Stellen Sie sich vor, Sie sind todkrank und ihre Kasse will nicht zahlen. Richard Freibott kämpft nicht nur gegen den Krebs, sondern auch gegen die AOK.
Für Richard Freibott war es ein riesiger Erfolg. Seit Jahren liefern sich der todkranke Mannund seine Lebensgefährtin Ulrike Dempsey einen erbitterten Rechtsstreit mit ihrer Krankenkasse. Die AOK Bayern weigert sich, die Kosten für seine Krebsbehandlung zu zahlen - dabei handelt es sich um eine Summe von rund 21 000 Euro jährlich. Die Hauptverhandlung vor dem Sozialgericht Würzburg steht zwar noch aus, im Frühjahr hat das Gericht dem Paar aus Steinach aber in einem Eilverfahren Recht gegeben. Der Richter verpflichtete die Kasse, die Kosten für zwei Therapien vorläufig zu übernehmen.
Das Paar ist wirtschaftlich am Limit, ihre Ersparnisse sind aufgebraucht. Um die lebenserhaltende Behandlung überhaupt finanzieren zu können, hatte Freibott bereits seine Lebensversicherung gekündigt und seine Partnerin ein Darlehen aufgenommen. Ohne die vorläufig erzwungene Kostenübernahme wäre er gezwungen gewesen, sein Hobby, die Jagd, aufzugeben. Dempsey: "Das ist für ihn aber wichtig, weil es ihm im Kampf gegen die Krankheit Antrieb gibt." Der andauernde Rechtsstreit zehre dagegen an den Kräften. "Die Lebensqualität, die wir uns mit der Therapie erarbeitet haben, geht kaputt durch den Kampf mit der AOK", sagt sie.
Verzweifelte Suche nach Ärzten
2013 wurde bei dem heute 67-jährigen eine besonders aggressive Form von Prostatakrebs diagnostiziert. Die Krankheit war bereits weit fortgeschritten, der Tumor hatte überall im Körper gestreut. Die Ärzte gaben dem Rentner nur noch wenige Monate zu leben und leiteten eine palliative Hormonentzugstherapie ein - eine Standardbehandlung in so einem Fall.
Das Paar wollte sich mit dem Schicksal allerdings nicht so einfach abfinden. Verzweifelt rannten sie von Arzt zu Arzt und suchten einen Mediziner, der eine andere Behandlung vorschlug - allerdings ohne Erfolg. "Am Anfang hätte ich mich über eine Chemo gefreut. Was blieb mir denn sonst übrig?", fragt er.
Während sich Freibotts gesundheitliche Werte verschlechterten, lief zumindest aus finanzieller Sicht alles in geregelten Bahnen. Die Kasse kam für die Kosten der Standardbehandlung auf. Der Streit fing erst 2015 an.
Auf ihrer verzweifelten Suche nach einer Therapie wurde das Paar zunächst in Bad Aibling fündig. Die Ärzte am Klinikum St. Georg leiteten eine Thermo-Chemotherapie ein. Hier weigerte die AOK sich zum ersten Mal, zu zahlen. Freibott und Dempsey klagten dagegen, verloren in erster Instanz und sind im Moment dagegen in Berufung. Ihre Chancen auf Erfolg schätzen sie allerdings aufgrund eines formellen Fehlers beim Stellen des Antrags als eher gering ein.
Bei der Thermo-Chemotherapie handelt es sich zwar nicht um ein Standardverfahren, aber grundsätzlich um eine etablierte Behandlungsform. "Der Patient kann eigentlich eine Kostenvereinbarung mit der Kasse treffen", sagt Sabine Dittmar. Für die SPD-Bundestagsabgeordnete und Gesundheitsexpertin ist der Fall ein Beispiel dafür, wie es bei der Versorgung todkranker Patienten nicht laufen darf. Sie habe den Eindruck, es sei eine Menge schief gelaufen. Freibott hätte nach seiner Diagnose an ein Tumorzentrum vermittelt werden müssen, das die weitere Behandlung zentral steuert. Freibott hingegen "hat seine Diagnose gekriegt, hat eine Standardbehandlung bekommen und wurde danach allein gelassen", kritisiert sie.
