Bad Kissingens Infrastruktur aus der Weltbadzeit: Prachtbau statt Schlachthaus

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Eine Ansichtskarte Ende der 1920er Jahre zeigt den Schlachthof (links) und die Lindesmühle. Das Ensemble wurde damals als repräsentativ angesehen. Quelle: Stadtarchiv Bad Kissingen
Eine Ansichtskarte Ende der 1920er Jahre zeigt den Schlachthof (links) und die Lindesmühle. Das Ensemble wurde damals als repräsentativ angesehen. Quelle: Stadtarchiv Bad Kissingen
Entwicklung der Einwohner- und Gästezahlen Bad Kissingens. Quelle: Stadtarchiv Bad Kissingen/ Grafik: Dagmar Klumb
Entwicklung der Einwohner- und Gästezahlen Bad Kissingens. Quelle: Stadtarchiv Bad Kissingen/ Grafik: Dagmar Klumb
 
Glanzvoll: Bad Kissingen will wieder dorthin, wo es früher schon einmal war, an die Spitze im Medizin- und Gesundheitstourismus. Siegfried Farkas
Glanzvoll: Bad Kissingen will wieder dorthin, wo es früher schon einmal war, an die Spitze im Medizin- und Gesundheitstourismus. Siegfried Farkas
 
1838 Das Krugmagazin wurde für den Versand von Heilwasser erbaut. Zudem errichtete man errichtete je ein Reservoir für Sole- und für Pandurwasser, wobei das für Sole später in die Salinenstraße verlegt wurde. Foto: Benedikt Borst
1838 Das Krugmagazin wurde für den Versand von Heilwasser erbaut. Zudem errichtete man errichtete je ein Reservoir für Sole- und für Pandurwasser, wobei das für Sole später in die Salinenstraße verlegt wurde.  Foto: Benedikt Borst
 
1848 An der Unteren Saline entstand die Freipumpe, die Gradierbau, Salinenbad und Salinenrestaurant sowie die staatliche Wäscherei für die Kurbetriebe mit Heil- und Frischwasser versorgt hat. Foto: Benedikt Borst
1848 An der Unteren Saline entstand die Freipumpe, die  Gradierbau, Salinenbad und Salinenrestaurant sowie die staatliche Wäscherei für die Kurbetriebe mit Heil- und Frischwasser versorgt hat.  Foto: Benedikt Borst
 
1851 Die Verlegung des Solereservoirs in die Salinenstraße war nötig geworden, weil die Abholung des Solewassers durch die Kurhalter am Krugmagazin laut und störend für die Hotelgäste nebenan war. Benedikt Borst
1851 Die Verlegung des Solereservoirs  in die Salinenstraße war nötig geworden, weil die Abholung des Solewassers durch die Kurhalter am Krugmagazin laut und störend für die Hotelgäste nebenan war. Benedikt Borst
 
1875 Das ehemalige Gaswerk in der Würzburger Straße - heutiger Sitz der Stadtwerke Bad Kissingen - versorgte von 1875 bis Mitte der 1960er Jahre die Stadt mit Gas. Bis heute erhalten ist das alte Beamtenwohnhaus. Foto: Benedikt Borst
1875 Das ehemalige Gaswerk in der Würzburger Straße - heutiger Sitz der Stadtwerke Bad Kissingen - versorgte von 1875 bis Mitte der 1960er Jahre die Stadt mit Gas. Bis heute erhalten ist das alte Beamtenwohnhaus. Foto: Benedikt Borst
 
1883 Mit zwei doppelt wirkenden Pumpenkolben beförderte die Hauspumpe an der Unteren Saline das Wasser aus dem Runden Brunnen zum Kurhausbad sowie zu privaten Kurhäuser in der Stadt. Foto: Benedikt Borst
1883 Mit zwei doppelt wirkenden Pumpenkolben beförderte die Hauspumpe an der Unteren Saline das Wasser aus dem Runden Brunnen zum Kurhausbad sowie zu privaten Kurhäuser in der Stadt.   Foto: Benedikt Borst
 
