Vom Sieg über die Unspielbarkeit

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Daniil Trifonov nach seiner sensationellen Interpretation des Tschaikowsky-Klavierkonzerts. Foto: Ahnert
Daniil Trifonov nach seiner sensationellen Interpretation des Tschaikowsky-Klavierkonzerts. Foto: Ahnert
David Afkham stand am Pult der Bamberger Symphoniker. Foto: Ahnert
David Afkham stand am Pult der Bamberger Symphoniker. Foto: Ahnert
 

Daniil Trifonov und die Bamberger spielten Tschaikowsky.

Peter Tschaikowskys Klavierkonzert Nr. 1 b-moll galt schon vor seiner Uraufführung im Oktober 1875 in Boston als unspielbar und hatte einen heftigen Streit ausgelöst zwischen dem Komponisten und Nikolaj Rubinstein, dem das Konzert gewidmet war und der es aus der Taufe heben sollte. Rubinstein hatte von Tschaikowsky unter anderem eine Rücknahme der technischen Schwierigkeiten gefordert. Das war für den undenkbar, und er entzog seinem Freund die Widmung. Der gutmütige Hans von Bülow musste das schwierige und undankbare Amt übernehmen.

Warum sich das Werk den Ruf der Unspielbarkeit zugezogen hatte, wurde jetzt bei der Tschaikowsky-Soiree deutlich. Nicht dass Daniil Trifonov so schlecht gespielt hätte, sondern ganz im Gegenteil. Er war der erste Pianist in der Geschichte des Kissinger Sommers, der wirklich alle Noten gespielt hat, die Tschaikowsky zu Papier gebracht hat. Da merkte man plötzlich, was seine Kollegen bisher alles im Pedal der Verunklärung versenkt oder gleich ganz weggelassen hatten. Selbst Jean-Yves Thibaudet war an diese Vollständigkeit und Klarheit nicht herangekommen.

Was Daniil Trifonov mit seiner fulminanten Technik plötzlich zeigen konnte, waren nicht nur raffinierte und komplizierte Verzierungen in der rechten Hand. Sondern es war vor allem die linke Hand, die plötzlich nicht mehr Mitläufer war, sondern eine völlig neue, bisher nicht gekannte Eigenständigkeit bekam, weil sie etwas zu sagen hatte, die eine eigene gestaltete Ebene einführte. Da war eine Dichte, die man bisher nicht gekannt hatte. Und trotzdem fiel die Interpretation nie der Virtuosität zum Opfer.

Es war eine überraschende, aber auch charmante Beobachtung: Ausgerechnet die Bamberger waren ein bisschen nervös, hatten wohl leichtes Muffensausen vor dem etwas speziellen Solisten. David Afkham am Pult wirkte da auch ein bisschen wie ein Seelsorger. Aber es gab eigentlich keinen Grund zur Nervosität.

Sicher, Daniil Trifonov ist ein Pianist, der seine Freiräume in den Solopassagen extensiv nutzt zugunsten einer persönlich geprägten Interpretation, die übrigens keineswegs nur auf Sturm stand. Und er ist auch als höchst markanter, extrem konfrontativer Teil des Tutti - ganz im Sinne von Tschaikowsky - ein agogischer Unruheherd. Aber auf der Eins ist er immer da und damit berechenbarer als die meisten seiner Kollegen. Kleinere Ausbruchsversuche hatte David Afkham gut im Griff.

Und auch wenn Daniil Trifonov nur selten ins Orchester schaut, hört und denkt er es doch immer mit. So kam es nicht nur in der Konfrontation, sondern auch im Zusammenwirken mit den Einzelstimmen immer wieder zu wunderbaren Ergebnissen und Strukturierungen. Selbst wenn das im Orchester vielleicht nicht so deutlich wurde: Nach außen hin war die Zusammenarbeit ganz ausgezeichnet ausbalanciert und mitreißend wirkungsvoll.

Nach dem außergewöhnlichen Eindruck des Klavierkonzerts, das auch nach der Pause noch in den Ohren hallte, wirkte die 4. Sinfonie von Johannes Brahms mit ihrem lyrisch-idyllischen Einstieg der Hörner fast ein bisschen wie romantische Hausmannskost. Aber sie war sehr klar strukturiert, spielte sehr schön mit der Fülle der Gedanken, die den ersten Satz so kurzweilig machen. Und Afkham schaffte es, die sich entwickelnde Spannung auf den letzten Satz zu fokussieren. Hier begann er leise, hielt lange den Deckel drauf, um die Erwartungen des Hörers zu steigern, und führte die Sinfonie in der Coda zu einem schmetternden Schluss.Das Einzige, was man sich von David Afkham noch wünschen konnte, war insgesamt eine stärkere, plastischere Differenzierung der Dynamik. Aber man konnte natürlich auch Verständnis dafür haben, dass bei den Proben das Tschaikowsky-Konzert im Vordergrund stand.

Und die Bamberger hatten gleich noch eine Überraschung parat: Ausgerechnet das Orchester, das mit der Gewährung von Zugaben außerordentlich zurückhaltend ist (natürlich geht es auch ohne), spielte an diesem Abend gleich zwei: die eine da, wo sie hingehört, nämlich ans Ende: Johannes Brahms' Ungarischen Tanz Nr. 5. Die andere Zugabe erklang an ungewöhnlicher Stelle: gleich zu Beginn des Konzerts. Dass es mit Beethovens spannungsvoll-dramatischer Coriolan-Ouvertüre eröffnet würde, war keinem Programm und keiner Ansage zu entnehmen gewesen. Die Folge war neben allgemeiner Verblüffung ein schmaler Applaus, der deutlich heftiger ausgefallen wäre, wenn mancher Konzertbesucher die Ouvertüre nicht für den ersten Satz der Brahms-Sinfonie gehalten und sich ordnungsgemäß zurückgehalten hätte. Kann ja jedem mal passieren.