Beim Kissinger Sommer gibt es sie noch: die Liedrecitale mit interessanten Programmen : zuletzt Anna Lucia Richter und der Pianist Michael Gees.
Sie hatten sich ein romantisches Programm zusammengestellt, auch wenn Lieder von Benjamin Britten in der Auswahl waren. Aber im Mittelpunkt stand der Liederkreis op. 39 von Robert Schumann nach Gedichten von Joseph von Eichendorff, gemischt mit Britten und Brahms.
Es wurden zwei Weihestunden der Romantik, fast ein bisschen ins Esotherische gewendet. Das lag daran, dass Anna Lucia Richter eine Sopranistin ist - aber das wissen die Kissinger-Sommer-Besucher ja schon längst - die außerordentlich präzise singen kann, die sich mit den Schwingungen ihrer Stimme auf die des Klaviers einlassen kann und so, insbesondere in der sängerfreundlichen Akustik des Festsaals, wunderbare Klangbilder erzeugt.
Was nicht nur den Schumann-Liedern mit ihrer vertonten Naturlyrik, mit ihrem Sternenfunkeln und Mondenschein zugute kam. Sondern auch den wunderbar fließend gesungenen Volksliedbearbeitungen von Britten, deren delikate Klavierbegleitung Michael Gees mit großem Einverständnis kommentieren begleitete.
Und damit es nicht ganz abhob, gab's ein paar Volkslieder von Johannes Brahms. der das Konkretere liebte wie in "Da unter im Tale" oder "Ich weiß mir'n Maidlein".
Durchaus interessant waren Lieder, die Michael Gees "Extempore" nennt - in diesem Fall sieben in das Programm eingestreute Improvisationen über Eichendorff-Texte - also das, was vom Barock her noch in der Schumann-Zeit unter Musikern üblich war und was sich heute in den Jazz gerettet hat. Man muss das natürlich auch können, wenn es gut sein und neue Aspekte erschließen soll, aber Richter und Gees sind da wirklich flexibel.
Natürlich kann man sich fragen, ob wirklich alles spontan war. Aber das kann durchaus sein, denn ganz so geheimnisvoll, wie die Sache wirkt, ist sie nicht. Denn abgesehen davon, dass die beiden sehr genau aufeinander hörten, konnten sie sich immer an kleinen harmonischen Impulsen orientieren. So konnte Anna Lucia Richter ihre melodische und agogische Phantasie gut ausspielen, aber bei Michael Gees ähnelten sich allmählich die vor allem triolischen Reflexe. Oder anders gesagt: Man konnte sich daran gewöhnen.
Dass auch Lieder mit beiden Beinen fest auf dem Boden stehen können, zeigte Anna Lucia Richter mit der Zugabe: Johannes Brahms' "Och Moder, ich well en Ding han" - ein dialektales Heimspiel für die gebürtige Kölnerin und eine köstliche Kleinkomödie.