Was die NRW-Kommunalwahl für die Bundespolitik bedeutet

3 Min
Merz zu Antrittsbesuch in Nordrhein-Westfalen
Die Kommunalwahl wird wohl auch Spuren auch in der Bundespolitik hinterlassen. (Archivbild)
Merz zu Antrittsbesuch in Nordrhein-Westfalen
Guido Kirchner/dpa

Es ist der erste Stimmungstest seit dem Amtsantritt der schwarz-roten Regierung. Auch wenn in Nordrhein-Westfalen Kommunalvertreter gewählt werden, dürfte sich das Ergebnis bis nach Berlin auswirken.

«Kommunalwahlen sind Kommunalwahlen.» So lautet die Antwort von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) auf die Frage, ob die Wahl in seinem Heimatbundesland Nordrhein-Westfalen am Sonntag gut vier Monate nach seinem Amtsantritt auch ein Stimmungstest für die Bundespolitik ist. Natürlich gebe es auch «einen gewissen Blick auf die Landespolitik und auf die Bundespolitik», sagte Merz Anfang September bei seinem Antrittsbesuch als Kanzler in NRW. Aber die großen Unterschiede bei den Wahlergebnissen in den Kommunen zeigten doch, wie stark sie von den einzelnen Kandidaten abhängen würden.

Auch andere aus der schwarz-roten Koalition versuchten in den vergangenen Wochen die Bedeutung der Wahl herunterzuspielen. «Ich gehe davon aus, dass die Ereignisse in Berlin keinen großen Einfluss auf die Wahlen in NRW haben werden», sagte etwa der SPD-Fraktionsgeschäftsführer Dirk Wiese, der wie Merz aus dem Sauerland kommt. «Als bekanntermaßen größtes und wirtschaftlich starkes Bundesland, ist NRW selbstbewusst und eigenständig.»

Auch nach der Wahl wird sich nur schwer feststellen lassen, wie groß der Einfluss der Bundespolitik auf die Ergebnisse tatsächlich war. Trotzdem gilt als ziemlich sicher, dass die Wahl ihre Spuren in der Bundespolitik hinterlassen wird. Das sind die Gründe dafür:

Mehr als ein Fünftel der Bevölkerung in NRW

Von den mehr als 83 Millionen Einwohnern Deutschlands leben knapp 22 Prozent in Nordrhein-Westfalen. Es ist damit das bevölkerungsreichste Bundesland mit 13,7 Millionen Wahlberechtigten. Schon alleine das verleiht der Wahl ein besonderes Gewicht. 

Einzige Wahl weit und breit

Hinzu kommt, dass NRW ziemlich einsam im Wahlkalender steht. Die letzte Wahl in Deutschland ist schon mehr als ein halbes Jahr her (Bürgerschaftswahl in Hamburg). Bis das nächste Mal gewählt wird, werden weitere sechs Monate vergehen: Am 8. März 2026 finden in Bayern Kommunalwahlen und in Baden-Württemberg Landtagswahlen statt. NRW ist also nicht nur die erste Wahl seit dem Amtsantritt von Schwarz-Rot in Berlin, sondern auch die einzige Wahl innerhalb eines ganzen Jahres.

Persönliche Betroffenheit in der Koalition

Unter den Wahlberechtigten sind auch viele prominente Koalitionspolitiker. Aus der Union sind neben Kanzler Merz auch Bundestagsfraktionschef Jens Spahn und CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann in Nordrhein-Westfalen zu Hause. Das gilt auch für SPD-Chefin Bärbel Bas, die aus Duisburg kommt. Es gibt also eine größere persönliche Betroffenheit in der Regierungskoalition. 

Wird die Koalition abgestraft? 

Für die Koalitionsparteien SPD und CDU in Berlin geht es natürlich zunächst einmal darum, inwieweit sie selbst Federn lassen müssen. Bei der Bundestagswahl im Februar waren Union und SPD zusammen noch auf 49,3 Prozent gekommen. In den bundesweiten Umfragen sind davon nur noch 39 bis 44 Prozent übriggeblieben. Damit hätte Schwarz-Rot keine Mehrheit mehr im Bundestag.

In ihrem einstigen Stammland Nordrhein-Westfalen muss vor allem die SPD befürchten, deutlich abzusacken. Aber auch der Union drohen Verluste. Bei den letzten Kommunalwahlen 2020 kam die Union auf 34,3 Prozent. Die SPD wurde mit 24,3 Prozent knapp vor den Grünen mit 20,0 zweitstärkste Partei. Beide Parteien fuhren aber schon damals ihr schlechtestes Kommunalwahlergebnis in NRW ein.

Wie hoch wächst der blaue Balken? 

Die zentrale Frage der Wahl ist aber: Wie hoch wächst der blaue Balken, der damals noch bei 5,1 Prozent stehen blieb? Die AfD war in NRW 2017 erstmals mit einem einstelligen Ergebnis in den Düsseldorfer Landtag eingezogen. Lange Zeit lagen die Ergebnisse der Partei dort aber deutlich unter denen anderer westlichen Bundesländern wie Niedersachsen, Bayern oder Hessen. Bei der vorgezogenen Bundestagswahl im Februar wurde die AfD dann allerdings mit 16,8 Prozent drittstärkste Kraft vor den Grünen. 

«Vor allem in strukturschwachen Regionen mit industriellem Niedergang – wie Gelsenkirchen oder Duisburg – hat die AfD gute Chancen, ihre Ergebnisse auszubauen und sich dauerhaft zu verankern», sagte der Politikwissenschaftler Oliver Lembcke von der Universität Bochum Ende August.

Unklar ist, ob die Partei es schaffen wird, einen Bürgermeister-, Oberbürgermeister oder Landratsposten zu erobern. Das wird möglicherweise erst in Stichwahlen zwei Wochen später entschieden. Den Wahlkreis Gelsenkirchen hatten die Rechtspopulisten bereits bei der Bundestagswahl im Februar gewonnen. Die kriselnde Bergbau-Stadt im Ruhrgebiet, das für seine frühere Kohle- und Stahlindustrie bekannt ist, hat die höchste Arbeitslosenquote Deutschlands.

Neue Unruhe für eine Koalition im Werden?

Ein weiterer AfD-Schock könnte neue Unruhe in die schwarz-rote Koalition in Berlin bringen, die gerade versucht, sich nach einem sehr holprigen Start wieder zusammenzuraufen. Die Union dürfte sich in ihrer Forderung nach einem straffen Kurs gegen illegale Migration bestärkt fühlen. Und die SPD hat möglicherweise ein weiteres Argument, ihre Bemühungen um ein AfD-Verbotsverfahren zu verstärken. Die Union hat Gespräche darüber gerade erst abgelehnt. Auch die anstehenden Beratungen über Sozialreformen werden vor dem Hintergrund schlechter Wahlergebnisse sicher nicht leichter. 

Unions-Fraktionschef Jens Spahn fordert schon vor der Wahl, sich durch absehbare Zuwächse der AfD nicht aus der Bahn werfen zu lassen und in der Koalition darauf mit gemeinsamer Entschlossenheit bei Reformprojekten zu reagieren. Union und SPD sollten es als Auftrag verstehen, «jetzt das Mögliche und das Notwendige möglichst deckungsgleich zu machen», sagte der CDU-Politiker der Deutschen Presse-Agentur. «Mir fällt kein besserer Weg ein, Vertrauen wiederzugewinnen und Enttäuschungen abzubauen, Frust abzubauen, als durch Entscheidungen im Alltag spürbar einen Unterschied zu machen.»