1898 Das staatliche E-Werks wurde errichtet, um das Luitpoldbad, das damals größte Badehaus Europas, mit Strom für die Beleuchtung zu versorgen. Foto: Benedikt Borst
1898 Das staatliche E-Werks wurde errichtet, um das  Luitpoldbad, das damals größte Badehaus Europas, mit Strom für die Beleuchtung zu versorgen. Foto: Benedikt Borst
 
1905 Das städtische E-Werk entstand. Ab Juni waren in Bad Kissingen alle Straßen elektrisch beleuchtet. Zum Vergleich: Die viermal größere Industriestadt Schweinfurt bekam ein Jahr später elektrische Straßenlampen. Foto: Benedikt Borst
1905 Das städtische E-Werk entstand. Ab Juni waren in Bad Kissingen alle Straßen elektrisch beleuchtet. Zum Vergleich: Die viermal größere Industriestadt Schweinfurt  bekam ein Jahr später elektrische Straßenlampen. Foto: Benedikt Borst
 
1899 Die 1886 errichtete Lindesmühle brannte 1898 ab und wurde ein Jahr später wieder aufgebaut. Damals war sie eine der größten Getreidemühlen Bayerns, heute ist sie das Domizil des städtischen Servicebetriebs. Foto: Benedikt Borst
1899 Die 1886 errichtete Lindesmühle brannte 1898 ab und wurde ein Jahr später wieder aufgebaut. Damals war  sie eine der größten Getreidemühlen  Bayerns, heute ist sie das Domizil des städtischen Servicebetriebs. Foto: Benedikt Borst
 
1922 Das städtische Wasserwerk wurde am Liebfrauensee erbaut sowie weitere Quellen zur Trinkwasserversorgung gefasst. Die ersten Quellen für Trinkwasserleitungen in die Stadt wurden bereits 1879 erschlossen. Foto: Benedikt Borst
1922 Das städtische Wasserwerk wurde am Liebfrauensee erbaut sowie weitere Quellen zur Trinkwasserversorgung gefasst. Die ersten Quellen für Trinkwasserleitungen in die Stadt wurden bereits 1879 erschlossen. Foto: Benedikt Borst
 
1925 Die Stadt lässt den Schlachthof mit zwei Beamtenwohnhäusern errichten. Er galt zu Beginn des 20. Jahrhunderts aus hygienischer und technischer Sicht als sehr fortschrittlich. Foto: Benedikt Borst
1925 Die Stadt lässt den Schlachthof mit zwei Beamtenwohnhäusern errichten. Er galt zu Beginn des 20. Jahrhunderts  aus hygienischer und technischer Sicht als sehr fortschrittlich.  Foto: Benedikt Borst
 

Von Schlachthof bis Lindesmühle: Kissingens Infrastruktur war anders als in vergleichbaren Städten. Deshalb gehören viele Bauten zur Welterbe-Bewerbung.

Den alten Schlachthof hat Ingeborg Wacker in guter Erinnerung. Ihr Großvater war dort angestellt und auch ihr Vater fand dort nach dem Zweiten Weltkrieg eine gute Arbeit. Das Leben der Familie spielte sich in einem der beiden Wohnhäuser ab, die beim Bau des Schlachthofs für die leitenden Beamten auf dem Gelände gleich mit errichtet worden sind. "1949 sind wir dort runter gezogen. Ich war sieben Jahre alt. Für uns Kinder waren das goldene Zeiten", erzählt sie. 20 Kinder habe es damals in der Nachbarschaft gegeben. Mit denen habe man im Schatten der Ochsenkathedrale gespielt.

Bis heute erinnert die Seniorin sich an den Trubel, der auf dem Gelände geherrscht hat, etwa wenn die Bauern am Abend vor dem Schlachttag ihre Tiere lieferten. "Der Schlachtbetrieb war groß. Wir hatten damals viele Metzger in Kissingen", sagt Wacker. Die mussten mit frischer Ware versorgt werden. Als Hallenmeister hatte ihr Vater die Aufsicht. Er war dabei wenn zum Beispiel die Tiere und das Fleisch gewogen und kontrolliert wurden. "Für uns Kinder war der Schlachthof verboten, wenn Schlachttag war. Da haben wir uns ferngehalten", sagt die 77-Jährige.

