Intensiv und packend

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Dorfleute und eines ihrer Opfer (v.l.): Die Bäuerin (Susanne Pfeiffer), Knecht Georg (Nilz Bessel), Totengräber und Messner Knocherl (Ingo Pfeiffer) bedrängen die Tagelöhnerin Barbara (Sandra Lava), ihren schwulen Sohn Abram wegzuschicken Foto: Gerhild Ahnert
Dorfleute und eines ihrer Opfer (v.l.): Die Bäuerin (Susanne Pfeiffer), Knecht Georg (Nilz Bessel), Totengräber und Messner Knocherl (Ingo Pfeiffer) bedrängen die Tagelöhnerin Barbara (Sandra Lava), ihren schwulen Sohn Abram wegzuschicken  Foto: Gerhild Ahnert

Jeder Schauspieler schlüpfte im Nachkriegsdrama "Jagdszenen aus Niederbayern" überzeugend in zwei Rollen, meist mit gegensätzlichen Charakteren.

Was für ein eindrücklicher Theaterabend im "Intimen Theater" auf Schloss Maßbach! Welch eine rundum schlüssige und packende Inszenierung eines sperrigen Stücks über die deutsche Nachkriegszeit in einem 400-Seelendorf in Niederbayern, das auf den ersten Blick doch nur mit Dingen zu tun hat, die wir glücklicherweise überwunden haben: Ausgrenzung und Strafverfolgung homosexueller Menschen, Erlebnishunger mit verzweifelt ausgelassenen Schlagern und einer katholischen Kirche, die sich noch allmächtig fühlen kann mit ihren Ritualen und eingefleischter Furcht vor ihrem Machtapparat, Bombentraumata, Kriegsversehrte und seit dem Krieg Vermisste.


Das unangenehm Ähnliche

Wir Menschen des 21. Jahrhunderts könnten aus sicherem Abstand auf sie zurückschauen. Wäre da nicht auch das unangenehm Ähnliche, das noch gar nicht wirklich Überwundene, das Martin Sperr mit seinem 1966 uraufgeführten "Volksstück" "Jagdszenen aus Niederbayern" bloßlegt. Wenn man ein wenig kratzt an der Patina der Nachkriegsjahre, stößt man auf vieles Heutige: (Schlesien-) Flüchtlinge, die angeblich den Einheimischen die Arbeitsplätze wegnehmen, Unterschiede in den Maßstäben der Sexualmoral bei Männern und Frauen, Leiden des Dorfpfarrers unter dem Zölibatsgebot und in Windeseile in Aggression umschlagende Angst vor allem Andersartigen.
Für solche latente, aber noch immer brisante Themen in überholt scheinenden Geschichten und für das Grauen in scheinbar gut funktionierenden menschlichen Gemeinschaften hat Regisseur Christian Schidlowsky einen Riecher. Und er schafft es, sie zu verknüpfen und in eine ästhetisch raffinierte, komplexe, aber auch sinnfällige und plausible Bühnenerzählung zu übersetzen.
Von den Dorfbewohnern zeichnet der bauernschlaue Bürgermeister das Trugbild vom Zusammenhalt aller, weil da eben die Welt absolut in Ordnung ist. Auch wenn man da mal die Bäuerin Maria diskriminiert, weil sie mit dem kriegsversehrten Volker zusammenlebt, wo doch ihr vermisster Mann noch nicht toterklärt ist, auch wenn man deren durch Kriegstrauma und Liebesentzug verwirrten, geistig zurückgebliebenen Sohn Rovo gnadenlos schikaniert, auf die junge erlebnishungrige Magd Tonka arrogant herabsieht und sie bei Gelegenheit ausnutzt, auch wenn man der alten Tagelöhnerin Barbara das Leben schwermacht, weil ihr Sohn Abram in der Stadt als Homosexueller entlarvt und ins Gefängnis geworfen worden ist.


Außenseiter müssen raus

Diese Außenseiter gehören raus aus dem Dorf, in dem die herrische Metzgerin mit der bösen Zunge, der macht- und neuwahlenfixierte joviale Bürgermeister, die Bürohilfskraft Paula mit Job und Zukunftshoffnung in der Stadt, der dumpfe, brutale, hinterhältige, dauergeile Knecht Georg, der eigentlich harmlose, aber mit den Wölfen heulende Messner Knocherl und der selbstgerechte Pfarrer sicher wissen, dass alles wieder in Ordnung kommt, wenn sie nur wieder unter sich sind. Am Ende sind sie das und stolz darauf.
Das Panorama eines ganzen Dorfes, die Befindlichkeiten von zwölf absolut verschiedenen Bewohnern galt es auf die Bühne zu bringen. Dazu die Zeit nach dem 2. Weltkrieg mit ihren vorsichtigen Hoffnungen und nicht verwundenen Enttäuschungen, Entbehrungen, Gräueln und persönlichen Schicksalsschlägen. Dass Regisseur Schidlowsky daraus mit einer genauen Personenregie und einer alle Sinne ständig fordernden Gestaltung, aber ohne historisches Dozieren und Dokumentieren, einen Mini-Kosmos auf die kleine Bühne des Intimen Theaters zu stellen vermochte, macht den Abend zu einem packenden Erlebnis.
In einer minutiös ausgetüftelten Choreographie spielt jeder der sechs Schauspieler je zwei Rollen, was so gut klappt, dass man die schnellen Verwandlungen als Bereicherung erfährt, denn jeder der Dörfler spielt auch einen Außenseiter. So erkennt man, dass Jäger und Gejagte in einem Menschen stecken können, was für die Schauspieler natürlich eine sehr reizvolle und brillant gemeisterte Aufgabe ist.
Benjamin Jorns spielt den überheblichen, das Böse um ihn herum geflissentlich ignorierenden Pfarrer mit ebenso viel Hingabe und Überzeugungskraft wie den ständig gehetzten, an seinem Anderssein leidenden und von seinen sexuellen Bedürfnissen gepeinigten Abram.


Skrupellos und wehrlos

Nilz Bessel verwandelt sich blitzschnell vom naiven, geistig zurückgebliebenen Rovo in den dumpf-selbstsicheren Kraftburschen Georg. Anna Schindlbeck war als skrupellose verwitwete Metzgerin kalt-gefährlich und überzeugte ebenso als lebenshungrige, arglos und wehrlos einen Halt suchende Magd Tonka. Ingo Pfeiffer konnte in der Rolle des Messners Knocherl den alten Krauterer mit Hingabe mimen und als Knecht Volker den Verführer. Susanne Pfeiffer war als Büroangestellte Paula ganz das Nachkriegsfräulein mit dem Glauben an eine bessere Zukunft und als Bäuerin Maria zäh und skrupellos in ihrem Streben nach neuer Anständigkeit in einer neuen Ehe.
Als von allen wegen der Homosexualität ihres Sohnes schikanierte Tagelöhnerin zeigte Sandra Lava deren aussichtslose Lage in diesem Dorf, als dessen bierbäuchiger Bürgermeister inklusive Lederhose und Gamsbart verkörperte sie gefährliche Gemütlichkeit mit Spaß an ihrer Verkleidung. Die Aufführung ist angenehm kurzweilig. So gelang allen Beteiligten im Rahmen des Spielzeitschwerpunkts "Homosexualität" ein großer Wurf, was vom Premierenpublikum mit immer wieder aufbrandendem Beifall und Bravorufen gefeiert wurde.