte die Quadratur des Kreises, er spielte ebenso klar und durchsichtig wie emotional überzeugend. So meinte man, ein tröstlich-distanzierendes Nachspiel zu den Liedern zu hören: nachdenklich fließend, dann duftig heiter und schließlich wieder ins Nachdenkliche abgetönt in Nr. 1, Nr. 2 perlend, nicht romantisch zerfließend und Nr. 3 als Ausblick auf neues Leben vorwärtsdrängend mit tragischen Untertönen.


Vertonte kleine Dramen

Franz Schuberts "Schwanengesang" verweigert sich schon aufgrund der drei verschiedenen Textdichter einem durchgehenden Konzept, doch ließen die Interpreten auch ihm ihren ebenso expressiven wie intimen Zugang angedeihen, machten aus den Gedichten kleine Musikdramen. "Abschied" bot Gelegenheit, die Scheinfröhlichkeit in der Klavierstimme wunderbar zu kontrastieren mit den mühsam unterdrückten Gefühlen des lyrischen Ichs. Heines Texte erzählen an sich schon kleine Dramen: die Selbstvorwürfe des "Atlas", sehnsüchtige Erinnerung in "Am Meer". Höchst eindrucksvoll die fast impressionistische Einleitung auf dem Klavier zu "Die Stadt" oder die Evokation der sinnentleerten Szenerie in "Der Doppelgänger", der in der differenzierten Ausgestaltung zu einer kleinen Oper mit einer packenden Aufgipfelung in "Schmerzensgewalt" wurde. Seidls "Die Taubenpost" kam erst wie ein fröhliches Liedchen daher, doch verstärkte das die Überraschung am Ende, denn nur die Taube ist sicher treu, beim Objekt der "Sehnsucht" ist das ja nicht sicher.