Statt einer Trasse entlang der A 7 geht Tennet nun mit sechs weiteren möglichen Korridoren durch den Landkreis in die Bundesfachplanung. Eine würde im Norden und Osten um Bad Kissingen herumführen. Die Info-Veranstaltung am Montag in Schweinfurt ist abgesagt.
An den bisherigen Demonstrationen gegen die Südlink-Trasse nahm meist das immer gleiche Publikum teil: Fast alle Gegner wohnten bislang in Sichtweite der A 7. Lediglich bei der Resolution des Kreistages haben sich bereits vor Monaten Politiker aus allen Ecken des Landkreises zusammengeschlossen. Vielleicht ahnten sie damals schon, was gestern passierte: Im neuesten Entwurf von Tennet durchziehen plötzlich sechs zusätzliche Korridore den Landkreis, einer davon würde sogar zwischen Aschach und Bad Bocklet hindurch nördlich von Bad Kissingen durch Nüdlinger und Oerlenbacher Gebiet verlaufen. "Tennet hat jetzt noch mehr Metastasen produziert", fasst der Oberthulbaer Bürgermeister Gotthard Schlereth (Freie Wähler) diese neue Planung zusammen.
"Die kommunalen Belange sind alle gar nicht berücksichtigt worden", ärgert sich Schlereth, der gleichzeitig Kreis-Vorsitzender im Bayerischen Gemeindetag ist. Und: "So richtig ernst genommen fühlt man sich da nicht." Ähnlich äußert sich sein Mottener Amtskollege Jochen Vogel (CSU): "Ich weiß nicht, ob wir und Tennet aneinander vorbei kommuniziert haben, aber von unseren Argumenten wurde gar keines gehört."
MdL Kirchner war "irritiert" Bürgermeister Vogel hatte zufällig für gestern Tennet-Vertreter zur Vorstandssitzung des Vereins "Rhönlink" eingeladen. "Das hat natürlich gut zusammengepasst, weil uns die Experten die Varianten gleich vorgestellt haben." Die Reaktionen waren natürlich eher verhalten: Gerade der Korridor durch die Schwarzen Berge und vorbei an allen drei Staatsbädern im Landkreis "setzt dem Ganzen ja noch die Krone auf", sagt Vogel.
"Das hat mich schon irritiert", wundert sich auch der CSU-Landtagsabgeordnete Sandro Kirchner über die gestrige Veröffentlichung. "Da frage ich mich, was wir die ganze Zeit mit Tennet besprochen haben", macht der Premicher seinem Ärger Luft, und: "Tennet macht anscheinend seinen Stiefel weiter." Dass die geplante Info-Veranstaltung in Schweinfurt am Montag entfällt, wie gestern von Tennet mitgeteilt, wundert den MdL dagegen nicht: "Das hat ja einen politischen Hintergrund", verweist er darauf, dass Ministerpräsident Horst Seehofer und Wirtschaftsministerin Ilse Aigner zunächst den Bedarf für neue Leitungen prüfen lassen wollen. "Das deckt sich ja durchaus auch mit unserer Strategie", verweist Kirchner darauf, dass auch der Verein Rhönlink gegen die Trasse ist.
"Wir brauchen die Trasse nicht" "Wir brauchen die Trasse gar nicht", sagt auch Reiner Morhäuser von der Bürgerinitiative im Markt Schondra. "Deshalb beteiligen wir uns auch nicht an der Diskussion um einzelne Korridore", lautet seine Devise. Wichtig ist ihm jedoch, dass die geplante Trasse kein Einzel-Schicksal weniger Bürger ist, die entlang der A 7 wohnen: "Das betrifft uns alle."
Die drei Bürgerinitiativen gegen Südlink haben gestern bereits ihre Demonstrationen in Schweinfurt abgesagt. Tennet startet mit den offiziellen Info-Märkten also erst am Dienstag, 30. September, in Fulda. "Nach Gesprächen mit der Politik hat Tennet den Eindruck gewonnen, dass zwischen Bayern und dem Bund noch abschließender Klärungsbedarf über das ,Ob' des Netzausbaus im Rahmen der Energiewende besteht", hieß es gestern in der Pressemitteilung. Daher werde Tennet die umfassende Information der Bürger so lange verschieben, bis eine grundsätzliche Einigung erzielt wurde.
Mehr als 3000 Hinweise und Vorschläge haben die Bürger entlang der gesamten Südlink-Trasse bei Tennet eingereicht. Das teilte der Stromnetz-Betreiber gestern mit. "Sie wurden einzeln ausgewertet und es wurde geprüft, ob auf ihrer Grundlage Korridorvorschläge entwickelt werden können", heißt es in der Pressemitteilung. 90 Prozent der Hinweise seien nun in eine Planung mit zusätzlichen Korridoren eingeflossen.
