Ganna Kravchenkos Telefon steht selten still. Ständig erhält sie Anrufe - von geflohenen Ukrainern auf der Suche nach Unterstützung, von deutschen Hilfswilligen. Auch andere Helfer in Bad Kissingen fühlen sich überfordert. Obwohl sie weiterarbeiten, suchen sie Entlastung.
Als Kravchenko von der russischen Invasion der Ukraine am 24. Februar und den ersten Flüchtlingen erfuhr, hatte sie eine gewisse Vorstellung: "Ich habe gedacht, ich helfe den Menschen. Ich bin gut vernetzt." Kravchenko wusste, dass die Ukrainer in Deutschland eher als einzelne Familienkerne leben und noch viele Verwandte - Eltern, Onkel, Tanten, Neffen, Nichten, Patenkinder - in dem osteuropäischen Land haben. Es galt, Hilfslieferungen zu organisieren.
Die 38-Jährige glaubte, dass ihre Hilfe nur zwei bis drei Wochen andauern würde. Nun ist der Überfall Russlands auf die Ukraine zehn Wochen her. Und Ganna Kravchenko sagt: "Ohne es zu wollen, bin ich das Gesicht der Ukraine in Bad Kissingen geworden." Eine Aussage, die sie nicht nur auf sich selbst, sondern auch ihre Mitstreiterinnen, darunter Olena Albert und Olga Muth, bezieht.
Mehr als 1000 ukrainische Flüchtlinge leben im Landkreis, Hunderte davon in Bad Kissingen. Viele wenden sich an die schon länger in Deutschland lebenden Landsleute. Wie Ganna Kravchenko.
"Für die Ukrainer ist nicht das Amt der Ansprechpartner. Sie rufen zuerst mich an und fragen", sagt diese. Vieles müsse man ihnen erklären, beispielsweise, was das Jobcenter sei. Oder wo und wie die Kinder in die Schule oder den Kindergarten gehen könnten. Oft werde auch um Hilfe beim Übersetzen gebeten, zum Beispiel bei einem Vorstellungsgespräch.
Die gebürtige Kiewerin erhält viele Angebote von Sach- und Geldspenden. Egal, ob es um eine abgetragene Jacke, die sie am besten selbst abholen soll, oder 2000 Euro geht - jedem Anliegen soll sie mit derselben Freundlichkeit begegnen - auch wenn sie gerade stark gestresst ist. Viele Leute würden auch sagen: "Ganna, wir lassen Ukrainer bei uns wohnen, aber nur, wenn du uns den Anschluss herstellst. Wir rennen nicht mit ihnen durch die Ämter."
"Wir haben kein Privatleben mehr, keine Hobbys", sagt sie über sich und ihre Kolleginnen. Ganna Kravchenko ist beruflich sehr eingespannt, arbeitet als Projektmanagerin beim Landratsamt Main-Spessart in Karlstadt.
In einer Kurstadt wie Bad Kissingen, sagt sie, wären die Leute leider mit einer Einmalspende für die gute Sache zufrieden. Einen Verein mit vielen Mitstreitern zu gründen, sei schwierig; auch existiere kein Lager für alltägliche Dinge, wie zum Beispiel in Oberthulba.