Telemedizin macht's möglich: Diagnose per Handy

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ZTM-Geschäftsführer Sebastian Dresbach zeigt, wie einfach die Anwendung ist. Foto: Ralf Ruppert
ZTM-Geschäftsführer Sebastian Dresbach zeigt, wie einfach die Anwendung ist. Foto: Ralf Ruppert
Der Bad Kissinger Allgemein- und Kurarzt Dr. Ralph Brath (von links) übernimmt zum Jahreswechsel die Praxis seines Kollegen Peter Bergel in Euerdorf. Beiden ist wichtig, dass die ärztliche Versorgung vor Ort gewährleistet bleibt, dank Telemedizin sogar verbessert. Foto: Ralf Ruppert
Der Bad Kissinger Allgemein- und Kurarzt Dr. Ralph Brath (von links) übernimmt zum Jahreswechsel die Praxis seines Kollegen Peter Bergel in Euerdorf. Beiden ist wichtig, dass die ärztliche Versorgung vor Ort gewährleistet bleibt, dank Telemedizin sogar verbessert. Foto: Ralf Ruppert
 
Der Bad Kissinger Allgemein- und Kurarzt Dr. Ralph Brath (von links) übernimmt zum Jahreswechsel die Praxis seines Kollegen Peter Bergel in Euerdorf. Beiden ist wichtig, dass die ärztliche Versorgung vor Ort gewährleistet bleibt, dank Telemedizin sogar verbessert. Foto: Ralf Ruppert
Der Bad Kissinger Allgemein- und Kurarzt Dr. Ralph Brath (von links) übernimmt zum Jahreswechsel die Praxis seines Kollegen Peter Bergel in Euerdorf. Beiden ist wichtig, dass die ärztliche Versorgung vor Ort gewährleistet bleibt, dank Telemedizin sogar verbessert. Foto: Ralf Ruppert
 
Hermann Kirchner ist einer der 35 Patienten, die bislang telemedizinisch überwacht werden. Anne-Katrin Bötsch von der Herz- und Gefäßklinik Bad Neustadt betreut ihn. Foto: Paul Ziegler
Hermann Kirchner ist einer der 35 Patienten, die bislang telemedizinisch überwacht werden. Anne-Katrin Bötsch von der Herz- und Gefäßklinik Bad Neustadt betreut ihn. Foto: Paul Ziegler
 
Der Bad Kissinger Allgemein- und Kurarzt Dr. Ralph Brath (von links) übernimmt zum Jahreswechsel die Praxis seines Kollegen Peter Bergel in Euerdorf. Beiden ist wichtig, dass die ärztliche Versorgung vor Ort gewährleistet bleibt, dank Telemedizin sogar verbessert. Foto: Ralf Ruppert
Der Bad Kissinger Allgemein- und Kurarzt Dr. Ralph Brath (von links) übernimmt zum Jahreswechsel die Praxis seines Kollegen Peter Bergel in Euerdorf. Beiden ist wichtig, dass die ärztliche Versorgung vor Ort gewährleistet bleibt, dank Telemedizin sogar verbessert. Foto: Ralf Ruppert
 

Das Zentrum für Telemedizin bringt neue Technik für Ärzte und Patienten zur Marktreife.

