Die Aufzeichnungen von Willi Hehn geben einen Eindruck über das dörfliche Leben in Haard seit der Zeit des Ersten Weltkrieges.
Fünfzehn Jahre ist es inzwischen her, dass der Ort Haard sein 800-jähriges Bestehen gefeiert hat. Im Juni 2002 war nicht nur die gesamte Dorfbevölkerung in die Feierlichkeiten involviert, Persönlichkeiten aus dem gesamten Landkreis hatten das Fest besucht. Die Saale-Zeitung schrieb damals: "Die meisten Haarder Bürger waren so 'eingespannt' bei den vielen Aktivitäten, dass sie von den vielen Attraktionen des Fests nur einen Bruchteil mitbekamen. Alle örtlichen Vereinsfeiern im Jubiläumsjahr bezogen sich bei ihren Veranstaltungen auf das Ortsjubiläum.
Aus Anlass der 800-Jahr-Feier hatte Josef Willmann eine Ortschronik erstellt. Darin schrieb Willi Hehn, der damals mit 93 Jahren der älteste Ortseinwohner war, seine Jugenderinnerungen nieder. "Ich bin als jüngstes von sechs Kindern im Jahr 1909 in Haard geboren und besuchte ab 1915 die Volksschule. Unser Jahrgang zählte je acht Jungen und acht Mädchen. Wir bekamen öfters Schläge vom Lehrer, er wollte uns das Lernen auf diese Weise beibringen. Die meisten Familien hatten nicht einmal ein Wohnzimmer, sondern nur Küche und Schlafzimmer. Die Toilette war ganz primitiv, ich möchte sie nicht beschreiben. Mit Wasser musste sehr gespart werden, denn das musste vom Dorfbrunnen herbei geschafft werden. Sieben bis acht Kinder haben sich damals in einer 'Gelte' bei drei bis vier Eimer Wasser gebadet."
Auch über das Ortsbild wusste Willi Hehn zu berichten: "Die Kuhställe befanden sich im Haus, der Misthaufen vor der Haustür. Der Stallgeruch war überall verbreitet. Fliegen gab es in Schwärmen, ganz besonders in der Küche. Die Küchenwände waren schwarz wie Schmieden, da die Kamine offen waren und der Wind den Rauch zurück drückte. Die Reinigung wurde nur an Samstagen durchgeführt. In der Küche wurden die jungen Gänse und Küken so lange großgezogen, bis man sie frei herumlaufen lassen konnte. Man hat mit den Tieren gelebt. Die Kühe lieferten die Hauptnahrung für die Familie, morgens eine Tasse Milch, abends eingebrocktes mit Milch. Bis zum Jahr 1915 wurden die Gänse von einer kinderreichen Familie gehütet."
Über die Sicherheit erzählte Willi Hehn: "Ein Nachtwächter, es war ein Junggeselle durchstreifte nachts die Dorfstraßen und verhinderte Kriminalität. Als die Straßenlampen installiert waren, war sein Job überflüssig geworden. Beim Sonntagsgottesdienst wurden die Straßen abwechselnd von den Bürgern bewacht, denn alle Einwohner waren in der Kirche versammelt.
Die Erinnerungen an die Kindheit waren nicht nur gute oder schlechte, sondern gemischt: "Im oberen Eck des Dorfes war ein Löschweiher, wo sich täglich die Gänse versammelten. Im Sommer badeten wir darin und lernten frühzeitig das Schwimmen. Wir gingen sieben Jahre in die Volksschule, anschließend drei Jahre in die Fortbildungsschule, die wir einen Tag in der Woche besuchen mussten. Keiner aus unserer Klasse hat eine weiterführende Schule besucht, denn das hätten die Eltern bezahlen müssen. Christenlehre hatten wir jeden zweiten Sonntag in der Kirche während des Gottesdienstes. Der Herr Pfarrer hatte uns öffentlich in der Kirche aufgerufen, wo er uns aus der Bibel und dem Katechismus ausgefragte. Wer es nicht wusste, der musste sich auf den Gang stellen vor der ganzen Kirchengemeinde. Dann ermahnte der Pfarrer die Eltern: 'Wenn Sie ihren Sohn retten wollen, dann müssen Sie kräftig nachhelfen, sonst geht er unter.' Wir standen mit gesenktem Kopf und sahen nicht auf, sonst konnten uns die Leute direkt in die Augen sehen. Wir waren hilflos der Öffentlichkeit ausgesetzt. Diese Augenblick drangen seelisch tief in uns ein. Als der Pfarrer lange genug geschimpft hat, durften wir in die Bänke zurück. Schweiß lief uns von der Stirn. Damit war es aber nicht getan. Daheim ging es weiter, alle fielen über uns her. Wir dachten, wenn es nur keinen Sonntag mehr gäbe." Dieser Religionsunterricht wurde bis in die 1930er Jahre in der Kirche erteilt.
Bis heute hinterlassen diese Jugenderinnerungen einen guten Eindruck vom einstigen Dorfleben. Willi Hehn ist im Jahr 2004 im Alter von 95 Jahren gestorben.