Parteiwerbung, Kampagnen, Fake-News: Dieses Jahr ist der Wahlkampf besonders intensiv in den sozialen Netzwerken. Während das auf lokaler Ebene meist sauber abläuft, könnten Desinformationen den Wahlausgang entscheidend beeinflussen, warnt Professor Markus Appel von der Uni WÜrzburg.
Die Hand greift zum Smartphone. Schnell ist das Display entsperrt und die Facebook-App geöffnet. Je näher die Bundestagswahl rückt, umso mehr Wahlwerbe-Postings von den Parteien tauchen im Newsfeed auf, genauso wie Anzeigen, mit denen Verbände auf ihre Interessen aufmerksam machen. Auf Facebook lässt sich Werbung viel zielgerichteter ausspielen als beispielsweise bei einem Radiospot. Die Werbetreibenden können bestimmen, welchen Personen sie ihren Werbe-Post vorrangig anzeigen lassen - Menschen aus Bad Kissingen, die älter als 18 Jahre sind und einen akademischen Abschluss haben, zum Beispiel.
Die SPD-Bundestagsabgeordnete Sabine Dittmar führt zum Beispiel einen sehr umfangreichen Online-Wahlkampf. Wahlkampfleiter Jan Marberg hat von Bad Brückenau aus den Überblick. Er weiß, welche Beiträge wann ausgespielt werden sollen und weiß, welche Facebook-Nutzer und Wähler die SPD ins Visier für ihre Kampagne nimmt. "Es war früh klar, dass ein klassischer Wahlkampf nicht oder nur in Teilen stattfinden kann", erzählt er. Weil Corona keine Großveranstaltungen zulässt, setzte die SPD auf eine hybride Variante - mit kleineren Veranstaltungsformaten, Plakaten an den Straßen und Anzeigen in Zeitungen. Dazu kommen die Aktivitäten in Sozialen Netzwerken mit normalen sowie bezahlten Beiträgen. "Für die heiße Phase haben wir uns eine Agentur mit ins Boot geholt", sagt Marberg.
Es wurden vorab Zielgruppen festgelegt, die man erreichen will. Es geht darum, Menschen zu erreichen, die nicht schon "Fans" der Bundestagsabgeordneten sind, ihr also in den sozialen Medien noch nicht folgen. Die Zielgruppen "sind Menschen, die im Leben stehen". Zum Beispiel Arbeitnehmer ab 50 Jahre, die sich auf der Zielgerade ihres Berufslebens befinden, junge Familienmütter- und -väter, Rentner, aber auch Heranwachsende, für die sich die Lebenssituation entscheidet. Wichtig sei eine Offenheit für soziale Werte.
Experimentieren und ausprobieren
Bislang habe er den Eindruck, dass die Kampagne für Sabine Dittmar gut läuft, aber: "Der Online-Wahlkampf ist ein Stück weit experimentieren und ausprobieren. Wir haben das Glück, dass wir auf Erfahrungen aus dem Kommunalwahlkampf zurückgreifen können", meint Marberg. Der Online-Wahlkampf habe einen entscheidenden Vorteil. Der Wahlkampfleiter erklärt: "Es ist leichter, Inhalte zu transportieren." Auf den Plakaten von Sabine Dittmar zum Beispiel habe man bewusst auf einen Slogan verzichtet, weil man beim schnellen Vorbeifahren nicht die Zeit hat, sich damit auseinanderzusetzen. Online haben die Leute hingegen Zeit, einen kurzen Text zu lesen oder ein kurzes Video anzuschauen.
Der Online-Wahlkampf kann allerdings ziemlich schmutzig sein. Zwar gehen laut Marberg die politischen Mitbewerber auf lokaler Ebene sauber miteinander um. In der Diskussion unter den Beiträgen von Sabine Dittmar finden sich zum Teil jedoch unsachliche Kommentare aus dem rechten Spektrum und Fake-News, gegen die man vorgehe. Schmutzkampagnen beobachte er mehr gegen Spitzenpolitiker. Er sagt: "Wir erleben in Teilen eine Amerikanisierung des Wahlkampfes."
Wie der Wahlausgang beeinflusst wird
"Wir sind noch relativ weit weg von amerikanischen Verhältnissen", entgegnet Professor Markus Appel. Er ist Experte für Fake-News und hat an der Universität Würzburg den Lehrstuhl für Kommunikationspsychologie und Neue Medien inne. In Amerika haben die Republikaner im Wahlkampf gezielt Desinformationen gestreut, um den Ausgang der Wahl zu beeinflussen. "In Deutschland gibt es keine Partei in der Größe, die zum Beispiel so stark die Briefwahl madig macht", sagt er.
Aber auch hierzulande werden bewusst Falschinformationen gestreut, etwa dass die Briefwahl manipuliert werde und dass nur nach der 3G-Regel die Menschen in die Wahlkabine gelassen würden. Im Wahlkampf waren bislang verstärkt Schmutzkampagnen, gezielte persönliche Angriffe und Fehlinformationen zu beobachten. Getroffen hat es vor allem die Kanzlerkandidatin der Grünen, Annalena Baerbock. Für viel Kritik sorgte zum Beispiel die Kampagne der "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft" (INSM), eines Industrieverbandes, in der Baerbock als Moses dargestellt wurde, mit zehn Verboten, die die Grünen angeblich planen. Auch Armin Laschet (CDU) wurde bereits zur Zielscheibe, wenn auch nicht in dem Ausmaß wie Baerbock. SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz hingegen ist laut Appel bisher davon weitgehend unbehelligt geblieben. Stehen Politiker in den sozialen Netzwerken erst einmal unter Beschuss, wird es für sie schwierig, da wieder herauszukommen.