Kleine Stadt, viele Menschen

Der Schlachthof ist eines von vielen Gebäuden, die die Infrastruktur der Kurstadt geprägt haben. Sie wurden verstärkt ab den 1830er Jahren bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts gebaut und waren dafür gemacht, Bürger und Kurgäste mit allem zu versorgen, was notwendig war und was dem damaligen Stand der Technik entsprach: Angefangen bei Lebensmitteln über Elektrizität und Gas bis zur Heilwasserver- und Abwasserentsorgung.

Des Besondere: Die Infrastruktur konnte deutlich mehr leisten, als das kleine Städtchen für seine Bewohner gebraucht hätte. Aber: "Bad Kissingen musste eine Infrastruktur für eine Anzahl an Menschen vorhalten, die in der Kursaison um ein Vielfaches höher war als ihre Einwohnerzahl", sagt Birgit Schmalz vom städtischen Unesco-Projektteam. 1913 zum Beispiel standen den 6000 Einwohnern mehr als 50 000 Kurgäste und Passanten (heute würde man Kurzurlauber sagen) gegenüber.

Die Infrastruktur, die in der Weltbadzeit entstand, hatten die Planer also gleich entsprechend groß angelegt. Bei der Planung des Schlachthofs wurde zum Beispiel darauf geachtet, dass er groß genug war, die Fleischversorgung auch in Spitzenzeiten zu gewährleisten, wenn die Hotels und Kurhäuser in der Stadt voll belegt waren.

Größe allein war nicht alles. "Es ging vor allem um die Verbindung von Funktion und Architektur", erklärt Kulturreferent Peter Weidisch. Die Infrastrukturbauten hatten nicht nur ihren Zweck zu erfüllen, sondern mussten auch optisch etwas hermachen. Beste Beispiele dafür sind die burgähnliche Lindesmühle (in der heutigen Form erbaut: 1899) und der kathedralenartig gestaltete Schlachthof (erbaut: 1925). Weidisch: "Der Schlachthof war für die Versorgung von großer Bedeutung. Um für ein Weltbad kompatibel zu sein, musste er gebaut werden, wie er heute noch da steht: ohne auffälligen Kamin".

Infrastruktur bis heute sichtbar

Die Infrastruktur ist auch für die Welterbebewerbung der Great Spas of Europe wichtig. "Die Infrastruktur hatte eine andere Qualität als die in Städten mit vergleichbarer Größe", sagt der Unesco-Projektleiter. Bad Kissingen zum Beispiel hatte als erste Stadt in Bayern eine Schwemmkanalisation, an der konsequent alle Haushalte angeschlossen wurden. Ebenfalls besonders war die Elektrizität. Das Luitpoldbad wurde schon ab 1898 elektrisch beleuchtet, mit Strom betriebene Straßenlampen kamen ab 1905. Zum Vergleich: In der deutlich größeren Industriestadt Schweinfurt gab es eine elektrische Straßenbeleuchtung erst ein Jahr später.

"Bei der Infrastruktur ist Bad Kissingen stark und sehr vielschichtig", sagt Weidisch. Das werde auch von Experten so gewürdigt. Viel davon - und das ist auch eine Stärke - ist bis heute im Stadtbild vorhanden: Von Pumpenanlagen über Strom-, Gas- und Wasserwerken bis zum Schlachthof.

Zur Unesco-Serie

Bewerbung Elf historische, europäische Kurorte bewerben sich als "Great Spas of Europe" darum, von der Unesco als Weltkulturerbe anerkannt zu werden. Welche Argumente führt Bad Kissingen an, welterbewürdig zu sein? Die Saale-Zeitung beleuchtet einmal im Monat die Hintergründe der Serie. Der nächste Teil beschäftigt sich mit der Architektur der Weltbadzeit.