Liederwerkstatt: Die Bad Kissinger Kreativabteilung hat sich in der Szene einen Namen gemacht. Aber das Publikum fremdelt noch etwas.
Das -verlängerte - Wochenende des Kissinger Sommers steht ganz im Zeichen der Kissinger LiederWerkstatt. Acht Komponisten sind in diesem Jahr mit neuen Klavierliedern nach Texten russischer Autoren vertreten. Wie diese Ideenschmiede funktioniert und was das Publikum erwarten kann, darüber sprachen wir mit dem Bariton Peter Schöne.
Herr Schöne, wenn Sie den Begriff "Kissinger Liederwerkstatt" hören, dann denken Sie an ...Peter Schöne: ... dann denke ich an sehr viele Uraufführungen in all den Jahren und viele Entdeckungen auch bei den klassischen Stücken. Dann denke ich auch vor allem an die schöne Zeit hier in
Bad Kissingen, in der wir nicht nur schöne musikalische Stunden miteinander verbracht haben, viele Konzerte hören konnten, sondern in der wir auch sehr fürstlich untergebracht waren - das muss man ja auch mal sagen undein Dankeschön loswerden - und in der es viele tolle Möglichkeiten gab, etwas auszuprobieren.
Ist die Kissinger LiederWerkstatt bekannt in Deutschland.Doch, man weiß schon, dass es das gibt. In der Szene ist sie schon bekannt. Ob sie darüber hinaus wirklich bekannt ist, weiß ich nicht. Doch, in der Szene weiß man schon, dass es hier die Möglichkeit gibt, auf einem abgesteckten Feld Neues zu erkunden. Das ist unter den Festivals eine tolle Sache.
Die Lieder, die hier uraufgeführt werden, tauchen die danach unter oder auf?Das ist sehr unterschiedlich. Ich meine, ich habe natürlich dann das Bestreben, die immer wieder zu singen. Ich denke beispielsweise an Killmayers "Ritter Toggenburg", das ich uraufgeführt habe. Die Sache ist ja die: Unsere Aufgabe als Künstler ist ja die, solche Lieder in unsere Programme einzubauen und auch immer wieder anzubieten. Man weiß natürlich nicht: Passt das dem Veranstalter ins Konzept, was ich anbiete. Manchmal passt's eben auch nicht.
Beim Kissinger Sommer hat sich außer Ihnen bisher nur Christoph Prégardien bei der LiederWerkstatt bedient.Stimmt. Pregardien macht das auch. Der hat auch von Killmayer immer wieder die "Schön Rotraud" gesungen. Deshalb sage ich: Das ist unsere Aufgabe. Wir müssen das machen. Wir müssen uns immer wieder trauen, diese Dinge anzubieten, und man bekommt ja auch hier für sein Repertoire viele große Anregungen, und jeder, der hier mitgemacht hat, nimmt natürlich auch was mit nach Hause. Hans-Christoph Begemann baut die Lieder aus der LiederWerkstatt auch ein in seine Programme. Man muss sich halt bemühen. Wir sind für die zeitgenössische Musik der Anwalt, denn wenn wir es nicht tun, dann kann das Publikum nie entscheiden, welches Stück wirklich gut ist und welches nicht, welches so gut ist, dass es immer wieder gehört werden will. Schlecht sind die anderen auch nicht, aber es gibt Stücke, die will das Publikum immer wieder haben. Da gibt es auf jeden Fall noch Luft nach oben.
Gegen das zeitgenössische Lied gibt es im Publikum, nicht nur in Bad Kissingen, große Vorbehalte. Woher kommt das?Das habe ich mich auch immer gefragt. Zeitgenössische Kunst wird sang- und klanglos angenommen, und das zeitgenössische Lied tut sich da immer schwer. Woran liegt das? Ich bin natürlich total drin und freue mich so richtig drauf und denke mir: Ein neues Lied ist eine andere Schiene und sollte es auch verdienen, gehört zu werden. Tatsächlichj ist das mit der Publikumsresonanz sehr unterschiedlich. Manche Abende hier waren ja gut besucht, dass man überrascht war, und manchmal war's sehr schlecht besucht bis hin zu nur wenigen Leuten, die im Saal saßen. Das ist natürlich auch bitter, wenn man sich so viel Arbeit macht. Vielleicht müsste man mehr Werbung machen dafür?
