Schwarz-Rot hat eigentlich eine passable Mehrheit im Bundestag. Und trotzdem folgt eine Zitterpartie der nächsten. Leidet die Demokratie, wenn Abgeordnete nicht der Fraktionslinie folgen?
Johannes Winkel gibt sich gleichmütig. «Ich weiß nicht, warum ich mich dafür in irgendeiner Art und Weise rechtfertigen sollte», sagte der Chef der Jungen Union in der ARD über seinen Widerstand gegen die Rentenpläne der eigenen Koalition. Wenn ein Gesetzentwurf der Regierung im Parlament beraten und gegebenenfalls geändert werde, «das ist kein großer Skandal, sondern das ist Demokratie pur». Nur, wenn in der Demokratie immer häufiger Kompromisse kippen und Mehrheiten wanken, wird das nicht zur Gefahr?
Koalition in einer Sackgasse
Tatsächlich geben «Abweichler» nun schon zum wiederholten Mal Anlass für Zweifel an der Stabilität des schwarz-roten Regierungsbündnisses unter Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU). Bei seiner Wahl am 6. Mai ließen ihn Dissidenten aus den Reihen der Koalition im ersten Durchgang durchfallen. Am 11. Juli wurde die Wahl der designierten Verfassungsrichterin Frauke Brosius-Gersdorf kurzfristig abgesagt, weil in der Union zu viele Abgeordnete mit einem Nein drohten.
Und nun die Kampfansage von 18 jungen Abgeordneten der CDU/CSU-Fraktion, die schwarz-roten Rentenpläne blockieren zu wollen. Ein Appell von Kanzler Merz an die eigenen Reihen, sich doch bitte «konstruktiv» einzubringen, verhallte erstmal ungehört. Unionsfraktionschef Jens Spahn (CDU) wird vorgehalten, die Konflikte teils unterschätzt und nicht gut gemanagt zu haben. Wie die Union und die Koalition aus der Sackgasse herauskommen sollen, ist offen.
Krise auch in Brandenburg
Gleichzeitig spielt auf etwas kleinerer Bühne in Brandenburg ein ähnlicher Konflikt, der zeigt, dass das Regieren scheinbar überall immer komplizierter wird. In diesem Fall geht es um vier Abgeordnete der sehr jungen Partei Bündnis Sahra Wagenknecht, die sich mit der Parteispitze entzweit und ihren Austritt aus dem BSW erklärt haben.
Anlass war die Vorgabe des BSW-Bundesvorstands, im Landesparlament zwei Rundfunkstaatsverträge abzulehnen - obwohl das Kabinett der Koalition von SPD und BSW ihnen zugestimmt hatte. Im Streit wurden die vier «Abweichler» schnell grundsätzlich: Als Gründe für ihren Austritt nannten sie «autoritäre Tendenzen» und die zunehmende Dominanz radikalisierter Positionen im BSW.
«Sie meinen, das müssten sie anders machen»
Darauf reagierte Parteigründerin Sahra Wagenknecht verwundert - man könnte auch sagen: bissig. Die vier Personen hätten im Wissen um die Positionen der Partei kandidiert und den Menschen versprochen, diese Positionen zu vertreten, sagte Wagenknecht in der ARD. «Ich finde es wirklich problematisch, wenn einzelne Abgeordnete hier in einer wichtigen Position – und unsere Kritik am öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist eine wichtige Position – meinen, das müssten sie einfach anders machen, weil sie es vielleicht besser wissen.»
«Nur dem Gewissen unterworfen»
Dürfen frei gewählte Abgeordnete also gar nicht frei entscheiden, nach bestem Wissen und Gewissen, in ihrem hohen Amt als Volksvertreterinnen und Volksvertreter? In Artikel 38 des Grundgesetzes heißt es doch klar: Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages «sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen».