Ein 19-Jähriger im Landkreis Bad Kissingen beschleunigt, während er überholt wird und setzt eine tödliche Kettenreaktion in Gang. Jetzt folgte die Strafe.
Nach gut acht Stunden Verhandlung, in denen Zeugen und Sachverständige mehrfach an den Richtertisch kamen und mit Spielzeug-Autos den Unfall nachstellten, sprach das Jugend-Schöffengericht einen 20-Jährigen der fahrlässigen Tötung schuldig.
Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der junge Mann vor gut einem Jahr durch einen eigentlich harmlosen Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung einen tödlichen Unfall mitverursacht hatte: Sein BMW schleuderte gegen einen Audi, der dadurch in den Gegenverkehr geriet und dort frontal mit einem Kleinwagen zusammenstieß. Die 58-jährige Fahrerin des Kleinwagens wurde so schwer verletzt, dass sie wenig später an den Folgen starb. Das wurde nun mit einer Strafe von 100 Tagessätzen in Höhe von 35 Euro bestraft.
Angeklagtem fehlt Erinnerung
Der Unfall ereignete sich am 20. Januar 2016 gegen 17 Uhr. Der damals 19-Jährige fuhr mit seinem BMW auf der rechten Spur den Schindberg hinauf. Was dann passierte, dazu kann er bis heute keine Angaben machen: "Ich kann mich leider nicht erinnern, das hätte auch für mich einiges einfacher gemacht", sagte der Angeklagte. In der Verhandlung wurde jedoch mehrfach bestätigt, dass der 19-Jährige eigentlich "gesittet" gefahren sei, wie es Richter Dr. Matthias Göbhardt zusammenfasste.
Immer wieder zur Sprache kam in dem Prozess auch ein anderer Unfall vom März 2015: Damals war der Angeklagte in Schweinfurt bei relativ niedriger Geschwindigkeit auf regennasser Fahrbahn so unglücklich gegen einen Baum geprallt, dass er lebensgefährlich verletzt wurde: Drei Wochen lag er im Koma, gebrochene Knochen und verletzte Organe zwangen ihn unter anderem zu einer Umschulung. Bis heute kann er keinen Sport machen.
"Sie waren eigentlich gewarnt durch ihren Unfall", begründete Richter Göbhardt später in der Urteilsbegründung, dass deshalb auch kein Jugendstrafrecht angewandt wurde, und: "Wir können die Tat nicht als jugendtümlich ansehen, sondern es war ein Ausdruck ihrer Persönlichkeit", sagte Göbhardt. Das zeige auch die bisherige Lebensgeschichte: "Wir sehen keine Reifeverzögerung, sondern sie gehen ihren Weg."
Spurenlage war eindeutig
Auch wenn es sich der Angeklagte nicht vorstellen konnte, kam das Gericht durch die Zeugenaussagen zu dem Schluss, dass der 19-Jährige nach der Bienenhaus-Kurve beschleunigt haben muss, während er überholt wurde. Deshalb der Vorwurf der Fahrlässigkeit und der Mit-Schuld am Unfall: "Es ist vorhersehbar, dass es beim Beschleunigen während des Überholt-Werdens zu einer kritischen Situation kommen kann."
Die wenigen Sekunden danach zu rekonstruieren, war Aufgabe der Sachverständigen: "Die Spuren sind sehr eindeutig", kommentierte sie das Ergebnis ihrer Untersuchungen. Als Ursache für den Unfall sah sie eine "Kombination aus heckgetriebenem Fahrzeug, feuchter Fahrbahn und Reifen" an: Der 19-Jährige hatte den BMW erst kurz zuvor gekauft und erst am Tag vor dem Unfall zugelassen, weil er sein altes Winterauto drei Tage vorher beim "Driften" auf einem Parkplatz in Oberthulba zu Schrott gefahren hatte. Weil dort der Bordstein leicht bestätigt wurde, stand auch noch eine Unfallflucht im Raum, die im Rahmen des Verfahrens aber nicht weiterverfolgt wurde, weil sie gegenüber der fahrlässigen Tötung nicht ins Gewicht fiel.