98 zusätzliche Teil-Korridore Rund 1700 Hinweise waren laut Tennet raumbezogen, etwa Hinweise zu einzelnen Gehöften oder Gewerbegebieten. Über 500 Hinweise enthielten konkrete Korridorvorschläge. Insgesamt wurden 112 Korridorvorschläge detailliert geprüft, 98 davon wurden aufgenommen. Laut dem Mottener Bürgermeister Jochen Vogel werden diese Korridore nun für die Bundesfachplanung bei der Bundesnetzagentur eingereicht. Obwohl die Info-Veranstaltung in Schweinfurt abgesagt wurde, kündigte Tennet gestern an, auch "allen Hinweisgebern aus Bayern eine individuelle schriftliche Antwort und Stellungnahme zu ihren Vorschlägen und Hinweisen" zu geben.
Dass nicht alle 98 neuen Korridore auf Gegenliebe stoßen, zeigt die Reaktion des Bad Bockleter Bürgermeisters Wolfgang Back (CSU): "Das lassen wir ganz sicher nicht so mit uns machen", kommentiert er den Korridor, der sein Gemeindegebiet zwischen Bad Bocklet und Aschach durchkreuzen würde. Back hatte sich bereits als Kreisrat und Bürgermeister an mehreren Resolutionen gegen die Stromtrasse beteiligt - "aus Solidarität", berichtet er. Dass seine Gemeinde sogar direkt betroffen sein könnte, habe er zwar befürchtet, war gestern aber dennoch überrascht. "Das ist eine bodenlose Frechheit, das würde ja direkt am Kurpark vorbeigehen." Aus seiner Sicht ist die Leitung komplett überflüssig: "Die Netzbetreiber wollen nur Geld scheffeln", ist Wolfgang Back überzeugt.
"Nicht glücklich" und "völlig inakzeptabel" findet auch Landrat Thomas Bold das, was Tennet jetzt vorgelegt hat. "Die Erwartungen sind sehr stark enttäuscht worden", versucht er seine Gemütslage höflich zu umschreiben. Vor allem fühle er sich von Tennet nicht ernst genommen. Aus seiner Sicht hätte das Unternehmen zunächst abwarten sollen, bis der Bedarf auch wirklich nachgewiesen sei. "Wir brauchen eine sichere Stromversorgung und wenn dazu neue Leitungen benötigt werden, müssen sie auch gebaut werden", sieht auch Bold ein. Allerdings müsse diese Frage zunächst geklärt werden.
In Bayern geringste Akzeptanz Nicht gelten lässt Bold deshalb auch das Argument von Tennet, dass laut einer repräsentativen Umfrage angeblich 78 Prozent der Bundesbürger den zügigen und rechtzeitigen Ausbau der Stromleitungen befürworten. "Unter den Befragten, die Südlink kennen, halten 62 Prozent den Bau der Windstromleitung für notwendig und erforderlich", teilte Tennet gestern mit. Dabei ist die Zustimmung aber sehr unterschiedlich: In Schleswig-Holstein sind es 69 Prozent, in Niedersachsen 72, in Hessen 73 , in Nordrhein-Westfalen 61 Prozent und in Bayern nur 51 Prozent.
"Die Vorschläge der Bürger haben die Überlegungen für Südlink verändert und sind zu 90 Prozent in die Planung mit eingeflossen", sagte Lex Hartman, Mitglied der Geschäftsführung der Tennet TSO GmbH, und: "Das zeigt, dass es der richtige Weg ist, die Bürger bei den Planungen für neue Stromverbindungen miteinzubeziehen."
Bürgermeister wieder ausgeladen "Das ist kein Bürger-Dialog, die ziehen ihr Ding einfach durch", kommt Widerspruch von Markus Stockmann, dem Vorsitzenden der Bürgerinitiative "Gegenstrom". Nach seinen Angaben soll es in Schweinfurt trotz der Absage des eigentlichen Infomarktes Details geben: Die Vertreter der Bürgerinitiativen seien für 12 Uhr eingeladen, später seien die Träger öffentlicher Belange an der Reihe, also Verbände und Behörden. Lediglich die Bürgermeister seien wieder ausgeladen worden.
Trotz der Absage in Schweinfurt macht Tennet mit seinen Informationsveranstaltungen in Richtung Norden wie geplant weiter. Nach Fulda am Dienstag folgen Kassel, Höxter, Hannover, Rotenburg und Hameln.