Rudi Rabe wohnt bei Familie Bartsch in Hammelburg. Die hat ihn aufgenommen und erlebt jetzt so einiges mit dem munteren Gesellen.
Rudi Rabe fühlt sich pudelwohl bei Familie Bartsch. Er ist ein Findelkind, pardon Findelvogel, den Vater Michael von einem Spaziergang vor gut sechs Wochen mit nach Hause brachte. "Ich dachte erst, mich trifft der Schlag", erzählt Mutter Verena von dem Ereignis. Sie hatte eigentlich stets Angst vor Vögeln, doch die hat sie inzwischen überwunden. Michael hat schon als Junge ein verstoßenes Rabenjunges aufgezogen und einen gefundenen Wellensittich wieder aufgepäppelt: "Rudi lag auf dem Weg, krächzte jämmerlich, war kaum befiedert." Er brachte es nicht übers Herz, das Vogeljunge sich selbst zu überlassen. So schutzlos wäre das Rabenjunge ein gefundenes Fressen für Fuchs, Milan oder Marder gewesen.
Zuhause bauten sie ihm ein Nest in einem Körbchen, ließen ihn im Haus übernachten, damit er nicht auskühlte. Was er zu fressen braucht, erfuhr die Familie von einer Wildvogelhilfe-Hotline. Rudi akzeptiert ungewürztes Rührei, gekochte Kartoffeln oder Hackfleisch. Er mag auch Heidel- und Erdbeeren. Gerne frisst er Küken, am liebsten Mäuse: "Die kaufen wir tiefgefrorenen aus der Zoohandlung." Spätestens alle zwei Stunden muss Rudi gefüttert werden - öfter als ein Baby. "Allerdings hat er sofort durchgeschlafen", sagt Verena lachend, während Rudi auf ihrem Arm sitzend nach ihrem goldschimmernden Ohrring pickt.
Die Fütterung war anfangs nicht einfach: "Man muss dem Raben das Futter tief in den Schnabel stecken und aufpassen, dass man den Moment erwischt, wo sich die Luftröhre schließt und die Speiseröhre öffnet." Denn der Schnabel einer Rabenmutter ist lang. Inzwischen klappt das Füttern wie am Schnürchen. Es wird noch dauern bis er selbstständig Nahrung sucht. Rund 100 Tage lang werden Rabenjunge von ihren Müttern versorgt.
Vor drei Wochen, als Rudi noch nicht fliegen konnte, nahm ihn Familie Bartsch sogar im Auto in seinem Körbchen mit nach Würzburg. Denn Heidi und Toni, die beiden acht- und fünfjährigen Kinder, brauchten neue Kleider und Rudi spätestens nach zwei Stunden etwas zum Fressen. In Tonis ehemaligem Kinderbuggy fuhren sie ihn durch die Stadt. Selbst beim Mexikaner, wo Familie Bartsch essen ging, durfte er - im Buggy - mit am Tisch sitzen. Das wäre heute nicht mehr möglich, denn er ist flügge geworden - jetzt müssen andere Rabensitter gefunden werden.
Bis vor zwei Wochen nächtigte Rudi - auf eigenes Krächzen hin - bei den zwei Teddykaninchen im Stall. Gut beschützt vor dem Milan, der oft über dem Garten kreist. "Rudi legte sich zum Schlafen hin, wie die Kaninchen." Die drei Tiere sind ziemlich beste Freunde - auch wenn Rudi jetzt im Baum übernachtet und langsam entdeckt, dass er ein Rabe ist. Michael muss ihm zwar abends noch mit einer Stange auf den Baum helfen. Herunter kommt er am Morgen jedoch schon allein.
Auch sein ungelenk aussehendes Fliegen hat er inzwischen geübt. An einem Gerüst aus Ästen, das Michael für ihn baute stärkt er seine Brustmuskeln. Gerne fliegt Rudi die Kinderschaukel an und pendelt hin und her. Täglich badet er im großen Blumenuntertopf - das ist wichtig für ein intaktes Gefieder. Denn nach jedem Bad werden die Federn mit dem Schnabel geordnet und mit Fett imprägniert, das er der Bürzeldrüse entnimmt.
Sorgen bereitet der Gastfamilie eine leichte Schnabelfehlstellung. Nach kurzer Brutpflege stellte Familie Bartsch fest, dass Rudis Schnabel weich und leicht verformt war. Ein Tierarzt diagnostizierte akuten D3-Mangel: "Das haben wir ihm dann hoch dosiert gegeben und ihn bei jedem Sonnenstrahl auf die Terrasse gesetzt." Jetzt ist der Schnabel fest, aber Rudi kann ihn nicht ganz schließen. "Ein Freund von mir ist Zahnarzt. Wir haben schon überlegt, wie wir Rudi helfen können, falls wir merken, dass er Probleme beim Futtersuchen bekommt", erklärt Michael.