Ich habe den Eindruck, dass Liederabende insgesamt auf dem Rückzug sind.Ich habe das Gefühlt, dass das so ein bisschen wieder kommt. Aber es ist richtig, dass sie im Verhältnis zu den 60er und 70er Jahren absolut abgenommen haben. Die Leute, die jetzt noch in Liederabende gehen, sind solche, die die Musik wirklich hören wollen. Und man darf nicht vergessen: Ein Liederabend verlangt dem Publikum sehr viel Konzentration ab, und die ist heute nicht mehr so leicht zu bekommen. So ein Liederabend dauert halt mal eineinhalb Stunden, da muss man sich eineinhalb Stunden intensiv einlassen auf Dichter, Komponist und Interpret. Und das ist beim zeitgenössischen Lied natürlich noch einmal eine größere Herausforderung, wobei man mit der eigenen musikalischen Erfahrung vielleicht gar nicht bis da hinreicht, was der Komponist von einem will. Aber vielleicht ist genau das auch das Spannende: dass man dann sagen kann: Okay, ich weiß jetzt darüber gar nichts, ich lasse das einfach auf mich wirken, habe davon keine Ahnung und weiß nicht, woher das kommt und wohin es geht. Entweder es spricht mich an in dem Moment, oder es erreicht mich eben nicht. Da sind auch wir Interpreten ganz in der Pflicht. Wir müssen uns wirklich darum bemühen, diese Lieder so selbstverständlich wie ein Schubert-Lied zu singen, eine tiefgehende und ansprechende Interpretation zu liefern.
Was ist falsch an dem Satz: Das abnehmende Interesse liegt am Melodieverlust der Lieder?Das würde ich so nicht unterstreichen. Es gibt ja da durchaus sehr große Unterschiede. Es gibt ein Bestreben danach, zu zerteilen und atonal zu komponieren, sodass sich Texte aufspalten und Melodien keinen Platz haben. Aber es gibt auch Bestrebungen, sehr melodiös zu komponieren. Da werden alle Stimmungen präsentiert, gerade in der LiederWerkstatt, weil es da viele Komponisten sind. Ich kann das von der Erfahrung mit meinen Komponisten sagen, die sehr verschieden sind. Die einen sind von den Texten her schon sehr dadaistisch und auf eine gewisse Art sehr modern und natürlich ist die Musik dazu nicht allzusehr melodiös, aber andererseits gibt es zwischendurch aus sehr melodiöse Phasen. Und das Stück von Franghiz Ali-Zadeh in diesem Jahr ist wirklich ein postsowjetisches Stück, das von Melodien fast strotzt. Es gibt da große Bögen, großes Theater. Das kann ich also tatsächlich nicht so sagen und auch nicht unterstreichenh. Aber Sie könnten recht haben, wenn man dann sieht, dass sich Leute wie Killmayer durchsetzen und immer wieder gespielt werden. Vielleicht ist dann doch die Sehnsucht bei den Interpreten und dem Publikum danach da, irgendwie in den vorhandenen Mustern sich wiederzufinden, die da heißen Melodie und Harmonie...
... und Humor.Ja, auch das. Ich unterstreiche, dass gerade bei der Kissinger LiederWerkstatt auch viel gelacht wurde. Das muss man wirklich sagen: Ich habe das Publikum auch schon sehr laut schmunzeln gehört. Man muss sich das auch trauen, auch als Publikum, auch in den zuerst bieder wirkenden Stücken, dass man sie einfach humoristisch auffasst.
Frisch komponierte Lieder zu singen, ist das schwieriger als das klassische Repertoire?Es ist zunächst einmal spannender, weil man etwas entdeckt, das noch nie zuvor etwa auf Platte aufgenommen wurde. Manchmal ist es wirklich sehr viel schwieriger, weil das Einstudieren mit viel mehr Arbeit verbunden ist. Das heißt, der Komponist verlangt Rhythmen oder von den Noten oder der Geschwindigkeit her Dinge, die einfach anstrengender sind, weil man sich die mühsam erarbeiten muss, bis das Gehirn sie automatisiert hat. Und dann ist es natürlich auch oft so, dass man stimmlich mal an seine Grenzen stößt - also mir geht es so.
