Die medizinische Versorgung auf dem Land ist Thema im Bundestag. MdB Sabine Dittmar zu Problemen bei der Ärzteplanung bis zu sinkenden Apothekenzahlen.
Das Urteil wurde zwar in Luxemburg gefällt, trotzdem ist die Aufregung auch hier im Landkreis groß. Apotheker kritisieren die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zur Preisbindung für verschreibungspflichtige Medikamente. Sie fürchten einen ruinösen Preiskampf mit großen europäischen Versandapotheken. Die Bundestagsabgeordnete und Gesundheitsexpertin Sabine Dittmar (SPD) erklärt im Interview, wie sie Apotheker vor Ort stärken will, warum sich die Bad Brückenauer Hoffnung auf einen Kinderarzt machen können und warum Telemedizin trotz allen Potenzials eine ambulante Versorgung nicht ersetzen kann.
Der Europäische Gerichtshof hat im Oktober die Preisbindung für rezeptpflichtige Medikamente in Deutschland für unzulässig erklärt. Was bedeutet das für die kleine Apotheke vor Ort?
Sabine Dittmar: Die Preisbindung in Deutschland ist nicht gekippt. Das ist der Knackpunkt. Der EuGH hat festgestellt, dass die deutsche Medikamentenpreisbindung für den freien Warenverkehr in Europa ein Hindernis ist. Wir haben die schwierige Situation, dass die deutschen Offizin- und Versandapotheker sich bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln an die deutsche Preisbindung halten müssen, während europäische Versandapotheken Boni gewähren können. Wie sich das auf den Markt auswirkt, ist alles noch Spekulation. Ich kann aber die Sorgen unserer Apotheker verstehen, dass sie in einen ruinösen Preiswettbewerb getrieben werden.
Wie reagiert die Politik darauf?
Es ist eine ganz schwierige Situation, aber wir arbeiten intensiv an einer Lösung. Der Apothekerverband fordert ein Versandverbot für verschreibungspflichtige Medikamente. Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) ist da schnell aufgesprungen. Inzwischen ist man zurückhaltender, was die Durchsetzbarkeit eines Versandverbotes anbelangt. Es ist ein Unterschied, ob ich etwas überhaupt zulasse oder ob ich etwas wieder verbieten will, das zwölf Jahre funktioniert hat. Wir wissen, wenn wir das Versandverbot wieder gesetzlich durchsetzen wollen, dass wir in ein EU-Notifizierungsverfahren gehen und begründen müssen, warum die Änderung vorgenommen wird. Das dauert im besten Fall drei bis sechs Monate. Wenn es verzögert wird, dauert es bis zu eineinhalb Jahre. Ein Verbot ist keine schnelle Lösung.
Und am Ende wartet sowieso eine Klage gegen Deutschland?
Die europäischen Versandhändler haben jetzt schon angekündigt, dass sie gegen ein Versandhandelsverbot klagen werden. Eine stichhaltige Begründung des Verbots wird dem Gesetzgeber schwerfallen. Außerdem sind die europäischen Versandhändler so kreativ, dass sie ein Verbot schnell umgehen.
Wenn ein Verbot wenig Sinn macht, was kann die Politik tun?
Allen in der Politik ist klar, wie wichtig eine Apotheke vor Ort ist, weil sie Gemeinwohlaufgaben erfüllt wie Akutversorgung, Nachtdienst, individuelle Rezepturen. Wir haben im Entwurf des Arzneimittelgesetzes drinnen, dass Rezepturen und Betäubungsmittel besser vergütet werden. Das war in der Vergangenheit völlig unterfinanziert. Was uns in der SPD-Fraktion beschäftigt, ist die Frage: Wie kann ich Apotheker-Honorare weiterentwickeln? Ein Apotheker verdient nur etwas, wenn er eine Medikamentenpackung abgibt. Dadurch dass Arzneimittel immer teurer werden, ist zwar eine Umsatzsteigerung da, was aber im Umkehrschluss nicht zwingend heißt, dass das Einkommen der Apotheker steigt. Ich will Apotheker nicht arm reden, aber in strukturschwächeren Gebieten müssen sie schon gut wirtschaften. Uns ist es ein Anliegen, das Apothekerhonorar unabhängiger zu machen von der Packungsabgabe.
Wie kann das aussehen?
Etwa mit höherer Nachtdienstvergütung oder man schafft generell einen Präsenzfonds. Es ist auch die Frage wichtig: Wie entlohne ich Beratung? Wie binde ich Apotheker in der Prävention und im Medikationsmanagement ein? Da können Versandapotheker schwer konkurrieren.
Die Ärzteversorgung ist ein weiteres Thema, das den ländlichen Raum betrifft. Bad Kissingen gilt als überversorgt, trotzdem stehen Patienten vor Problemen: Die Wartezimmer sind voll, Hausärzte nehmen keine Patienten mehr auf, im Altlandkreis Bad Brückenau findet sich kein einziger Kinderarzt. Läuft da bei der Bedarfsplanung nicht einiges schief?
