Erstaunliche Entwicklung

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Die größte positive Überraschung war beim Kissinger KlavierOlymp der heute 18-jährige Engländer Julian Trevelyan. Foto: Thomas Ahnert
Die größte positive Überraschung war beim Kissinger KlavierOlymp der heute 18-jährige Engländer Julian Trevelyan.  Foto: Thomas Ahnert
Die größte positive Überraschung war beim KlavierOlymp der heute 18-jährige Engländer Julian Trevelyan. Foto: Thomas Ahnert
Die größte positive Überraschung war beim KlavierOlymp der heute 18-jährige Engländer Julian Trevelyan. Foto: Thomas Ahnert
 
Spieltechnisch war Annika Treutler souverän, bestens vorbereitet. Foto: Thomas Ahnert
Spieltechnisch war Annika Treutler souverän, bestens vorbereitet. Foto: Thomas Ahnert
 
Spieltechnisch war Annika Treutler souverän, bestens vorbereitet. Foto: Thomas Ahnert
Spieltechnisch war Annika Treutler souverän, bestens vorbereitet. Foto: Thomas Ahnert
 
Der 14-jährige Kaan Baysal konnte heuer nicht an sein verblüffend erwachsenes Spiel vom Vorjahr anschließen. Foto: Thomas Ahnert
Der 14-jährige Kaan Baysal konnte heuer nicht an sein verblüffend erwachsenes Spiel vom Vorjahr anschließen. Foto: Thomas Ahnert
 
Der 14-jährige Kaan Baysal konnte heuer nicht an sein verblüffend erwachsenes Spiel vom Vorjahr anschließen. Foto: Thomas Ahnert
Der 14-jährige Kaan Baysal konnte heuer nicht an sein verblüffend erwachsenes Spiel vom Vorjahr anschließen. Foto: Thomas Ahnert
 
Thomas Schuch hatte 2016 mit seinen Klangfarben gepunktet. Umso erstaunlicher, dass er diesmal aggressiv und laut spielte. Foto: Thomas Ahnert
Thomas Schuch hatte 2016 mit seinen Klangfarben gepunktet. Umso erstaunlicher, dass er diesmal aggressiv und laut spielte. Foto: Thomas Ahnert
 

"Kissinger KlavierOlymp 2016 - Ein Jahr danach" waren zwei Klavierabende im Rossini-Saal überschrieben.