In welcher Hinsicht?Manche Stücke sind einfach außerhalb des Stimmfaches. Man steht lustig Bariton drüber, aber man denkt: Das schaffe ich jetzt irgendwie gar nicht. Aber das ist ja auch ein bisschen die Herausforderung. Und dann gibt es die Tage, an denen man das probt. Dann kann man schauen, ob man für sich einen Weg findet, das trotzdem zu singen. Manche Stücke habe ich auch deshalb nicht im dauerhaften Repertoire, weil ich den Eindruck habe, dass sie noch nicht in meine Stimme passen, dass ich von der Stimme her noch nicht reif genug bin. Aber grundsätzlich kann man schon sagen, dass es insgesamt schwieriger ist als das klassische Repertoire, das allerdings auch seine Zeit braucht. Da muss man schauen, dass man von der Interpretation her nicht falsch liegt, weil man gerade etwas Zeitgenössisches gesungen hat.
Sie singen Uraufführungen von Gordon Kampe und Franghiz Ali-Zadeh. Wie sind sie zusammengekommen? Wer ist da auf wen zugegangen?Axel Bauni, der Künstlerische Leiter der LiederWerkstatt, ist dafür verantwortlich, sich das Konzept der beiden Abende zu überlegen. Er sucht mehr oder weniger das Thema aus - dieses Jahr ist das "Russland" und "Abschied und Aufbruch", und er ist auch maßgeblich dafür verantwortlich, welche Komponisten sa zum Zuge kommen. Ich denke, Kari Kahl-Wolfsjäger wird da auch ihre Vorlieben haben. Axel Bauni ist an mich herangetreten und hat gefragt, ob ich mitmachen möchte, und dann die beiden Uraufführungen direkt vorgeschlagen. Es ist nicht so, dass ich gesagt hätte: Von dem würde ich gerne mal was singen, sondern ich habe mich da ganz drauf eingelassen, habe gewartet, was für ein Vorschlag kommt und bin dann ganz frohgestimmt an mein E-Mail-Postfach gegangen, als die erste Sendung von dem Lied von Gordon Kampe kam.
Wann war das?Das war vor einem guten Monat. Das ist schon ein toller Moment, wie wenn man ein neues Buch zur Hand nimmt und aufschlägt. Mit Gordon Kampe und Franghiz Ali-Zadeh hatte ich bis jetzt noch keinen richtigen Kontakt, mit Kampe nur ein bisschen über Facebook. Und jetzt kommen wir langsam zu dem Punkt, wo das Ding passiert.
Bereiten Sie sich auf die Arbeit in Bad Kissingen vor?Ja natürlich. Ich komme hierher mit den einstudierten Noten. Dann ist natürlich mit Klavier alles ein bisschen anders. In den Proben hier hat man Zeit, alles zu entwickeln. Aber wir sind jetzt an einem Punkt, wo wir heute Nachmittag mit Gordon Kampe treffen, um ihm dann erst mal vorzuführen, was wir uns erarbeitet haben, und dann von ihm zu hören, ob das überhaupt das ist, was er sich vorgestellt hat. Da gibt es dann Dinge, die er etwas anders möchte. Das ist eigentlich das Tolle und Spannende an dieser LiederWerkstatt hier in Bad Kissingen, dass man die Möglichkeit hat, mit den Leuten, die das geschrieben haben, wirklich zu sprechen. Das mache ich natürlich auch bei anderen Leuten, dass ich sie kontaktiere, wenn ich zeitgenössische Musik zu singen habe. Da schreibt man dann halt mal eine E-Mail. Aber mehr ist das dann auch nicht. Dass man sich persönlich begegnet und auch die Aufregung des Komponisten am Abend spürt, das ist etwas Besonderes.
Wer sitzt bei Ihren Uraufführungen am Klavier?Bei Gordon Kampe ist es Axel Bauni, bei Fraghiz Ali-Zadeh ist es Jan Philip Schulze. Die haben die Noten zur selben Zeit wie ich bekommen. Wir haben beide Stücke, als ich am Dienstag hier ankam, erst mal durchgespielt. Beides lief ganz gut durch. Wenn man dann ins Detail geht, findet man dann noch viel, da gibt es noch viele Unwägbarkeiten, aber als ich kam, war ich ganz froh. Da dachte ich: Na, das hat schon eine ganz gute Basis.
