Bad Kissingen zog viele internationale Gäste an: Vom Hochadel über Diplomaten bis zu Industriellen. Für den Unesco-Antrag reicht das allein aber nicht.
Dass in den 1890er Jahren jeder fünfte Kissinger Kurgast aus dem Ausland stammte, hat Theodor Blümlein die Haut gerettet. "Die Blümleins in Euerdorf hatten im 19. Jahrhundert eine Gerberei. Damals war das ein lukrativer Beruf", erzählt Nachfahre Wolfgang Blümlein. Als die chemische Gerberei sich zunehmend durchsetzte, sei der Betrieb seines Großvaters Konkurs gegangen. Die Großeltern und ihre elf Kinder standen über Nacht ohne Broterwerb da.
Auf der Suche nach Arbeit zog es den Gerber nach Kissingen. "Dort hat er dann in der Hemmerichstraße einen Molkereibetrieb aufgemacht", so der Enkel. Laut Familienerzählungen experimentierte er mit Milchprodukten, die in der damalige Zeit für eine kleine Stadt wie Kissingen exotisch waren: Er besorgte sich zum Beispiel spezielle Bakterienkulturen aus Bulgarien und begann, Kefir herzustellen. Das Sauermilchprodukt stammt aus dem Kaukasus. "Mein Großvater hat da eine Marktlücke entdeckt", ist sich Blümlein sicher.
Kissinger Kefir für osteuropäische Kurgäste. Schriftliche Belege finden sich im Stadtarchiv dafür zwar nicht, Birgit Schmalz vom Unesco-Projektteam hält das aber für nicht unwahrscheinlich. "Es gab damals ein sehr buntes Markttreiben in der Stadt", sagt die Historikerin. Händler und Handwerker hatten während der Saison gut zu tun. Namhafte und wohlhabende Kurgäste lockten auch Kaufleute von außerhalb in die Stadt.
Städtchen wird Diplomatenbad
Bad Kissingen zog im 19. Jahrhundert ein internationales Publikum an. Nach Zahlen des Stadtarchivs weilten zum Beispiel 1868 rund 12 000 Kurgäste in der Stadt. Davon kamen 22,5 Prozent aus dem europäischen Ausland und von anderen Kontinenten. Rechnet man die noch eigenständigen deutschen Länder dazu, bestand die Kurgesellschaft zu annähernd 40 Prozent aus Ausländern. "Prozentual war der Anteil ausländischer Gäste sehr hoch. Bad Kissingen hatte weltweite Bekanntheit", sagt Peter Weidisch, Kulturreferent und Projektleiter der Unesco-Bewerbung.
Die Gebrüder Bolzano verschickten als Badpächter Kissinger Heilwasser bis nach Australien, was wiederum Gäste in die Stadt lockte. "Die Leute haben das Wasser nicht nur zu Hause getrunken, sondern sich auf die Reise an den Ursprungsort gemacht. Anders lässt sich die Anwesenheit von Australischen Kurgästen in Kissingen schon in der Mitte des 19. Jahrhunderts kaum erklären", erläutert Schmalz. Dass die bayerischen Könige das Bad förderten und dort kurten und dass Otto von Bismarck zeitweise seine Regierungsgeschäfte von der Oberen Saline aus erledigte, hat das internationale Interesse an Kissingen weiter gestärkt.
Der kleine Ort am Rand des bayerischen Königreiches entwickelte sich zum Diplomatenbad. Chinesische Delegationen reisten an die Saale, ebenso wie russische Zaren und spanische Militärs. Aber auch amerikanische Industrielle, schwedische Wissenschaftler und englische Literaten besuchten das Bad (siehe ). "Man kam hier zusammen, traf sich informell und tauschte sich aus", sagt Weidisch. Globales Reisen und Netzwerken ist nicht erst ein Phänomen des 21. Jahrhunderts.
"Internationalität ist ein Basic für ein Weltbad", erklärt er. Damit ein Kurort als Weltbad zählt, brauche es ein berühmtes, internationales Publikum, das sich kontinuierlich dort aufgehalten hat. Für den Unesco-Antrag reicht eine schicke Gästeliste allein nicht aus. "Es ist nicht nur wichtig, dass diese Leute hier waren, sondern dass es sich auch in Kulturbauten niedergeschlagen hat", sagt Weidisch.