Überweisung nach Bad Berka
Nachdem die Therapie in Bad Aibling nur vorübergehend half, haben die Ärzte Freibott ins thüringische Bad Berka überwiesen. Die Zentralklinik ist international führend im Bereich der molekularen Radiotherapie. Seit einigen Jahren bietet sie für Patienten mit fortgeschrittenem Prostatakrebs eine Behandlung mit Lutetium 177 an. Wie Dittmar bestätigt, handelt es sich auch hier um eine fundierte Therapie. Seit 2017 habe die Behandlung mit Lutetium 177 eine positive Bewertung vom Gemeinsamen Bundesausschuss, also von dem höchsten Gremium, das für die Selbstverwaltung des deutschen Gesundheitswesens zuständig ist.
Kasse muss in Ausnahmen zahlen
Wie kann es sein, dass eine große gesetzliche Krankenkasse einen todkranken Menschen im Stich lässt und sich weigert, die Kosten für die lebensnotwendige Therapie zu bezahlen? Im Kern der Auseinandersetzung mit der AOK geht es darum, dass die Behandlung mit Lutetium 177 nicht zum offiziellen Leistungskatalog der Krankenkassen gehört. Es handelt sich um einen Heilversuch. Dafür zahlt eine Krankenkasse nur in Ausnahmen. Die Kriterien hat das Bundesverfassungsgericht 2012 festgelegt: Es muss sich um eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung handeln, der Heilversuch muss sich spürbar positiv auswirken und der Patient muss austherapiert sein. Das heißt, es dürfen keine Standardbehandlungen mehr zur Verfügung stehen. Strittig ist Punkt Nummer drei. Die AOK und Gutachter vom Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) argumentieren, das noch mehrere zugelassene und leitliniengerechte Möglichkeiten zur Verfügung stehen. Richard Freibott sieht das natürlich anders.
Er stützt sich auf den behandelnden Chefarzt in Bad Berka, Richard Baum. "Er hatte die übliche Behandlung gehabt und die Krankheit ist dennoch fortgeschritten", sagt der Professor für molekulare Radiotherapie. Nach europäischem Recht habe jeder Patient die Möglichkeit, Standardbehandlungen abzulehnen, wenn sie wenig erfolgversprechend sind. Freibott ist seiner Ansicht nach austherapiert und erfüllt die Kriterien, die das Bundesverfassungsgericht fordert. Es sei schwer nachzuvollziehen, warum die AOK die Kosten nicht übernimmt. In ähnlichen Fällen verhält sich Baums Erfahrung nach die Mehrheit der Krankenkassen anders. "In weniger als fünf Prozent der Fälle werden die Kosten abgelehnt", berichtet er.
Für die AOK ändert die Niederlage im Eilverfahren nichts. Auf Nachfrage verweist ein Sprecher darauf, dass das Urteil im Hauptverfahren aussteht.
Lutetium 177 verspricht höhere Lebenserwartung bei Prostatakrebs
Der schwerkranke Richard Freibott lässt sein metastasiertes Prostatakarzinom mit einer neuen Behandlung im thüringischen Bad Berka behandeln. Die Therapie mit dem radioaktiven Präparat Lutetium 177 bietet die dortige Zentralklinik für Patienten an, die auf die übliche Hormontherapie nicht mehr ansprechen. Wie Chefarzt Richard Baum erläutert, müssen auf der Oberfläche der Krebszellen spezielle Antigene vorhanden sein. Der Patient wird im Vorfeld daraufhin untersucht. Die Antigene dienen als Andockstelle. "Das Mittel, das wir in das Blut injizieren, heftet sich dort an und bestrahlt den Tumor von innen heraus", erklärt der Chefarzt.
Mit diesem Schlüssel-Schloß-Prinzip habe die Klinik bei anderen Tumoren schon seit 20 Jahren gute Erfolge erzielt. Beispielsweise erhielt die sogenannte Radio-Rezeptor-Therapie im September 2017 die europäische Zulassung, im Januar folgte die Zustimmung für das us-amerikanische Gesundheitswesen.
Aber auch die Behandlung mit Lutetium 177 bei Prostatakrebs sei gut erforscht und werde weltweit eingesetzt. "Wir sind hier inzwischen weit über das Stadium Heilversuche hinaus", sagt Baum. Es gebe eine Vielzahl namhafter Publikationen, die die Wirksamkeit belegen. Mittlerweile ist eine breitangelegte Studie angelaufen, die den höchsten Evidenzkriterien entspricht. Verläuft diese erfolgreich, ist der Weg bereitet, dass Lutetium als Standardbehandlung zugelassen werden kann.
Die Therapie könne das Leben von Prostatakrebspatienten erheblich verlängern. "Wir können nachweisen, dass wir die Lebenserwartung unserer Patienten im Durchschnitt verdoppeln können im Vergleich zu Patienten mit Chemotherapie", sagt Baum.