Das ist sicher nicht leicht. In erster Linie ist das natürlich eine Bildungsfrage: Die Wertschätzung einer freien Berichterstattung geht Hand in Hand mit der Wertschätzung einer offenen Demokratie und einer vielfältigen Gesellschaft. "Demokratie erklären" ist deshalb nicht nur elementar in der Schule, sondern auch eine wichtige Aufgabe für Journalisten. Wie? Vielleicht ist es so manchen Journalisten gar nicht bewusst, auf welchem Boden sie stehen, wenn sie die Politik - bei aller wichtigen Kritik an der Tagespolitik - übertrieben skandalisieren und dauerhaft negativ darstellen und so Angst, Unsicherheit und ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber unserem politischen System säen. Es kann dann der Eindruck entstehen, dass unsere offene Gesellschaft die Probleme nicht in den Griff bekommt und zum Scheitern verurteilt ist. Das wäre fatal.
Vertrauensverlust mündet in Misstrauen. Das wiederum ist Nährboden für Falschaussagen. Das Zusammenleben in unserer Gesellschaft baut jedoch auf Glaubwürdigkeit und Vertrauen auf. Wie können Wirtschaft, Politik, Kirche und auch Medien Vertrauen zurückgewinnen?
Natürlich sollte man in erster Linie einen guten Job machen und möglichst wenige Fehler begehen. Dazu gehört aber auch der Ruf nach mehr Transparenz, der inzwischen ja unüberhörbar ist: Fehler zugeben, korrigieren, auf Wiedergutmachung achten. Für den Journalismus wissen wir aus Studien, dass es das Vertrauen stärkt, wenn Redaktionen ihre Arbeitsweise offenlegen und erklären, warum wie entschieden wurde oder dass in Artikeln Quellen offen gelegt werden und Informationen nachvollziehbar sind. Und nicht zuletzt ist ein Trend unterstützenswert, der sich konstruktiver Journalismus nennt. Nicht immer nur kritisieren? Redaktionen recherchieren nicht nur Probleme und Missstände, sondern auch gezielt nach möglichen Lösungen und hoffnungsvollen Perspektiven. Denn die Welt ist bei weitem nicht so schlecht und hoffnungslos, wie sie im Bild der Nachrichtenmedien erscheint.
Journalisten werden in politisch aufgewühlten Zeiten häufiger als sonst mit dem Vorwurf konfrontiert, sie würden den Leuten sagen, was sie denken sollen. Stimmt das?
Journalismus trägt durch Kommentierung zur Meinungsbildung bei. Das ist gut und richtig. Allerdings sollten Redaktionen verstärkt darauf achten, gemäß der angelsächsischen Tradition Nachricht und Kommentar, Faktenpräsentation und Meinungsdarstellung zu trennen. In erster Linie sollten Journalisten allerdings tatsächlich eine klare Haltung vermitteln. In welcher? Journalismus muss immer und ohne Einschränkung für Demokratie und Menschenwürde eintreten - und hier muss Journalismus auch den Leuten sagen, dass sie Demokratie und Menschenwürde zu achten haben. Das darf man nicht relativieren. Journalismus ist Hüter der Demokratie, und die Qualität des Journalismus leitet sich unmittelbar aus den Werten einer offenen Gesellschaft ab. Feinde der offenen Gesellschaft sind deshalb immer auch Feinde des Journalismus.
In Chemnitz und Köthen wurden Journalisten tätlich angegriffen. Polen und Ungarn schränken die Pressefreiheit ein. Die Situation der Medien ist ein Frühwarnsystem für die Bedrohung demokratischer Strukturen. Ist unsere Demokratie in Gefahr?
Eine neue Faszination des Autoritären und eine rechtsnationale Ideologie, die Angst vor Fremden, Vorurteile und Verunsicherung und eben auch ein Misstrauen gegenüber der offenen Gesellschaft befeuert, frisst sich in die Mitte der Gesellschaft. Wir sind alle gefordert, den Wert unserer offenen Demokratie in Deutschland und in Europa, die uns 73 Jahre Frieden geschenkt hat, immer wieder zu betonen und zu verteidigen. Demokratie ist keine garantierte Selbstverständlichkeit.
Was macht heute für Sie guten Journalismus aus?
Auf durchgehende Themenvielfalt achten, vielfältige Menschen zu Wort kommen lassen, Lebenswirklichkeit vielfältig abbilden, immer wieder die Fakten checken und exakt recherchieren, komplexe Themen erklären, einfache Gegenüberstellungen demaskieren, Perspektiven, Hoffnung und Lösung aufzeigen - und das Publikum ernst nehmen und mit ihm auf Augenhöhe kommunizieren.
Das Gespräch führte Frank Förtsch.
Biografie Klaus Meier ist seit 2011 Inhaber des Lehrstuhls für Journalistik I an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt.
Karriere Zuvor war der 49-jährige gelernte Zeitungsredakteur Professor für Journalistik an der Hochschule Darmstadt sowie der Technischen Universität Dortmund. Meier ist Träger des Ars-legendi-Preises für exzellente Hochschullehre 2017. Darüber hinaus ist Meier stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Publizistik und Kommunikationswissenschaft