In der Erlösergemeinde findet eine außergewöhnliche Gospelarbeit mit Klein und Groß und dem evangelischen Kirchenmusiker Jörg Wöltche statt.
                           
          
           
   
          Jörg Wöltche holt tief Luft. Dann hebt er seine Hand, öffnet den Mund und singt laut los: "Komm zu mir, mein Gott!" Die Tonhöhe der Melodie zeigt er mit seiner waagrechten Handfläche an, die auf den imaginären Notenlinien nach oben und unten hüpft. Die Kinder von drei bis sieben Jahren singen kraftvoll mit. Auch, als er plötzlich ins Englische wechselt: "Kumbaya, my Lord!" Der Kirchenmusikdirektor an der Erlöserkirche in Bad Kissingen ist wohl einer der profiliertesten Gospelchor-Experten im evangelischen Bayern - vor allem, wenn's um den Nachwuchs geht.
       
"Wir machen zuerst die Kindergarten-Version", sagt Wöltche zu seinen Chor-Assistentinnen. Nadja Liehr, Alexandra Jany, Valerie und Angela Stichler sitzen mit den "Gospel Sparrows", also den Gospel-Spatzen, wie die Kleinsten im Bad Kissinger Gospelchor-Universum heißen, im Kreis. Sie nicken und Wöltche greift beherzt in die Tasten des kleinen Klaviers vor ihm. "Gottes Liebe ist so wunderbar", singen die Kinder aus vollem Hals, den Kinder- und Familiengottesdienst-Klassiker. Nach einer kurzen Strophe wechselt Wöltche wieder ins Englische und singt "Rock my Soul".
Gospelchöre gibt es mittlerweile viele, landauf, landab. Manche sind gut, andere ambitioniert oder bemüht. Aber immer geht es um dieses spezielle Gefühl, das klassische Kirchen- und Kirchenchormusik bei vor allem jüngeren Leuten immer weniger weckt. "Ich liebe Kantaten", sagt Musiker Wöltche, der in Bad Kissingen ein kirchliches Kammerorchester leitet: "Aber viele Menschen sind heute anders musikalisch sozialisiert." Noch vor seiner Zeit in Unterfranken, in Schleswig-Holstein, kam er mit Gospel erstmals in Berührung: "Seither lässt es mich nicht mehr los."
Die freitägliche Chorstunde der Kleinsten dauert 45 Minuten. Das ist kurz - aber intensiv. Zwischendurch gibt es Bewegungslieder, es wird geklatscht, gestikuliert. Und es wird auch schon einstudiert, wie man sich auf einer Bühne bewegt. "Spirituals und Gospel sind ganzheitliche Musik", sagt Wöltche. Man bewegt sich, klatscht, choreographiert, man gebärdet. "Das ist ein großes, umfassendes Erlebnis für die Sänger und für das Publikum", findet der Kirchenmusiker. Gospels, ist er sich sicher, brächten Leute in die Kirche, die sonst nicht oder nur selten kämen.
Es ist  kurz vor 16 Uhr, die zweite Chor-Gruppe - die "GospelKids" von acht bis 16 Jahren - sammelt sich im Gemeindesaal. Die ältesten der Spatzen singen in einer Wechselphase auch hier mit. Nun können alle lesen, es werden auch Noten ausgeteilt und auf Zuruf Stücke geprobt. Mit dieser Altersklasse läuft die Arbeit intensiver ab, Wöltche lässt die Kinder und Jugendlichen gezielt Passagen singen, um die Intonation zu verbessern. Als die Jungs und Mädchen das "Irische Segenslied" gesungen haben, ist er fast ein bisschen baff: "Da kommt so viel Stimme. Wirklich toll."
Neben all der musikalischen Bildung ist es aber immer auch noch ein kirchliches Angebot. Als Wöltche mit seinen "GospelKids" den Spiritual "Joshua fit the battle of Jericho" anstimmt, geht er auch auf den Inhalt der biblischen Geschichte ein. "Man muss verstehen, was man singt", erläutert er. Und man muss es auf der Bühne "leben". Zusammen mit den Chor-Assistentinnen studieren die Kinder den "Gospel-Schritt" ein, in dem sich Chorsänger auf der Bühne bewegen. Sie üben Klatschen im Backbeat auf Zwei und Vier sowie erste choreographische Elemente. Die achtjährige Dorothea kommt seit etwa drei Jahren zu den Proben: "Ich mache hier gerne mit, weil Singen meine Leidenschaft ist." Für sie ist die manchmal auch harte Probenarbeit kein Problem" - schließlich winkt am Ende der Lohn des Künstlers: der Applaus des Publikums. "Ich hab auch schon im Regentenbau gesungen", sagt sie stolz. Auch die neunjährige Mona ist seit mehreren Jahren dabei: "Es ist toll, dass man beim Singen hier Gefühle zeigen kann." Eines ihrer Lieblingslieder sei "Rock my Soul", weil es ein "wildes Lied" über Gott ist, erklärt sie.
Diese Begeisterung der Sänger hält sich über Jahrzehnte. Es gibt eine ganze Handvoll junger Erwachsener, die als Kleinkinder zu Wöltche in den Chor kamen und bis heute dabei sind. Etwa der 22-jährige Markus Wondra. 2001 wurde er von seinen Eltern in den Chor geschickt, auch weil seine Mutter bei Wöltches großem Gospelchor, den "KisSingers", mitmacht. Wondra ist geblieben. Der Gemeinschaft wegen, aber auch wegen des Singens.