Im Ausland zu wohnen sei auch ein Stück weit Luxus, den man sich leisten können muss. "Man hat einfach Ausgaben, die man normalerweise nicht hat. Zum Beispiel muss man schauen, dass man die Kohle für den Flug zusammenbekommt, wenn man seine Familie zuhause besuchen will", erklärt Hirschler und fügt an: "Ich weiß aber nicht, ob man sich wirklich häufiger sehen würde, wenn man nicht so weit entfernt lebt, zum Beispiel in Berlin oder in Frankreich. Man verbringt ja auch einfach viel Zeit mit Arbeiten."
Corona-Pandemie machte Heimatbesuch unmöglich
Eigentlich wollte Hirschler bereits im Mai 2020 zu Besuch in den Altlandkreis kommen. Aber aufgrund der Corona-Pandemie war das plötzlich nicht mehr möglich. "Das war ein echter Schock für mich. Die Realität, dass ich nicht mehr einfach nach Hause fliegen konnte", erinnert sie sich. "Ich hatte wirklich Angst, dass Familie oder Freunden etwas passiert. Das war echt hart. Damals wusste man ja auch noch nicht wirklich viel über das Virus."
In Brasilien herrsche aktuell was die Pandemie betrifft eine Art Aufbruchsstimmung, was ihrer Meinung nach aber nicht angebracht ist. "Es gibt zum Beispiel Leute, die ohne Maske auf die Straße gehen, obwohl das eigentlich noch Pflicht ist", erzählt Hirschler. Man müsse in Brasilien wesentlich mehr auf den Selbstschutz achten. Wie auch hierzulande in den Medien zu lesen war, stieß das brasilianische Gesundheitssystems im Verlauf der Pandemie in weiten Teilen des Landes an seine Grenzen. Der Regierung um Präsident Bolsonaro wird daran eine Mitschuld gegeben.
Einmal habe sie bislang ernsthaft überlegt, ob sie Brasilien wieder verlassen müsse, berichtet Hirschler. Es ging dabei um eine geplante Reform des Waffenrechts. "Ich hatte wirklich Sorge, dass das System dadurch in eine diktatorische Richtung kippt. Aber der Senat hat den Gesetzesvorschlag zum Glück abgelehnt." Sie könne sich inzwischen durchaus vorstellen, für immer in Brasilien zu bleiben, berichtet die 32-Jährige. Es sei aber natürlich nicht vorhersehbar, wie sich alles in Zukunft entwickelt.
Mehr Zufriedenheit und leben im Moment
"Ich mag mein Leben dort sehr gerne", sagt Hirschler. Sie habe in Brasilien gelernt, zufrieden zu sein und sich über Dinge zu freuen, unabhängig davon, ob diese von außen als gut oder schlecht bewertet werden. "In Deutschland haben wir immer sehr spezielle Vorstellungen, dass es zum Beispiel erstrebenswert ist, Ingenieur zu werden oder viel zu verdienen. Und wenn das dann nicht so passiert, sind die Leute mitunter sehr, sehr unzufrieden", sagt die 32-Jährige.
"In Brasilien habe ich gelernt, Freude am Prozess zu haben, den Moment so zu nehmen, wie er kommt. Wenn man zu sehr auf das Ziel fixiert ist, sieht man die Steine nicht und fällt hin, dann kommt man nicht ans Ziel und hatte auch noch keinen Spaß dabei", sagt sie und lacht.
"Das klingt wie aus einem 0815-Selbsthilfebuch, aber wenn man das direkt in seinem Umfeld erlebt, fällt es einem viel leichter, das für sich selbst und sein Leben anzunehmen." Sie habe insgesamt gelernt, mehr auf ihre Intuition zu hören. Und die sagt ihr, dass sie - trotz der über 10 000 Kilometer Luftlinie - in Brasilien genau am richtigen Platz ist.
Tipps für einen längeren Aufenthalt im Ausland
Johanna Hirschler lebt seit acht Jahren in Brasilien. Für alle, die ebenfalls mit dem Gedanken spielen, einmal vorübergehend oder längerfristig ins Ausland zu ziehen, hat sie einen simplen, aber wichtigen Tipp: "Mach(t)"s." Es sei natürlich anfangs auch ein unglaublich beängstigendes Gefühl, räumt die 32-Jährige ein und fügt an: "Gerade wir Deutschen neigen ja dazu, alles genau vorbereiten zu wollen." Es mache durchaus Sinn, sich entsprechend zu versichern oder vorab die Sprache in einem Kurs zu lernen. Vieles ergebe sich aber auch einfach vor Ort.
"Ich kann es nur empfehlen, mal ins Ausland zu gehen. Man lernt die Leute und das Land auf eine ganz andere Art und Weise kennen." Gleichzeitig erfahre man auch viel über die eigene Identität und lerne die eigene Kultur mehr zu schätzen: "Man ist plötzlich aus seiner Blase raus und merkt: Man ist verdammt Deutsch", sagt Hirschler und lacht. "Aber das hat ja auch seine guten Seiten." Sie habe zum Beispiel das Vereinswesen früher "echt popelig" gefunden. "Heute denke ich, dass es eine wunderschöne Art ist, die Gesellschaft zu organisieren."
Man sei als Europäerin oder Europäer, und speziell als Deutsche oder Deutscher, auch sehr privilegiert, gibt sie zu bedenken. "Es ist wichtig, sich bewusst zu sein, in was für einer besonderen Situation wir sind, ins Ausland gehen zu können und da positiv wahrgenommen zu werden. Viele andere Reisende gelten als Flüchtlinge oder Gastarbeiter. Wir sind häufig einfach nur Reisende. Dessen sollte man sich bewusst sein. Und auch den Leuten und der Kultur vor Ort sollte man einen gewissen Respekt entgegenbringen, sich mit ihnen unterhalten und nicht bei den Klischees stehen bleiben."
Übrigens: In das Musikalbum von Johanna Hirschler können Sie hier reinhören.