Gibt es Komponisten, die über ihr eigenes Werk erschrecken? Denn sie hören es ja auch zum ersten Mal.O, das weiß ich nicht. Vielleicht gibt es ja Komponisten, die in einer Art rauschhaftem Zustand komponieren. Die sind dann vielleicht schon erschrocken, was sie da gebracht haben. Aber was ich glaube, was alle Komponisten eint: Man hat ja Melodien im Kopf, man hat musikalisches Material im Kopf. Das ist fast ein Zwang, das herauszubringen. So habe ich es meistens erlebt. Selten, dass sich jemand an den Computer setzt und dort etwas konstruiert. Die meisten hören ihre Musik ihrer Umwelt ab, und es ist ihnen ein Bedürfnis, das auch nach draußen zu bringen. Da gibt es selten Momente, in denen man erschrickt, weil das Meiste eben doch aus dem Umfeld entsteht.
Gibt es Komponisten, die noch Korrekturen machen?Ja, die gibt es durchaus. Und das ist auch gut so. Es gibt Anpassungen - ich hoffe auch heute mit Gordon Kampe. Manchmal sind es auch Lesefehler, die beseitigt werden müssen. Das ist auch für die Verlage nicht das Schlechteste, wenn sie rechtzeitig korrigierte Fassungen für den Druck bekommen und nicht erst in 100 Jahren die Musikwissenschaftler ein paar Noten korrigieren müssen.
Was ist bei dem Stück von Gordon Kampe für Sie als Sänger das Hauptproblem?Ich glaube, dass man es theatralisch singen muss, dass man es so gut auswendig kennen muss, dass man es auch theatralisch darstellen kann. Das ist an einigen Stellen schon ganz schön kompliziert, sowohl in Bezug auf die Rhythmen als auch auf die Töne; viele der Lieder sind schnell. Mein Ziel ist, das so frei wie möglich vortragen zu können, damit ich es auch spielen kann. Denn die Texte sind zum Teil wirklich kurios und witzig. Es wäre schade, wenn ich das zu ernst singen würde. Da kann man sich dann auch Freiheiten erlauben, wie man es bei Schubert oder Schumann in kuriosen Fällen auch machen würde.
Und wie ist das bei Franghiz Ali-Zadeh?Bei ihr ist die Schwierigkeit, wirklich den großen Bogen gut hinzubekommen, wobei das Stück sehr hilft, denn es ist ein sehr wirkungsvolles Stück. Und es ist schwierig, das Russische gut zu transportieren, dass sich auch der nicht russisch sprechende Zuhörer angesprochen fühlt - eine Übersetzung wird es natürlich geben.
Hat man bei aller Vorbereitung auch Zeit, mal bei den Kollegen reinzuschauen?Ja, das habe ich heute schon gemacht. Ich wollte wissen, wie Matthias Winckhler die Schubert-Lieder singt. Man hört ja auch immer ein bisschen bei den Übergängen zwischen den Proben. Das ist immer sehr schön. Und wir hören natürlich auch alles dann in der Generalprobe.
Worauf kann sich das Publikum freuen?Es kann sich auf sehr viel Abwechslung freuen, auf sehr breit gefächerte neue Kompositionen, teilweise sehr lustige, aber auch experimentelle und auf große seelisch intensive Momente. Und auf vielleicht sehr selten gehörte klassische Lieder. Ich glaube, Axel Bauni ist da eine sehr gute Auswahl gelungen. Das wird in beiden Konzerten sehr schön werden.
Das Gespräch führte
Thomas Ahnert.
Drei Termine:
Samstag, 9. Juli, 11 Uhr, Rossini-Saal: erstes Konzert der Kissinger LiederWerkstatt 2016 mit Uraufführungen von Gordon Kampe, Bernd Redmann, Vladimir Tarnopolski und Walter Zimmermann.
Montag, 11. Juli, 16 Uhr, Salon Fontane im Arkadenbau: Diskussionsrunde über "Vertonungen fremdsprachiger Gedichte - Original und Übersetzung". Christian Kröber führt das Gespräch mit anwesenden Komponisten und Interpreten.
Montag, 11. Juli, 20 Uhr, Rossini-Saal: zweites Konzert der Kissinger LiederWerkstatt 2016 mit Uraufführungen von Franghiz Ali-Zadeh, Wolfgang Rihm, Alexandru Sima und Manfred Trojahn. Daneben erklingen in beiden Konzerten Lieder von Schubert, Schumann, Brahms, Wolf und russischen Komponisten.