Es gibt nur vier Männer in der Bundesrepublik, die junge Schwarzstörche beringen. Einer davon ist Carsten Rohde. Anfang Juni war er in der Rhön unterwegs.
Ein markerschütternder Schrei entfährt Carsten Rohde. Mit ganzer Kraft wirft er das Seil, wieder und wieder. Der Stamm der mächtigen Eiche, die er erklimmen will, hat eine Verwachsung, und um die kommt er nicht herum. Der Baum steht im Salzforst im südlichen Teil des Landkreises Rhön-Grabfeld. Einige Meter über Rohde regt sich Protest. Die jungen Schwarzstörche richten sich in ihrem Horst auf. Was aus der Ferne wie wütendes Klappern klingt, sind Knack-Geräusche, die die Tiere ausstoßen, um ihre Feinde zu erschrecken.
Beringen fürs Forschungsprojekt "Im Gegensatz zum Weißstorch werden Schwarzstörche aggressiv, wenn sie sich bedroht fühlen", erklärt Rohde. Deshalb hat er seine Decke dabei, sie riecht nach Schwarzstorch und ein bisschen nach Fisch. Seit zehn Jahren hat Rohde sie im Gepäck, wenn er hinauf zu den Vögeln steigt.
Oben angekommen, wirft er sie über den Horst, und die Störche verstummen. Der vertraute Geruch und die Dunkelheit haben eine beruhigende Wirkung auf die Tiere.
Wieder ein Schrei. Dieses Mal hat Rohde es geschafft, das Seil über die Verwachsung zu werfen. Weiter geht's. Stück für Stück arbeitet sich Rohde den Stamm hinauf. Seine 51 Jahre merkt man ihm nicht an. Er ist einer von zwei Experten, die in Deutschland für die Beringung von Schwarzstörchen zuständig sind. Und dann gibt es noch zwei Nachwuchs-Beringer, denn ewig wird Rohde den Job nicht machen können - auch wenn er das gerne würde.
"Ruhig, Jungs!" Mittlerweile ist Rohde am Horst angekommen. Er wirft die Decke über den Horst, dann greift er blind einen Vogel nach dem anderen und befestigt die Clips am Oberschenkelknochen. Ziffern und die Daten der zuständigen Vogelwarte stehen auf den Ringen aus Plastik.
Unter anderem arbeitet Rohde für ein Farbberingungsprojekt, das Schwarzstörche europaweit erfasst.
Schwarzstorch-Bestand ist stabil Während im vergangenen Jahr Kälte und Nässe dem Schwarzstorch zu Schaffen gemacht hat, läuft es heuer glänzend. Allein im Landkreis Rhön-Grabfeld beringt Rohde neun Tiere, im Landkreis Fulda sind es sogar mehr als 20 junge Störche. Insgesamt geht Rohde von 600 bis 620 Paaren in Deutschland aus. "Der Bestand ist stabil", sagt er.
Plötzlich fliegt ein Schatten vorbei. Ein ziemlich großer Schatten. Bis zu 1,80 Meter Spannweite haben die Flügel des Schwarzstorchs. Papa oder Mama Storch haben den Beringungs-Trupp also bemerkt. Für Rohde das Zeichen, sich zu beeilen, denn er will die Tiere so wenig wie möglich stören.
Wieder auf dem Boden, fallen die roten Spuren auf Rohdes Unterarmen auf.
Er winkt ab. "Als alter NVA-Soldat..." Rohde kommt aus Klein Markow, Mecklenburgische Seenplatte, und ist eigentlich Tischlermeister. Seit mehr als 30 Jahren engagiert er sich für den Artenschutz, denkt noch lange nicht ans Aufhören. Und warum sollte er auch. Nach einer Tour ist klar: Carsten Rohde ist ein Mann, der im Wald zuhause ist.