Regionalkantor Peter Rottmann startete mit seinem "Ensemble Vokal" zu einer interessanten Reise durch die Geschichte der europäischen Chormusik.
Den zwei ältesten und wichtigsten Klangkörpern der Kirchenmusik war eine Nachmittagsmatinee in der Stadtpfarrkirche St. Maria Magdalena gewidmet. Es musizierten das "Ensemble Vokal", das sich unter der Leitung von Regionalkantor Peter Rottmann schon lange einen ausgezeichneten Ruf erworben hat, und der Diözesankirchenmusikdirektor und Leiter des Referats für katholische Kirchenmusik im Bistum Würzburg, der Organist Gregor Frede.
Durch die Geschichte der europäischen Chormusik führten die elf Chorsätze. Aus der Spätrenaissance stammt Ludovico Grossi da Viadanas "Exsultate justi", in dem Rottmann seine 32 Sänger den in der A-cappella-Musik der italienischen Renaissance immer mitkomponierten Kirchennachhall bewusst einbezog, die Töne ausschwingen ließ, die rhythmische Struktur dennoch klar herausarbeitete.
Mit sauberer Intonation und rhythmischer Sicherheit überzeugte der Chor auch in dem dem 15-jährigen Wolfgang Amadeus Mozart zugeschriebenen komplexeren "Adoramus te, Christe".
Spätromantische Wucht entfalteten das Ensemble in der dramatischen Ausarbeitung von Christian Finks "Fürwahr, er trug unsere Krankheit" durch eine sehr differenzierte Dynamik, während in dem aus dem 20. Jahrhundert stammenden, doch eigentlich auch spätromantischen "Ave Maria" des Franzosen Henri Carol, in dem klar gestaltete Konsonanten die sorgfältige Vorbereitung des Chores bis zum wunderschön gesungenen "Amen" verdeutlichten.
Schlagerhafte Volkstümlichkeit
Klaus Fischbach, 91-jähriger ehemaliger Domkapellmeister in Trier, komponierte die erste Strophe seines "Meine Seele ist stille in dir" im Stil eines einfachen Kirchenliedes, das mit Orgelzwischenspielen wechselt, in einer schlagerhaften
Volkstümlichkeit bleibt, obwohl sowohl der Chorsatz als auch der Orgelpart zur Finalstrophe hin komplizierter werden. "Med mitt öga se" des 2009 verstorbenen schwedischen Chorleiters Jerker Leijon ist ein typisches Produkt der blühenden skandinavischen Kirchenmusik: Eine wunderschöne, von der Soprangruppe angesungene Melodie wird von den übrigen Chorgruppen übernommen und ermöglicht es so dem Chor, den perfekten Zusammenklang aller Stimmen bewusst zu erfahren und zu zeigen.
Wohlklang statt Bühnenshow
"Were you there" von Norman Luboff , amerikanischer Komponist in allen populären Genres, ist von der Komposition gospelhaft, wurde aber in Peter Rottmanns Einstudierung nicht zur Bühnenshow, trotz einiger Dramatik in der Textgestaltung, sondern eine auf Wohlklang inszenierte Szene über den Kreuzestod Christi.
Ins Zentrum mitteleuropäischer Kirchenmusik des 19.
Jahrhunderts führte die berühmte Melodie von Anton Bruckners "Locus iste", ein wunderschöner Satz, in dem die Männerstimmen glänzten und den alle mit viel Ruhe und Feierlichkeit gestalteten. Die beiden Anrufungen "Herr!" in Felix Mendelssohn-Bartholdys "Herr, sei gnädig" gestaltete der Chor durch unterschiedliche Intensität sehr spannend, bei der zentralen Chorfuge zeigte sich einmal mehr die konzentrierte Gestaltung und dadurch völlige Durchhörbarkeit des Sängergefüges. Christian Lahusen komponierte mit der Vertonung von Eichendorffs "Komm, Trost der Welt" ein einfach strukturiertes Strophenlied mit kleinen Variationen, bei dessen Aufgipfelung des "Komm, Trost der Welt" in der dritten Strophe der Chor mit großer Intensität gestaltete.
VonJoseph Rheinberger stammt das berühmte "Abendlied" auf Johann Sebastian Bachs Kantatentext "Bleib bei uns, denn es will Abend werden", das das Ensemble klar und ruhig und als besinnlichen Abschluss sang.
Stürmisches von Bach
Zwischen den Chorblöcken erklang die berühmte Hauptorgel von St. Maria Magdalena, die 1985 erbaute und 2005 überholte Klais-Orgel (bei der die Justierung einzelner Töne nach elf Jahren nicht verkehrt wäre). Geschlagen wurde sie vom Würzburger Chef aller Kirchenmusiker in Nord-Bayern, Gregor Frede, der sein Programm mit drei Kompositionen von Johann Sebastian Bach begann. Nach einem stürmischen Beginn mit dem Präludium h-moll BWV 544, das zu immer größerer Klarheit fand, arbeitete er beim Orgelvorspiel zu "Wo soll ich fliehen hin" BWV 646 die Melodiestimme des Kirchenlieds in der komplizierten Struktur klar heraus.
Die Fuge h-moll, BWV 579 gestaltete er sehr mächtig, zog alle Register auf den gewaltigen Schlusspunkt hin.
Mystik trifft Jazz und Pop
Seine als "Improvisation" angekündigte Zwischenmusik wurde zu einer durchaus spannenden Auseinandersetzung mit Philipp Nicolais Choral "Wie schön leucht' uns der Morgenstern", den er durch die synkopierte Jazzmusik des 20. Jahrhunderts, gebrochene Sequenzen der Popmusik bis hin in die Bereiche des Free Jazz führte.
Zum Höhepunkte seines Konzertteils wurde seine Orgelversion von Franz Liszts für Klavier konzipierten Variationen über den Basso continuo aus der Kantate "Weinen, Klagen, Sorgen, Zagen" von Bach. Die von Bach als Ostinato durchgehend wiederholte chromatische Bassmelodie galt im Barock als Symbol für Trauer und Schmerz.
Franz Liszt traf sie in seiner Verzweiflung über den Tod seiner Tochter Blandine offenbar so unmittelbar, dass auch er sie ostinat beibehielt und darüber Variationen schrieb, die fast expressionistisch Seelenmusik ist, eine Abfolge von lyrischen und wütenden Ausbrüchen wie Schreien, Toben, Flüstern, Beschwichtigen.
Ausdruck der Verzweiflung
Gregor Frede machte sich die vielfältigeren, multidimensionalen Klangmöglichkeiten der Orgel (Schwellkörpereinsatz, tiefe Register als Peitschenschläge, lyrische Passagen, die schemenhaft im Raum verklingen) im Vergleich zum Klavier zunutze, um die Verzweiflung des Vaters Liszt auszudrücken, bevor dessen Aufschrei in die Suche nach einem anderen Ton mündet und überraschend, beruhigend, tröstend Bachs Choral "Was Gott tut, das ist wohlgetan" erklingt.
Diesen Lobpreis Gottes interpretierte Frede feiertäglich eindringlich als Befreiung aus der Verzweiflung und Rückkehr zur Zuversicht. Ein imposanter Abschluss des Orgelprogramms!
Das Publikum dankte allen Interpreten mit kräftigem Beifall.