Das Theater Hof setzte bei seinem "König Lear" lieber auf abgedroschene Mätzchen des Regietheaters als auf das stringente Umsetzen von Shakespeares Tragödie.
Bad Kissingen — König Lear ist die Tragödie, in der William Shakespeare das irgendwie versöhnliche Ende aller Tragödien in Frage stellt. In einer Welt des Chaos, die aus Lears Thronverzicht und dem daraufhin im Land herrschenden Kampf zwischen den beiden verlogenen, macht- und sexgeilen Erbtöchtern entstanden ist, herrscht das Gesetz der Anarchie, der rücksichtslosen Durchsetzung der eigenen Ziele. Und beinahe würde es ja deren Verkörperung Edmund schaffen, zum Herrscher über England zu werden. Das wird am Ende abgewendet, die Herrschaft dem guten Edgar übergeben.
Doch was, wenn der auch die Verantwortung scheut und am Ende den im Moment auf deutschen Bühnen sehr angesagten und deshalb schon seit einiger Zeit abgedroschen wirkenden Benzinkanister nimmt und alle, auch sich selbst, anzünden will? Ein Happy End läutet Edgar auch in Shakespeares Text nicht ein, aber der Zuschauer schöpft Hoffnung daraus, dass Edgar eben nicht zum egozentrischen Zyniker geworden ist, und man ihm deshalb einen Neuanfang zutraut. Bei diesem Ausgang des Stückes wirkt es wie ein zynischer Verrat an Shakespeare, wenn man Edgar auch noch kneifen und seine Umgebung abfackeln sieht.
Die Angst vor einem Ende des Stücks, das einen Weg in eine bessere Zukunft offen lässt, ist wohl eher der Suche nach einem Schlussgag geschuldet als dem Versuch, dieses sperrige Stück seinen heutigen Zuschauern irgendwie näher zu bringen.
Dass die Regiearbeit von Holger Seitz auch jenseits des völlig unpassenden Schlusseffekts auf ein paar schrille Effekte inmitten einer eigentlich recht brav abgespulten Wiedergabe des Textes abzielte, zeigte der recht hilflos wirkend Versuch, die heikle Szene der Blendung Gloucesters mit so vielen verfremdenden Elementen zu überfrachten , dass sie nirgends überzeugte. Was sollten dieses plötzlich hereinbrechende Ausweichen auf eine krude Horror-Thriller-Szenerie mit Sound- and-Light-Überfrachtung und die wohl als komische Nummer gedachte Verwendung eines Küchen-Zauberstabs zur Blendung des alten Mannes im traulichen Geglitzer einer Discokugel? Da wurde wie beim Schluss in die wohlfeile Effektekiste gegriffen um vor der Pause noch einmal eine kleine Sensation zu zünden.
Ansonsten verschiebbare, aber irgendwie nie zu etwas wirklich Sinnfälligem zusammenfügbare schmuddlige oder feldgraue Gestelle mit sehr heutigem Wohlstandmüll als Bühneninstallation und Kostüme aller Stilrichtungen aus dem Fundus von Herbert Buckmiller, Aktualisierungen durch Handy-einsatz, Mikrophone auf der Vorbühne und eine gelegentlich sehr eigenwillige Nicht- oder Fehlbeleuchtung von Protagonisten und zentralen Bühnenbereichen. Die Schauspieler taten ihr hoffentlich Bestes, was manchmal nicht hinausging über den Einsatz ihres imposanten oder netten Äußeren. Thomas Harys Lear überzeugte sowohl in den genüsslich herausgespielten Tobsuchts- und Wahnsinnsszenen, aber auch in der milden Altersdemenz und absoluten Resignation des Schlusses.
So hinterließ das Gastspiel des Hofer Sprechtheaters einen ganz anderen Eindruck als die letzten Male, als sehr häufig eine rundum schlüssige Inszenierung und ausgezeichnete Personenregie in einem spielfreudigen Ensemble das Kissinger Publikum begeisterten. Es gab am Ende - im Gegensatz zu dem etwas ratlosen vor der Pause - durchaus freundlichen Beifall, ein zaghaftes Buh und einen einzelnen unverdrossenen Bravorufer.