Kompetenz von unten nach oben

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Im Gespräch mit den Besuchern der Oerlenbacher Gespräche machte der ehemalige Ministerpräsident a. D. Erwin Teufel seine Wertungen zu verschiedenen Themen rund um Europa deutlich. Fotos: Stefan Geiger
Im Gespräch mit den Besuchern der Oerlenbacher Gespräche machte der ehemalige Ministerpräsident a. D. Erwin Teufel seine Wertungen zu verschiedenen Themen rund um Europa deutlich. Fotos: Stefan Geiger
 
Teufel begrüßten (v. l.) Thomas Lehmann, Leiter des Aus- und Fortbildungszentrum der Bundespolizei, Landrat Thomas Bold, Bürgermeister Franz Kuhn und Altbürgermeister Siegried Erhard, der die Verbindung zu Erwin Teufel herstellte.
Teufel begrüßten (v. l.) Thomas Lehmann, Leiter des Aus- und Fortbildungszentrum der Bundespolizei, Landrat Thomas Bold, Bürgermeister Franz Kuhn und Altbürgermeister Siegried Erhard, der die Verbindung zu Erwin Teufel herstellte.
 
 
 

Pünktlich zur bevorstehenden Wahl am Sonntag gab der ehemalige Minister- präsident von Baden- Württemberg, Erwin Teufel, bei den Oerlen- bacher Gesprächen ein klares Bekenntnis zu Europa ab.

"Dass wir seit 69 Jahren in Frieden leben, verdanken wir der Gemeinschaft. Auf der anderen Seite ist es wichtig, nur die Kompetenzen, die die einzelnen Staaten nicht lösen können, der EU zu überlassen", betonte der Referent, dessen Ausführungen zum Thema "Europa - Herkunft und Gegenwart" die 170 Besucher, darunter Ehrenbürger Pfarrer Balthasar Amberg, viele Behördenvertreter und gut 80 Polizeianwärter/innen, im voll besetzten Pfarrsaal mit langem Applaus
würdigten.
"Wer nicht seine Herkunft weiß, hat keine Zukunft." Mit diesem Wort von Golo Mann begründete Teufel zu Beginn seinen Blick in die Geschichte. Sei einst der Westfälische Friede am Ende des Dreißigjährigen Krieges als ewiger Friede verheißen worden, folgten bis 1945 in Europa 48 Kriege vor allem zwischen Deutschland und Frankreich. "Jede Nachkriegszeit wurde zur Vorkriegszeit. Die Auseinandersetzungen gipfelten in den Weltkriegen mit 14 bzw. 30 Millionen Toten", belegte Teufel.
Oft sei zu lesen, dass damals die jungen Leute ihre besten Jahre im Krieg verbrachten. Die Hälfte von ihnen aber kehrte nicht mehr zurück. "Wir brauchen die vereinigten Staaten von Europa", erkannte bereits 1946 Winston Churchill. Dieser Einsicht schlossen sich bald Robert Schuhmann und Konrad Adenauer an. Die Montanunion als Gemeinschaft von Kohle und Stahl mit Frankreich, Deutschland, Italien und den Beneluxstaaten erwies sich als Fundament eines gemeinsamen Europa, das sich ausweitete auf heute 28 Staaten. "Bei Besuchen in den zehn osteuropäischen Mitgliedsländern verspürte ich die große Sehnsucht nach Europa", berichtete Teufel seine persönlichen Erlebnisse.
"Wir zahlen nicht nur, sondern bekommen viel zurück", bemerkte Teufel zur aktuellen Diskussion. Allein der Friede ermögliche der Jugend Ausbildung, Studium, eigene Existenz und Familie. In den letzten Jahren aber mehrten sich skeptische Haltungen: Die Kommission agiere zu zentralistisch, bürokratisch, unübersichtlich und an den Bürgern vorbei. Dazu setzte vor fünf Jahren die Eurokrise mit Hilfsprogrammen in Milliardenhöhe ein. Zu den Sorgen führte Teufel als konkrete Beispiele an: Naturschutzgebiete erlasse der Landkreis, Vogelschutzzonen die EU. Renten wurden in Griechenland viel früher und über den Tod hinaus bezahlt.

Verlagerung spart Kosten

Als Lösungswege verwies Teufel auf drei Wege: Jeder Staat ist zunächst für sich verantwortlich, ehe er Ansprüche an die EU richtet. Freie Träger wie Caritas oder Diakonie haben Vorrang vor dem Staat. Wichtigste Einheit sind Städte und Kommunen. "Dieses Subsidaritätsprinzip ist A und O. Die unterste Einrichtung kennt die Sorgen am besten. In Baden-Würtemberg brachte die Verlagerung auf die unterste Ebene sinnvolle Lösungen und beträchtliche Kostenersparnisse", beleuchtete Teufel aus seinen Erfahrungen als Ministerpräsident. Landkreise kümmerten sich um Schulen und Abfallwirtschaft, die Länder um Hochschulen, Lehrer, innere Sicherheit und Gerichtsbarkeit, der Staat um Stabilität und Sicherheit.

Eurokrise ist nicht überwunden

"Europa braucht eine Kompetenzordnung von unten nach oben. Die Eurokrise ist nicht überwunden. Banken müssen ein höheres Eigenkapital zurücklegen und von unabhängigem Gremium überwacht werden. Wichtigster EU-Partner sind die USA. Globales Denken und Handeln sind unverzichtbar", fasste Teufel zusammen und ergänzte mit Zahlen: "In Europa wohnten um 1999 noch 20 Prozent der Weltbevölkerung, 2000 noch elf Prozent und 2100 werden es nur noch vier Prozent sein."
Im Gespräch mit den Besuchern verdeutlichte der Referent seine Wertungen zum Aufgabenkatalog der EU, zu Sozialstrukturen in den Mitgliedsstaaten, Verordnung von Schutzgebieten, Energiesicherung, Gerichtszuständigkeit und Asylsuche mit dem indischen Sprichwort: "Gib einem Hungernden einen Fisch und er ist im Moment satt. Lerne ihn Fischen, dann ist er immer satt."