Patient Hermann Kirchner ist begeistert: "Man fühlt sich einfach sicher durch die tägliche Selbstkontrolle", berichtet er über die telemedizinische Betreuung durch die Herz- und Gefäßklinik in Bad Neustadt. Der 60-jährige Wegfurter war im August am Herzen operiert worden. Angefangen hatte alles mit starken Schwindelgefühlen, die Ärzte diagnostizierten ein Vorhofflimmern. Die Verödung von Gewebe an der Innenseite der Lungenvenen half. Während der Heilungsphase, also bis drei Monate nach der OP, kann es verstärkt zu Vorhofflimmern kommen. Über einen Tablet-Computer und EKG-Elektroden kann Hermann Kirchner seine Werte täglich checken lassen.
"Das dauert vier bis fünf Minuten", sagt Hermann Kirchner über den täglichen Aufwand, und: "Das geht viel einfacher und schneller, als jedes Mal zum Arzt gehen zu müssen." Meistens einmal am Tag, wenn ihm schwindelig wird auch öfter, kann der 60-Jährige das EKG schreiben und mit einem Klick an die Klinik senden. "Ich bin auch einer, der nicht so oft zum Arzt geht", gibt Kirchner ehrlich zu. Deshalb ist die Lösung für ihn der Idealfall: "Ich würde das sofort wieder machen."
Studienassistentin Anne-Katrin Bötsch betreut das neue Projekt der Herz- und Gefäßklinik, das seit April diesen Jahres läuft. 35 Patienten nehmen oder nahmen bisher daran teil. "Die Resonanz war sehr positiv, die meisten Patienten hätten das iPad samt EKG nach den drei Monaten am liebsten noch länger behalten, weil sie sich so sicher damit fühlen." Nur ganz wenige Patienten haben laut Bötsch bislang die Teilnahme abgelehnt, obwohl das Durchschnittsalter der Betroffenen bei 60 Jahren liege, der älteste Patient sei 75 gewesen. "Manche haben eben mit Smartphones gar nichts am Hut", berichtet Bötsch.


Hohe Eigen-Verantwortung

Mit allen anderen geht die wissenschaftliche Mitarbeiterin die Handhabung durch: Noch an der Klinik werde eine Referenzmessung gemacht, mit der dann alle EKG-Werte verglichen werden. Wie oft er dann daheim die vier Einweg-Elektroden an den Brustkorb klebt und das Tablet anschließt, sei dem Patienten selbst überlassen, aber: "Die meisten messen täglich, weil es ihnen Sicherheit gibt", sagt Bötsch. Oder eben nach Bedarf, wenn ihnen unwohl sei. Die Werte werden einfach im Sitzen abgeleitet, als Ruhe-EKG oder unmittelbar nach Belastungen. "Wenn mal zwei oder drei Tage gar nichts kommt, fragen wir auch mal nach."
Oberärzte oder der Chefarzt analysieren täglich die zugeschickten Werte. "Es waren schon mehrere Patienten dabei, bei denen das Vorhofflimmern wieder kam, die wurden dann einberufen", sagt Bötsch zur Auswertung. Dann werde mit einer so genannten Kardioversion, also einem Elektro-Impuls am Herzen, der normale Rhythmus wieder hergestellt. Einen kleinen Haken für die Klinik hat das neue System: "Es gibt bisher nur eine einzige Krankenkasse, die das Home-Monitoring bezahlt", berichtet Bötsch. Die Anschaffung der 25 Tablets samt Elektroden sei also vorerst eine Service-Leistung für die Patienten. Bötsch hofft, dass sich das bald ändert, einen ersten Lichtblick gebe es bereits: Die Fernüberwachung implantierter Herzschrittmacher und Defribilatoren müssen Krankenkassen mittlerweile übernehmen. In diesem einen Punkt gebe es eine gesetzliche Regelung.
Eingerichtet hat das neue System an der Herz- und Gefäß-Klinik das Bad Kissinger Zentrum für Telemedizin (ZTM). "Wir verstehen uns als Motor, dass solche Systeme zur Anwendung kommen", sagt ZTM-Geschäftsführer Sebastian Dresbach.