Die Sachverständige bestätigte, dass das Fahrzeug ältere Sommerreifen hatte, allerdings hätten sie ausreichend Profil gehabt und zur Unfallzeit lag kein Schnee. "Das hätte auch mit schlechten Winterreifen passieren können", lautete das Fazit der Sachverständigen. Wichtige Erkenntnisse zog die Sachverständige aus der ersten Kollision: "Der Audi war schneller, aber der BMW hat sich zusätzlich seitlich bewegt", fasste sie das Ergebnis zusammen. Der Audi habe im Moment des Zusammenpralls offensichtlich gerade überholt. Die Geschwindigkeit habe zwischen 65 und 75 Stundenkilometern gelegen, der BMW sei 58 bis 68 Stundenkilometer gefahren. Und: "Die Fahrzeuge haben sich vorne getroffen." Deshalb habe auch der leichtere BMW den schwereren Audi so auslenken können, dass er in den Gegenverkehr geriet.
Nur gut eine Sekunde Zeit
Was danach passierte, habe die Audi-Fahrerin nicht mehr beeinflussen können: "Eine wirksame Reaktion nach der ersten Kollision war nicht möglich", betonte die Sachverständige. Anhand der Lackspuren und der Beschädigung der Fahrbahn war klar, dass zwischen der ersten Berührung und dem Frontalzusammenstoß nur 20 bis 25 Meter lagen, also nur gut eine Sekunde Zeit.
Selbst eine Lenkbewegung der Audi-Fahrerin hätte den Zusammenstoß nicht verhindern können. Beim anschließenden Frontal-Zusammenstoß wurde die damals 55-jährige Audi-Fahrerin schwer verletzt, unter anderem erlitt sie einen Wirbelbruch, ist bis heute krank geschrieben. Sogar ein erster Verhandlungstermin im Dezember war verschoben worden, weil sie noch nicht in den Zeugenstand konnte.
Tragisch waren die Folgen für die Fahrerin des Kleinwagens: Die 58-Jährige war zwar unmittelbar nach dem Unfall noch ansprechbar, der Unfallverursacher und die sofort anwesende Polizeistreife unterhielten sich wohl noch mit ihr, aber ihre Verletzungen waren so stark und der Blutverlust so groß, dass jede Hilfe zu spät kam.
Das Argument der Verteidigung, dass auch der Zustand der Bundesstraße 287 am Schindberg sehr schlecht sei, bestätigte die Sachverständige nur bedingt: "Wir haben da eine Fahrbahn die teilweise nicht besonders griffig ist", antwortete sie auf Nachfragen des Verteidigers. Aber: "Man kann da fahren, ohne dass das Fahrzeug ausbricht."
Laut den Messwerten des Staatlichen Bauamtes aus dem Jahr 2011 liegt die Griffigkeit noch im Norm-Bereich. Der Verteidiger verwies darauf, dass das Staatliche Bauamt angekündigt habe, schon bald eine neue Deckschicht aufzubringen. Den Beweisantrag der Verteidigung für ein neues Gutachten lehnte das Schöffengericht trotzdem ab: "Sie hätten nicht beschleunigen dürfen, und deshalb kommt es nicht auf die Griffigkeit an", sagte Göbhardt auch in der Urteilsbegründung.
Drei Monate Fahrverbot
Trotzdem wurde der Zustand der Straße zugunsten des Angeklagten gewertet. Ebenso seine Empathie: Er versicherte glaubhaft, dass er sich bei Opfern und Angehörigen entschuldigen will. Sein Anwalt hatte ihm bislang abgeraten. Eine Rückkehr nach Bad Kissingen schließt der 20-Jährige aus, er wohnt bereits wegen einer Umschulung auswärts. Aufs Autofahren verzichtet er seit dem Unfall, das Gericht hat aber zusätzlich zur Geldstrafe auch ein dreimonatiges Fahrverbot verhängt: "Sie sollen darüber nachdenken, dass ein Führerschein nicht selbstverständlich ist", gab Göbhardt dem Verurteilten mit auf dem Weg. Und allen im Gerichtssaal wurde nach dem Fall deutlich, welche fatalen Folgen selbst scheinbar harmlose Regelverstöße im Straßenverkehr haben können.