Sind wir Barbaren?

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Vier ausgezeichnete Schauspieler, die Regisseurin Sandra Lava geschickt zwischen stapelbaren Kästen agieren lässt. Sebastian Worch
Vier ausgezeichnete Schauspieler, die Regisseurin Sandra Lava geschickt  zwischen stapelbaren Kästen agieren lässt. Sebastian Worch
 
 

Von ziemlich zivilisiertem Fremdenhass handelt das Stück "Wir sind keine Barbaren". Ein Fremder klopft an die Tür - und Ängste und Ressentiments antworten.

Mit "Wir sind keine Barbaren", dem 2014 in Bern uraufgeführten Stück von Philipp Löhle, hat das Theater Maßbach die neue Spielzeit im Intimen Theater eröffnet - und damit gleich ein Ausrufezeichen gesetzt. "Wirklichkeiten" ist das Thema, das sich durch die neue Spielzeit zieht, und dieses Stück, weder Komödie noch Tragödie, ist so nahe an dem Thema wie kaum ein anderes - so nahe, dass es Gefahr läuft, tatsächlich von der Realität eingeholt zu werden.


Ein Hauch Yasmina Reza

Dabei beginnt es wie eine ganz normale Beziehungskiste, wie man sie etwa von Yasmina Reza und ihrem "Gott des Gemetzels" - das in der letzten Spielzeit in Maßbach gelaufen ist - kennt: Zwei Paare treffen durch einen Zufall aufeinander. Nur sind hier nicht die beiden etwas aus dem Ruder gelaufenen Kinder der Auslöser, sondern Barbara und Mario stellen eines Tages, als sie eindeutige rhythmische Geräusche durch die Wand hören, fest, dass sie neue Nachbarn haben: Linda und Paul. Man lernt sich kennen, kommt ins Gespräch, versucht verzweifelt, sich an ein paar Themen festzuhalten, weil man sich eigentlich nichts zu sagen hat. Typisch Prosecco-Generation, möchte man sagen. Die Sätze, die sich da mühsam aneinander vorbeihangeln, hat man alle schon gehört. Deshalb müsste man nicht ins Theater gehen.

Warum man trotzdem muss? Weil das nicht alles gewesen sein kann - und natürlich auch nicht ist. Wobei der Konfliktstoff gar nicht so sehr aus dieser sehr unterschiedlich besetzten Vierergruppe kommt: Barbara ist Köchin (natürlich vegan), Mario hat den erfüllenden Beruf des Designers von Motorengeräuschen für Elektroautos, Linda ist Yoga- und Pilateslehrerin und Paul - ja was macht der eigentlich, der kumpelhafte Adabei mit seinen schlauen Sprüchen?


Ein Hauptdarsteller bleibt unsichtbar

Nein, die Handlung kommt in Fahrt, als plötzlich eines Nachts ein Fremder, ein Flüchtling, ein Asylant, ein was auch immer aus Asien oder Afrika, an den Türen der beiden Paare klingelt und um Hilfe und Aufnahme bittet. Linda und Paul machen gar nicht erst auf, aber Barbara und Mario, die beiden Gutmenschen, nehmen ihn auf. Das Gemeine an der Sache: Löhle lässt diesen Bobo oder Klint oder Clint - so genau weiß man das nicht - nie als Person auf der Bühne erscheinen. Alles, was man über ihn erfährt, erfährt man von den vier anderen. Abgesehen davon, dass damit eine Sympathiesteuerung verhindert wird, öffnet es dem Klischeetransport Tür und Tor. Ob Barbara, die von Boboklintclints schönen Augen schwärmt, wirklich mal mit ihm ... Aber vielleicht erzählt sie das ja nur, um Laura eifersüchtig zu machen?


Und plötzlich wird's ein Krimi

Als Barbara tot und Boboklintclint verschwunden ist, ist die Sache natürlich klar - bis Anna auftaucht, die Schwester von Barbara, die erklärt, dass er es nicht gewesen war. Das habe er ihr erklärt. Plötzlich ist aus der makabren Gesellschaftskomödie ein Krimi geworden - mit einem höchst spannenden Ausgang. Immerhin wird Paul jetzt aktiv: Er baut in seiner Wohnung einen Bunker, damit er gewappnet ist, wenn sie kommen ...


Montags in Dresden

Eine ganz wichtige Rolle spielt in diesem Stück der Chor, den die vier Schauspieler immer wieder vermeintlich spontan bilden. Das klingt nach dem guten alten Onkel Lehrstück, ist es aber nicht. Philipp Löhle hat ihn in der Urfassung bereits angelegt, aber Sandra Lava, die die Inszenierung besorgt hat, und ihr Team haben die Texte in den Proben erweitert und aktualisiert bis in die die Bundestagswahl hinein. Da werden keine moralinsauren Wahrheiten verkündet, sondern da artikuliert sich die sogenannte schweigende Mehrheit in ihrem aufgesetzten Selbstbewusstsein, in ihrem seltsamen Toleranzverständnis, in ihren kruden Ängsten vor jedem und allem. Wobei der Chor keineswegs eine homogene Gruppe ist, sondern sich immer wieder in Partikularinteressen, in Albträumen, in Sprachlosigkeiten zerfasert. Da ist man plötzlich montags in Dresden.


Bühnenbild schafft beste Voraussetzungen

So konkret das alles ist, ist es Sandra Lava allerdings auch gelungen, diese Hyperrealität, diese harsche Kritik am Populismus in eine abstrakte Welt und damit die Möglichkeit der Auseinandersetzung geholt und ganz einfach spannender gemacht zu haben. Wobei ihr das abstrakte Bühnenbild von Robert Pflanz beste Voraussetzungen schaffte: Stapelkästen in verschiedenen Formaten, die schnelle Raum- und Situationswechsel ermöglichten und den Zuschauer bei seiner Phantasie packten, mit denen sich auch kleine Hinweise gestalten lassen.


Messerscharfe Regie

Dazu kommt eine ausgezeichnete, messerscharfe Personenregie. Sie zeichnet ganz präzise Charaktere, die sich aneinander reiben und in dieser Reibung verändern. Und sie gibt nichts der Lächerlichkeit preis - obwohl viel gelacht werden kann, wenn auch zunehmend gebremster. Und das Ganze in einer präzisen Choreographie, die auch auf der kleinen Bühne nie an Tempo verliert - trotz der häufigen Kostümwechsel für den Chor, der im Gegensatz zum griechischen Vorbild die Individualisierung betont (Kostüme: Jutta Reinhard).


Ausgezeichnete Schauspieler

Man muss aber auch sagen, dass Sandra Lava ein ausgezeichnetes Schauspielerquartett zur Verfügung hat: Franziska Theiner als Barbara (und später Anna), Georg Schmiechen als Mario, Johanna Maria Seitz als Linda und Nilz Bessel als Paul. Man merkt ihrem intensiven, aussagestarken Spiel an, dass das ihr Stück ist (nicht nur wegen ihrer eigenen Beiträge), mit dem sie - bei aller Unterhaltung - Wirksamkeit erreichen wollen. Und das kommt durchaus an. Man verlässt das Theater und ergänzt für sich den Titel: "Wir sind keine Barbaren, aber ..." Oder sollten wir nicht besser auf das "aber" verzichten können?