Einen Tag vor Silvester wird Hausarzt Peter Bergel zum letzten Mal in seiner Praxis sitzen. Ab dem neuen Jahr übernimmt dann Dr. Ralph Brath. Brath betreibt bereits mit seinem Kollegen Michael Brendler eine Praxis in Bad Kissingen, für Euerdorf stellt er einen dritten Arzt ein. "Der junge Kollege wird dann fest in Euerdorf arbeiten, die Patienten brauchen einen festen Ansprechpartner." Das ist ganz im Sinne von Peter Bergel: "Mir war wichtig, dass meine Patienten hier in Euerdorf gut versorgt sind", sagt der 65-Jährige.
Bergel ist zwar kein gebürtiger Euerdorfer, aber dem Ort seit über 50 Jahren verbunden: Geboren wurde er im Oldenburger Land, als er drei Jahre alt war, zog die Familie nach Mühlheim an der Ruhr. Wegen der Erkrankung seiner Mutter habe sich die Familie zehn Jahre später zum Umzug nach Bad Kissingen entschieden. Durch einen Zufall kamen sie in Euerdorf unter. Nach dem Abitur in Hammelburg studierte er zunächst Psychologie in Tübingen, dann Medizin in Würzburg. Nach dem Staatsexamen ging er 1980 ans Elisabeth-Krankenhaus, 1984 eröffnete er dann die Praxis in seiner Heimatgemeinde.


"Falsche Vorstellungen"

"Junge Kollegen wollen sich heute nicht mehr selbstständig machen, damals war das selbstverständlich", blickt Bergel zurück. Er sei in einer Zeit des Aufbaus groß geworden: "Nach dem Krieg ging es einfach immer nur bergauf." Bei seiner langwierigen Suche nach einem Nachfolger stellte Bergel fest, dass die Situation heute völlig anders ist: Geld und Selbstständigkeiten rückten in den Hintergrund, wichtiger sei jungen Medizinern eine geregelte Arbeitszeit. Und: "Es gibt völlig falsche Vorstellungen über die Arbeit als Hausarzt im ländlichen Raum." Zum Beispiel seien die Notdienste besser geregelt: "Man muss heute nicht mehr rund um die Uhr für seine Patienten zur Verfügung stehen."
Diese Erfahrung macht auch Dr. Brath im Rahemn seiner Lehr-Tätigkeit an der Uni Würzburg: Seit neun Jahren werbe er in seinen Seminaren für die Allgemeinmedizin. "Da lernt man, den ganzen Menschen zu sehen", lautet sein Credo. Aber erst nach und nach werde der Hausarzt-Beruf attraktiver. Zum einen werde insgesamt zu wenig medizinischer Nachwuchs ausgebildet, zum anderen seien zwei Drittel seiner Studierenden Frauen. Bei der Gründung einer eigenen Praxis schrecke da oft die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ab.


