Was macht ein Wiener Türke, Besitzer einer Autowerkstatt in Ottakring, im 16. Bezirk, im Rossini-Saal? Na klar, Stand-up-Comedy!
Wiener Kenner der Stand-up-Szene hätten die Frage vermutlich mit Leichtigkeit beantworten können, denn in ganz Österreich gibt es nur einen einzigen türkischstämmigen Stand-up-Comedian und der ist beim heimischen Publikum bekannt. Doch für das Bad Kissinger Publikum war die Angelegenheit offenbar doch etwas zu exotisch.
So hatte es Jack Nuri bei seinem ersten Auftritt außerhalb Österreichs schwer, auch wenn er versuchte, das Wiener Idiom durch Nachfragen etwas zu entschärfen und die Sprechgeschwindigkeit auf ein Drittel zu reduzieren.
Das Publikum war durchaus interessiert, die Lacher vereinzelt, über amüsierte Gluckser in einigen Ecken und spärlichen Szenenapplaus ging der Reaktionslevel aber kaum hinaus.
Die Energiewelle aus Gelächter, Applaus, einem lauten, animierten Publikum, auf der ein Stand-up-Comedian zu surfen gewohnt ist und auf der er naht- und mühelos vom Hundertsten ins Tausendste schlittern kann, baute sich nicht auf - ein hartes Brot war's für Nuri bei seinem ersten Auslandseinsatz.
Sein ‚Best of‘-Auftritt sollte aus zwei Teilen bestehen: den besten Szenen aus seiner ‚Autobiographie‘ vor der Pause, seinen skurrilen Erlebnissen in
der Autowerkstatt danach. Autobiographisches kam schon vor. Zum Einstieg legt Nuri seinem Vater bei dessen Einreise in Wien in den Mund, was heutzutage Sache ist: Nachdem sie in der Geschichte vorher nur bis "vor Wien" gekommen waren, sind Türken nun in Wien und Nuri, ironisch stolz auf seine österreichische Staatsbürgerschaft verweisend, nimmt sie genauso aufs Korn wie seine Landsleute.
Messerscharfe Beobachtungen Mit großem schauspielerischen Talent vergleicht er die Stereotypen des ständig mit seinem Stock irgendwo wandernden Österreicher mit den ständig irgendwo grillenden Türken, arbeitet mit skurril-komischer Phantasie die Unterschiede zwischen einem österreichischen und einem türkischen Friseur heraus und hält dann den Österreichern vor, dass man mit Schlagern
wie Wolfgang Ambros‘ ‚Zentralfriedhof‘ oder Rainhard Fendrichs ‚Auf und davon‘ nie und nimmer eine Frau aufreißen kann. Aber seine Landsleute kriegen ihr Fett genauso weg: "Wenn ein Türke sehr freundlich ist, dann ist Gefahr im Verzug", weshalb es nicht verwundert, dass die Wiener Türkengemeinde ihm nicht immer freundlich gesonnen ist.
"Anything goes" ist, was er beansprucht, wenn es nur eine pikante, unverschämte, aber immer überraschende und witzige Pointe verspricht. Politische Korrektheit ist seines, ebenso wenig wie Rücksicht auf religiöse Empfindlichkeiten oder Tabus bei Christen und Türken.
Nasreddins Erbe Nuri ist ein äußerst begabter Geschichtenerzähler, fähig, das Typische bei verschiedenen
Menschengruppen in Gang, Körperhaltung und Sprechweise als perfekte Karikatur zu imitieren, was den zweiten Teil seines Abend, in dem er von seinen (angeblich genauso erlebten) Begegnungen mit den verschiedensten Nationalitäten in seiner Autowerkstatt und seinem Fitnessstudio erzählt. Auch hier scheut er vor keinem Vorurteil zurück.
In einer Stadt, in der so viele Nationalitäten zusammenleben, hat ein solches Aussprechen und Imitieren der vielen Vorurteile eine wichtige Funktion, im Lachen darüber wird klar, wie lächerlich Vorurteile sind und wie normal es ist, dass alle ein wenig verschieden sind.
Jack Nuri ist so ein hinter der Zurschaustellung seiner Zeitgenossen versteckter, durchaus sozialkritischer und ernstzunehmender Chronist seines Wien, ein übersprudelnder Erzähler, der
stundenlang in der Tradition des türkischen Eulenspiegel Nasreddin hätte weiterfabulieren können. Doch dazu hätte es eines Comedy-erfahreneren , lebhafteren Publikums bedurft, das es politisch unkorrekt und ohne Rücksichten auf irgendwelche Sensibilitäten liebt und auch den größten Tabubruch um der Pointe willen gutheißt. Vielleicht beim nächsten Mal.