Das ist zum Teil richtig, wie es die Patienten empfinden. Wir sind daran, die Ärztebedarfsplanung weiter zu verbessern. Bei den Hausärzten haben wir in der letzten Bedarfsplanung einen kleinen Erfolg erreicht; nämlich, dass der Landkreis Bad Kissingen in drei Planungsbereiche aufgeteilt worden ist. Er wird jetzt nach Bad Kissingen, Bad Brückenau und Hammelburg getrennt betrachtet. Im Stadtbereich Bad Kissingen haben wir mehr Ärzte als im Randbereich, so dass es Sinn macht, sich alles kleinteiliger anzuschauen. Ich bin froh, dass wir beim Versorgungsstärkungsgesetz auch drinnen haben, dass in der folgenden Ärztebedarfsplanung genauer auf die fachkundliche Spezialisierung geschaut wird. Es bringt mit nichts, wenn ich fünf Kardiologen habe, aber der Diabetologe kriegt keine Zulassung, weil wir mit Internisten überversorgt sind. Auch Parameter wie die Bevölkerungsstruktur sollen eine stärkere Rolle spielen. Ich muss eine Region, in der viele ältere Menschen leben, anders beplanen als einen aufstrebenden Stadtteil mit vielen jungen Familien.
Was bedeutet das konkret für den Landkreis?
Die Kinderärzte werden aktuell noch auf den gesamten Landkreis beplant. Der Planungsbereich wird kleinteiliger, so dass man schaut, was ist denn in Bad Brückenau, was ist in Hammelburg? Und dann sieht man: In Bad Brückenau ist nichts. Ich glaube, das ist ein erster Schritt, um Abhilfe zu schaffen.
Was macht die Politik, um die Ärzteversorgung auf dem Land zu gewährleisten?
In überversorgten Gebieten gibt es die Möglichkeit, frei werdende Kassensitze nicht nach zu besetzen. Die Möglichkeit wird aber nicht genutzt. Wir haben schon jetzt Lockmittel. Ein Arzt, der fünf Jahre in einem unterversorgten Gebiet gearbeitet hat, wird später eher berücksichtigt, wenn es einen Kassensitz in der Stadt zu vergeben gibt. Es gibt auch große Zuschüsse für Niederlassungen in unterversorgten Regionen. Wir haben in dieser Wahlperiode außerdem die Weiterbildungsstellen aufgestockt. Zudem diskutieren wir intensiv über den Masterplan Medizinstudium 2020. Aber bei der Ärzteversorgung auf dem Land spielen viele Faktoren rein, da gibt es noch viel zu tun.
Müssen sich die Patienten langfristig darauf einstellen, von Ärzten nur noch telemedizinisch über größere Entfernungen behandelt zu werden?
Telemedizinische Strukturen werden eine ambulante Versorgung niemals ersetzen. Aber sie können ergänzen und erleichtern, und zwar nicht nur in der Zusammenarbeit zwischen einer Klinik und einem niedergelassenen Arzt, sondern auch zwischen Ärzten und Senioreneinrichtungen. Eine Debatte, um die wir mittelfristig nicht herumkommen, um die Ärzte zu entlasten, ist die Delegation und Substitution von heilberuflichen Leistungen. Das ist ein schwieriges Thema in der Ärzteschaft. Ich glaube aber, es gibt Dinge wie komplizierte, chronische Wundversorgung, die von einem Wundmanager erbracht werden können. Ähnliches ist auch bei Heilmitteln zu diskutieren, wie etwa Blankorezepte für Physiotherapeuten. Hier legt der Physiotherapeut fest, wie er den Patienten behandelt. Er ist damit aber auch zuständig für die Budgetverantwortung und Haftung.
2015 hat Helios am St. Elisabeth-Krankenhaus die letzte Geburtsstation im Landkreis geschlossen. Ist es nicht eine staatliche Aufgabe, solche Strukturen für die Bevölkerung vorzuhalten?
Wir hatten im Landkreis über 1000 Geburten, mehr als 700 Kinder sind woanders auf die Welt gekommen. Ich selber halte die Geburtshilfe für eine Grundausstattung in einem regional versorgenden Krankenhaus. Es ist Aufgabe des Klinikbetreibers, sie so aufzustellen, dass sie von den Menschen angenommen wird. Es muss klar sein, dass man damit häufig kein Geschäft macht, sondern dass die Geburtshilfe aus anderen Abteilungen quersubventioniert wird. Der Klinikträger muss entscheiden, ob es das wert ist. In Bad Neustadt hat man sich für den Erhalt der Geburtshilfe entschieden. Haßfurt diskutiert darüber. Helios hat mir versichert, dass sie die Geburtshilfe nicht aus wirtschaftlichen Gründen geschlossen haben.
Muss man sich damit abfinden, dass es hier langfristig keine Geburtshilfe geben wird, getreu dem Motto: einmal weg, immer weg?
Das kann ich so nicht beantworten. Wenn sich Hebammen zusammentun und sagen, wir gründen ein Geburtshaus, dann ist das sicherlich möglich. Es bleibt aber die Frage, inwieweit dieses angenommen würde. Es sind ja Krankenhäuser mit Geburtsabteilungen erreichbar. Im Allgemeinen suchen sich die Leute die Geburtsstation lange vor der Geburt aus. Und bei Helios haben die Leute wohl mit den Füßen abgestimmt.
Das Gespräch führte
Benedikt Borst.