Bad Neustadt: Eine Trappatoni-Rede auf das Impf-Desaster

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Warten auf den Impfstoff: In Berlin wird das Ende der Impf-Reihenfolge verkündet, doch auf dem Land kommt kein Impfstoff an, der die Berliner Beschlüsse mit Sinn erfüllen würde. Foto: Sebastian Gollnow
Warten auf den Impfstoff: In Berlin wird das Ende der Impf-Reihenfolge verkündet, doch auf dem Land kommt kein Impfstoff an, der die Berliner Beschlüsse mit Sinn erfüllen würde.  Foto: Sebastian Gollnow

Jens Spahn preist das Ende der Impfreihenfolge. Darüber kann Rhön-Grabfelds Landrat nur bitter lachen. Dort fehlt für Wochen der Stoff für Erstimpfungen. Das Protokoll einer Wutrede.

Die Sitzung eines Kreisausschusses kann eine bürokratische Angelegenheit sein, wenn Gelder für Beratungseinrichtungen vergeben oder Öko-Stoffwindeln für junges Familienglück gefördert werden. Sie kann aber auch zur Sternstunde geraten. Rhön-Grabfelds Landrat Thomas Habermann (CSU) hat das Ende der öffentlichen Tagesordnung am Montag genutzt zu einer fulminanten Generalabrechnung. Seine Tirade gegen eine versagende Bundesregierung erinnerte an die unvergessliche Wutrede des einstigen Bayern-Trainers Giovanni Trappatoni. Nur hatte Habermanns Ausbruch einen bitterernsten Hintergrund.

SPD-Kreisrat Thorsten Raschert gab quasi den Einsatz für Habermanns Solopart, als er fragte, ob man auch bei Angestellten des Landkreises über betriebliche Impfungen nachdenke, wie es in Schweinfurt zum Beispiel der Fall sei. Es laufe ja jetzt langsam gut mit den Impfungen, so Rascherts allgemeiner Eindruck. Mit dem ersten Ton schlug Habermann dann ein Fortissimo an, das bis zum Ende nicht wich: "Ehrlich gesagt: nichts läuft gut. Das Impfen läuft schlecht, weil wir keinen Impfstoff haben", schimpfte Habermann und setzte gesprochene "drei Ausrufezeichen" dazu. Wie schlecht es läuft, machte der Landrat mit einem beunruhigenden Satz klar: "In den Kalenderwochen 21, 22, 23 und 24" - also bis Mitte Juni - "haben wir keinen Stoff für Erstimpfungen, sondern nur für Zweitimpfungen".

Auch bei den Arztpraxen registriere man eine Stagnation, weil keine weiteren Dosen geschickt würden. "Wenn man bedenkt, dass wir seit Mitte Dezember ein voll funktionsfähiges Impfzentrum vorhalten, dann ist erst eine lächerliche Zahl von Menschen durchgeimpft", so Habermanns ernüchternde Bilanz: "Es läuft einfach nicht." Tatsächlich sind in Rhön-Grabfeld 36 Prozent der Bevölkerung erstgeimpft, bei den Zweitimpfungen ist man mit zehn Prozent erst in den zweistelligen Bereich gerutscht.

"Keine Schönrederei"

Die Schuldigen dafür findet der Rhön-Grabfelder Landrat in Berlin beim Bund. "Erst werden wir angetrieben, umgehend eine Infrastruktur aufzubauen, dann läuft nix. Und ich will auch keine Schönrederei betreiben. Die Sache wurde völlig versemmelt", findet Habermann markige Worte zum angeblichen Versagen der Bundesregierung. Und was ihn fast schon spürbar zur Weißglut bringt, sind die Versuche, die Schuld auf die Gesundheitsämter und die kommunalen Behörden abzuwälzen wegen angeblicher Bürokratie. "Das ist ein perfides Ablenkungsmanöver vom eigenen Versagen", schimpfte Habermann. "Das ist alles ein einziges Tarnen und Täuschen. Und eigentlich müsste sich Deutschland schämen, dass es so schlecht läuft", machte Habermann seinem Ärger Luft. Mit Recht werde aktuell eine Gerechtigkeitsdebatte geführt.

Den Modellprojekten folgte nichts

"Ich bekomme täglich E-Mails, dass die Gruppe der Feuerwehrleute priorisiert werden müsste, dass wir in den Großbetrieben aktiv werden müssten. Alles verständlich. Aber wenn hier nichts ankommt, können wir nichts impfen. Und ehrlich gesagt bekommt man angesichts dessen auch mal die Nase voll", zeterte der Kreischef. Den Modellprojekten für Betriebsimpfungen bei Jopp in Bad Neustadt und den Fränkischen Rohrwerken in Königsberg sei nichts weiter gefolgt. Er fühlt sich in vielerlei Hinsicht alleingelassen.

"Null Hilfe vom Bund"

"Nehmen wir das Thema Impfnachweis. Da gibt es null Hilfe oder Anleitung vom Bund. Also entwerfen wir gerade eine Scheckkarte hier im Amt, damit die Bürgerinnen und Bürger etwas vorzeigen können, wenn es Lockerungen und Öffnungen gibt", sagt Habermann. Die Ankündigung von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) vom selben Tag, die Impfpriorisierung bis Juni aufzugeben, ist für den Landrat letztendlich nur Augenwischerei. "Anscheinend will man die Leute für dumm verkaufen. Die Impffreigabe führt nicht zu einer Dynamisierung, wenn der Impfstoff schlicht nicht da ist. Und es entsteht nur zusätzlicher Druck auf die Impfzentren und Arztpraxen durch jüngere Impfwillige", sagt Habermann.

Auch beim Thema Arztpraxen schwillt ihm der Kamm. "Der Deutsche Landkreistag beklagt, dass im Vergleich die Praxen auf dem unterversorgten Land proportional schlechter bedient werden als in Ballungszentren, die proportional überversorgt sind. Das ist verfassungsrechtlich schon bedenklich. Denn jeder Bürger und jede Bürgerin muss den gleichen Zugang zu Impfstoff haben", sagt Habermann. Aber hier verlaufe die Verteilung eben nicht gesteuert vom Bund. Der Landkreistag fordert deshalb mehr Impfdosen für die Zentren auf dem Land.

"Müssen Däumchen drehen"

Auch ein Solostück verdient ein kraftvolles Finale. Das hatte Habermann parat mit einem Politiker-Bashing im wenig schmeichelhaften Volkston. "Wir stehen in den Impfzentren bereit und müssen Däumchen drehen. Aber die Minister besuchen eine Talksendung nach der anderen, um eine Show abzuziehen", zürnte Habermann. "Sie reisen von einem Auftritt zum anderen, statt ihre Arbeit zu machen. Wenn ich Kanzler wäre, würde ich meinen Ministern solche hochbezahlten Shows verbieten", sagte Habermann. Ein furioser Schlussakkord. Nur ein Trappatoni-Satz hat bei Habermann eigentlich gefehlt: "Bundesregierung hat gespielt wie Spritze leer."Gerhard Fischer