In Maßbach hatte "Bambi" Premiere. Christian Schidlowsky hat den Stoff dramatisiert und für die Bühne aufbereitet.
"Lustig ist es im grünen Wald, wo des Jägers Aufenthalt ..." Das wird von älteren Reisegruppen gerne gesungen. Und das mag ja auch so sein, zumindest so lange, wie man im warmen, trockenen Bus sitzt und durch den Wald gefahren wird. Aber er ist halt sehr relativ: Beispielsweise für Rehe ist der Aufenthalt im Wald keineswegs lustig, sondern vor allem nervenaufreibend und ein täglicher Kampf ums Überleben. Wer sich das bisher noch nicht klar gemacht hat, konnte sich jetzt vergewissern: In der Maßbacher Lauertalhalle hatte "Bambi" jetzt Premiere. Christian Schidlowsky hat den Stoff dramatisiert und auf die Bühne gebracht.
Wer den Begriff "Bambi" hört, denkt an zwei Dinge: entweder an den gerne verliehenen und noch lieber entgegengenommenen TV-Pokal in Rehleinform und damit an Uschi Glas. Oder an ein ätherisches, langbeiniges geschlechtsloses Wesen mit großen Kulleraugen und langen Wimpern und damit an Walt Disney und seinen Kitschzeichentrickfilm von 1942. Dass es dafür eine literarische Vorlage gab, ist heute mehr oder weniger unbekannt, obwohl das Buch bei seinem Erscheinen 1923 durchaus erfolgreich war: "Bambi. Eine Lebensgeschichte aus dem Walde" des Wiener Journalisten und Schriftstellers Felix Salten.
Harte Lehrjahre
Und da geht es nicht um Kitsch, sondern um die Geschichte des Rehbocks Bambi von seiner Geburt durch harte Lehrjahre bis zu einer Inauguration als Leittier und Führer des Rudels. Da geht es von ersten, auch menschlich kindlichen Fragen ("Mama, was ist eine Wiese?) über Erkennen von und Reagieren auf Gefahren bis zur Sozialisierung im Rudel, über den Wechsel der Jahreszeiten, über Alleinsein, Alter und Abschied. Oder anders gesagt: Bambi lernt sich zurechtzufinden, lernt andere Tiere (freilich nur Vegetarier) kennen, verliebt sich und hat mit Faline zwei Kinder, muss sich im Rudel behaupten, lernt den Tod kennen (seine Mutter wird erschossen), hört erst sehr spät, dass der "alte Fürst", der Leitbock, auch sein Vater ist, und erfährt am eigenen Leibe, bei einer Treibjagd, was es heißt, einem Jäger ins Schussfeld zu laufen. Aber er überlebt.
Grundfragen des Lebens
Das ist eigentlich alles sehr unsentimental. Und das löst unter den Tieren immer wieder Diskussionen, auch durchaus philosophische über die Grundfragen des Lebens aus. Wobei im Zentrum natürlich der Jäger steht, den sie schon aus lauter Scheu nur "Er" nennen, der für sie ein Gott, einer Herrscher über Leben und Tod ist, mit einer dritten Hand auf dem Rücken, von der die größte Gefahr ausgeht, wenn sie knallt. Erst als Bambi einen toten Wilderer sieht, begreift er, dass der Jäger "nicht über und steht, sondern neben uns." Und da wird's mal kurz kitschig: Denn er erkennt, dass über allem der liebe Gott steht. Da erinnert Felix Salten dann doch ein bisschen an Karl May ("Winnetou ist ein Christ.").
Natürlich liegt es nahe, den Stoff für Kinder zu bearbeiten. Zumal Christian Schidlowsky, nicht erst seit den Schafen des "Rhönpaulus" vor ein paar Jahren, ein wunderbarer Tierregisseur ist - irgendwann sollte er einmal daran gehen, auch "Brehms Tierleben" zu dramatisieren. Er hat große Sympathie und ein Händchen für die animalischen Charakteristika, für typische, oft beiläufige Bewegungen und Verhaltensweisen von Reh und Krähe, Iltis und Jagdhund, Eichhörnchen und Buntspecht und sogar von welken Blättern im Herbst.
Tiere in der Körpersprache geradezu verinnerlicht
Freilich hat er ein Quartett, mit dem er das machen kann: Tonja Fechter, Katharina Försch, Alexander Baab und Vincenzo Tatti sind Schauspieler, die diese Tiere in ihrer Körpersprache geradezu verinnerlicht haben, die sie in rasantem Wechsel mit ernsthafter Heiterkeit spielen, ohne sie zu karikieren. Dabei macht es den engagiert mitgehenden Kindern auch keine Probleme, dass Schidlowsky keine festen Rollen vergeben hat, sondern dass jeder mal jedes Tier spielt. Die Beliebigkeit macht Sinn: Für uns Menschen sehen alle Rehböcke oder Krähen oder Iltisse gleich aus.
Dazu kommt, dass Dominik Blank eine Choreographie entwickelt hat, die in Pas de deux und Ensembles die Beziehungen der Tiere untereinander sehr schön und sinnfällig intensiviert.
Dass Jutta Reinhard Kostüme geschneidert hat, die zwar höchst bunt und sehr schön anzuschauen sind, aber die Rollen nicht so stark festlegen, dass sie ständig gewechselt werden müssten, sondern dass die Phantasie ihren Beitrag leisten kann. Und dass Peter Picciani den Wald in so variablen, leicht verschiebbaren Elementen auf die Bühne gestellt hat, dass er leicht von der Spielwiese im Übermut zum schützenden Rückzug in Gefahr werden kann.
Nein, das ist eine Inszenierung, die man sich auch als Erwachsener anschauen kann und sollte. Denn die Fragen, die Rehkitze und Kinder stellen, werden mit zunehmendem Alter ja nicht wirklich beantwortet, sondern nur mehr. Den nächsten Rehbraten kann man trotzdem wieder mit Genuss essen.