Gute Zusammenarbeit vor Ort

"Die Infrastruktur in Euerdorf stimmt, man hat noch alles im Ort", sagt Peter Bergel, der 24 Jahre lang im Gemeinderat saß. Das politische Amt und vieles andere sei nur wegen der sehr guten Zusammenarbeit vor Ort möglich gewesen: "Die Kollegialität mit meinem Kollegen Dr. Sobtzick war sehr gut." Unter anderem verdoppelten die Praxen über die Jahrzehnte ihre Ferienzeiten von vier auf acht Wochen. "Auch der Urlaubspaln für 2017 steht schon", berichtet Dr. Brath.
Über eine Anzeige der Kassenärztlichen Vereinigung wurde Brath auf die Situation in Euerdorf aufmerksam. Der 59-jährige gebürtige Bad Kissinger ist Arzt in dritter Generation. Sein Vater starb, als er noch im Studium steckte. Deshalb übernahm Ralf Brath 1987 die Praxis Dr. Hacker. Mittlerweile macht das älteste seiner vier Kinder, Sohn Johannes (28), die Ausbildung zum Facharzt für Allgemeinmedizin. Ob er allerdings die Praxis übernehmen will, sei noch offen: "Da kann noch viel passieren." Bei Peter Bergel dagegen ging keines der drei Kinder in die Medizin. "Das war damals eher ein abschreckendes Beispiel", verweist der Arzt lachend auf die häufigen Notdienste früher.
"Für die Patienten soll sich möglichst wenig verändern, die Versorgung geht nahtlos weiter", lautet Braths Ziel. Räume und Öffnungszeiten bleiben. Allerdings tut sich hinter den Kulissen einiges: Brath wird auf digitale Patientenakten umstellen. Rund 1000 Patienten besuchen die Praxis Bergel im Quartal, insgesamt dürften rund zehntausend Menschen aus der Region erfasst sein, weil sie schon einmal hier behandelt wurden. Ihre Daten werden bald in Euerdorf und Bad Kissingen abrufbar sein.
Nicht nur dafür war eine neue Datenleitung nötig: Denn über Video-Konferenzen können sich die drei Mediziner der beiden Praxen auch austauschen: Stetoskope, die Töne direkt übertragen, oder EKG-Auswertung aus der Ferne sind dann möglich. Das Wissen dazu liefert auch in der Praxis Brath das Bad Kissinger Zentrum für Telemedizin. "Ich habe das früher schon mal ausprobiert, aber da waren die Datenmengen noch zu groß und die Verbindungen zu langsam", berichtet Brath.
"Mittlerweile haben wir viele Erfahrungswerte", verweist ZTM-Geschäftsführer Sebastian Dresbach auf technische Neuerungen. Das ZTM hat zum Beispiel in 49 Krankenhäusern in ganz Deutschland sein Angel-System installiert: Bei Schlaganfall-, Herzinfarkt-, schwerverletzten und allen anderen Patienten werden damit Daten vom Rettungswagen direkt in Krankenhäuser übertragen. "Ganz frisch ist die Uni-Klinik Würzburg mit dabei, das freut uns natürlich sehr", berichtet Dresbach, und: "Mittlerweile gehen pro Monat die Daten von 12 000 Patienten durch das System." Das ZTM kümmere sich um die technische Umsetzung und die Schulung des Personals.
Frisch mit einem Preis ausgezeichnet wurde das ZTM zudem für sein Projekt "Teleview für Flüchtlinge": In Kooperation mit zahlreichen Ärzten mit Migrationshintergrund wurde dabei eine Video-Sprechstunde in verschiedenen Sprachen angeboten. Noch in den Anfangsschuhen steckt dagegen ein neues Projekt: Eine Arzthelferin soll mit einem Elektroauto und telemedizinischer Ausrüstung übers Land fahren und Patienten mehrerer Ärzte besuchen. "Statt mit dem Privat-Handy zum Beispiel einen diabetischen Fuß zu fotografieren, kann man dann eine Video-Konferenz machen, bei der der Arzt sofort Rückmeldungen gibt", nennt Dresbach eine Anwendung. Oder es wird ein EKG geschrieben wie beim Projekt der Bad Neustädter Herz- und Gefäßklinik. Für Hausärzte wie Dr. Brath eröffnen sich also völlig neue Anwendungsgebiete: "Das wäre dann der nächste Schritt", freut er sich schon.

Entstehung Das Zentrum für Telemedizin (ZTM) wurde bei der Sitzung des Bayerischen Kabinetts am 7. Juli 2010 in Bad Kissingen beschlossen. Im Oktober 2010 wurde der gleichnamige Förderverein gegründet. Seine Arbeit nahm das ZTM Anfang 2012 im Rhön-Saale-Gründerzentrum, Sieboldstraße 7, in Bad Kissingen auf. Dem Verein gehören gut 60 Mitglieder an, von A wie Ärztlicher Kreisverband bis Z wie Zentrum für Telematik. Den Vorsitz hat Prof. Bernd Griewing, der ärztliche Direktor der Neurologischen Klinik Bad Neustadt. Zudem gibt es einen neunköpfigen Beirat mit Politikern, Medizinern und Vertretern aus Industrie, Krankenkassen, Hochschulen und Rentenversicherung.

Personal Das ZTM hat aktuell 14 fest angestellte Mitarbeiter: zehn in Bad Kissingen und vier an der Außenstelle Karlsruhe.

Finanzierung Das Projekt war zunächst auf vier Jahre angelegt. Der Freistaat Bayern fördert das Projekt bisher jährlich mit Zuschüssen zwischen 250 000 Euro und 500 000 Euro. Aktuell wird über eine dauerhafte Förderung ab dem kommenden Jahr verhandelt.

Info Auskünfte zum ZTM unter www.ztm-badkissingen.de. rr