Elisabeth Brauss, die sich damals den 1. Preis erspielt hatte, war traditionell als Solistin eines Orchesterkonzerts eingeladen - in ihrem Fall mit dem Württembergischen Kammerorchester Heilbronn, mit dem sie Mozart spielte. Und Nikolai Khozyainov hatte an beiden Terminen andere Verpflichtungen. So war die Aufteilung einfach: Am ersten Abend spielten die beiden Jüngeren, Kaan Baysal und Julian Trevelyan, am zweiten Abend die beiden Älteren, Annika Treutler und Thomas Schuch.
Fast neun Monate sind in der künstlerischen Entwicklung eines jungen Menschen keine ganz kurze Zeit. So durfte man gespannt sein, ob und wie sich das Spiel der jungen Leute seitdem verändert hat. Denn eine Weiterentwicklungsgarantie gibt es nicht. Und das war eine Erfahrung, die man auch an diesen Abenden machen musste.
Die größte positive Überraschung war der heute 18-jährige Engländer Julian Trevelyan. Die Zeit seit dem KlavierOlymp war für ihn sehr erfolgreich. Er war Finalist im Arthur-Rubinstein-Wettbewerb in Tel Aviv, hat sein Geologiestudium beendet - das machen offenbar alle Trevelyans - und ist nach Paris gezogen, um dort an der Ecole Normale sein Musikstudium fortzusetzen. Er war im Oktober schon dadurch aufgefallen, dass er sich mit seinem Programm sehr stark auf die Musik des 20. Jahrhunderts fokussierte - Zeichen eines analytischen und selbständigen Geistes. Mit ihr hat er auch seine erste CD aufgenommen.
Der kam ihm jetzt auch zugute bei seinem Ausflug in das 19. Jahrhundert, und er hatte es sich nicht leicht gemacht mit seiner Wahl: Robert Schumann Humoreske B-dur op. 20 ist ein knapp halbstündiges Werk, das seinen Interpreten alles an Technik und Gestaltung abverlangt. Trevelyan hatte sich ein detailliertes, schlüssiges Konzept überlegt, das genau auf die Intentionen der Einzelteile zielte, das sie wirklich unterscheidbar machte. Er hatte die Spielanweisungen ernst genommen und konnte sie auch gestalten, indem er nicht nur zwischen laut und leise variierte, sondern mit seinen großen Anschlagsmöglichkeiten. Das machte die Musik höchst transparent und spannend, denn er hatte immer wieder ungewöhnliche Lösungen. Ein Ansatz, von dem auch Frédéric Chopins Scherzo E-dur op. 54 profitierte: ein echtes Presto, aber unaufgeregt und sehr gut strukturiert.
Der 14-jährige Kaan Baysal ist noch in einem Alter, in dem der Technikerwerb als Voraussetzung für ein erfolgreiches Musizieren im Vordergrund steht. Da darf man interpretatorisch noch nicht die großen Würfe erwarten. Er begann mit Beethovens früher Sonate D-dur op. 2/3. Beethoven hatte er auch im Oktober gespielt, und damals hatte er verblüfft mit einer für einen 13-Jährigen erstaunlich reifen, durchdachten Interpretation. Da konnte er dieses Mal nicht anknüpfen. Vielleicht ist die Sonate noch zu frisch einstudiert, denn dieses Mal stand die technische Bewältigung im Vordergrund. Um ein erzählendes Spiel ging es nicht. Und er hatte auch ein paar kleine Hakler.
Das Problem der technischen Reproduktion stand auch bei den beiden anderen Werken im Vordergrund. Da stand Baysal deutlich unter Druck, hatte vielleicht ein bisschen zu hoch gegriffen. Bei Chopins cis-moll-Scherzo op. 39 spielte er ein echtes Presto con fuoco. Aber Chopin wollte das nicht nur schnell und laut, sondern manchmal auch schnell und leise. Und bei Liszts "Campanella"-Etüde war die manuellen Grenze nicht überschritten, aber erreicht. Man muss sich um den jungen Mann keine Sorgen machen; er hat ein enormes Potenzial. Aber im Moment scheint er ein Tal zu durchqueren.
Annika Treutler (26) hatte im letzten Jahr Prokofiew gespielt, und das tat sie erfreulicherweise wieder. Die 20 "Visions fugitives" op 20 hört man nicht allzu oft: 20 mehr oder weniger kleine Klangstudien, die nicht nur starke Gestalter brauchen, sondern die auch stark differenzierte Gestaltungskonzepte entwickeln. Spieltechnisch war Annika Treutler souverän, bestens vorbereitet. Aber beim Pflügen durch flüchtige Visionen gingen allmählich die expressiven Kanten verloren. Wenn sich die Sätze nicht durch ihre Tempoangaben stark unterschieden, wurden sie sich relativ ähnlich. Insofern war es ein bisschen ungeschickt, Johannes Brahms Opus 116, ebenfalls sieben freie Fantasien hinterherzuschicken. Auch sie waren toll gespielt, mit wunderbaren Ecken. Aber insgesamt schien der Vorrat an Gestaltung ein wenig erschöpft zu sein.
Thomas Schuch hatte 2016 mit seinen Klangfarben gepunktet. Erstaunlich wie er jetzt die fis-moll-Sonate von Johannes Brahms spielte: mit erstaunlicher Aggressivität, laut, hart, geradezu zertrümmernd. Natürlich muss man eine Brahms-Sonate nicht so spielen, wie es alle tun. Aber wenn man es anders macht, sollte man den Grund vermitteln. Den zehn Préludes aus op. 28 von Frédéric Chopin ging es da besser. Da nahm Schuch sich stärker zurück. Da konnte aus der Konfrontation Musik werden.